In München, Köln und Berlin gehen selbsternannte Lebensschützer jährlich auf die Straße, um gegen Schwangerschaftsabbrüche und Sterbehilfe demonstrieren. Und in Annaberg-Buchholz, mitten im sächsischen "Bibelgürtel", der sich vom Erzgebirge bis ins Vogtland zieht, wo konservative bis fundamentalistische Einstellungen das religiöse und politische Leben prägen. Hier rufen die Lebensschützer zum sechsten "Schweigemarsch für das Leben" auf. Jährlich steigt die Zahl der Teilnehmer, doch damit wächst auch die Kritik.
von Jennifer Stange, MDR INFO
Ginge es nach Joachim Hadlich, würde Gott allein über Anfang und Ende des menschlichen Lebens entscheiden. Er ist Mitorganisator des jährlichen "Schweigemarschs für das Leben" in Annaberg-Buchholz. Er sagt: "Jeder Schwangerschaftsabbruch ist die willkürliche Tötung eines Menschen. Sterbehilfe ist ebenso ein Akt der Tötung. Wir fordern deshalb ein generelles Verbot für jede medizinisch nicht indizierten Abtreibung und jeglicher Sterbe- oder Selbstmordbeihilfe."
Hadlich ist Vorsitzender der "Christdemokraten für das Leben" (CDL) im Erzgebirge, eine bundesweite Organisation in der CDU, die in der Partei nicht auf breite Unterstützung, wohl aber auf Toleranz und Verständnis setzen kann. Landtagsbgeordnete der sächsischen CDU, wie beispielsweise der ehemalige Fraktionschef Steffen Flath, treten regelmäßig beim Marsch als Redner auf. Generalsekretär Michael Kretschmer bleibt zurückhaltend. Er sagt: " Wir haben in Deutschland lange gestritten über das Thema Schwangerschaftsabbruch, und haben eine Lösung gefunden, die gesellschaftlich Konsens ist."
Proteste gegen §218Demnach ist der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen nach einer Beratung straffrei. Er beende dennoch Leben und das könne man durchaus kritisch sehen, so Kretschmer. Aber er sagt: " Ich wünsche mir, dass das in einem guten und vernünftigen Ton passiert." Schrill ist der Ton der Lebensschützer häufig. Sie bezeichnen Schwangerschaftsabruch oft als "Massenmord", Pränataldiognostik und Sterbehilfe als "Euthanasie". Assoziationen mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte sind offenbar gewollt. Hadlich sagt: "Die Väter des Grundgesetzes wollten erreichen, dass nach der nationalsozialistischen Herrschaft nie wieder Menschen willkürlich getötet werden könnten und es ist erschütternd für uns, dass diese Tötungen doch wieder massenhaft stattfinden."
Immer weniger AbtreibungenDie Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland sinkt kontinuierlich. 2014 wurden etwas weniger als 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Aus medizinischen Gründen, nach Vergewaltigungen, meistens weil sich Frauen gegen ein Kind entschieden. Das sei ihr gutes Recht, sagt Eva Brackelmann, Vorsitzende der Frauen in der SPD Sachsen. Sie erklärt: " Was während des Nationalsozialismus passiert ist, zu vergleichen mit dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Frauen indirekt als Mörderinnen zu titulieren und damit gleichzeitig die Arbeit von Beratungsstellen zu diskreditieren, aber auch Mediziner und Medizinerinnen versuchen zu kriminalisieren - ich finde diesen Vergleich hochgradig unanständig."
Gegner und Fürsprecher positionieren sichIhre Partei unterstützt erstmals die Proteste gegen den, wie sie sagt "fundamentalistischen Schweigemarsch". Weil gerade in Sachsen zunehmend gegen Gleichstellungspolitik und Gendermainstreaming polemisiert werde, wolle man nun ein deutliches Zeichen setzen. Das breite Bündnis wird vor allem von jungen Frauen aus den sächsischen Metropolen getragen. Pauline Heinze erklärt warum: "Weil wir das Gefühl haben, das feministische Rechte, die erkämpft wurden, immer mehr bedroht werden, durch eine antifeministische Rhetorik die gerade sehr anschlussfähig scheint."
Mit dem Bus wird sie aus Leipzig nach Annaberg-Buchholz reisen. Auch der Schweigemarsch erwartet Prominenz von außerhalb: Das CDU-Mitglied Mechthild Löhr, eine der ärgsten Widersacherinnen Merkels und Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben.
Zuletzt aktualisiert: 02. Juni 2015, 20:15 Uhr
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