Berlin-Spandau, Schönwalder Straße 24, ein grauer, unscheinbarer Zweckbau - das Gemeindehaus der evangelischen Luthergemeinde. Ehrenamtliche verteilen Lebensmittel. Seit drei Jahren, an rund 150 Familien. An der Tür werden Gruppen zu fünf Personen abgezählt. Dann darf Gruppe für Gruppe zur Tafel. Zu den Lebensmitteln, die die Supermärkte sonst weggeschmissen hätten. Routine in Deutschland.
Doch in dieser Woche ist es anders, besonders. Am Wochenende hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen verkündet, wie sich die Hartz-IV-Sätze ändern werden: Fünf Euro mehr für Erwachsene. "Ich finde es erniedrigend, wenn erst über 20, zehn und dann fünf Euro diskutiert wird. Dann hätten sie es besser ganz gelassen", zürnt Monika Ehm. Ihr Kollege Mario Burchardt nickt ihr zu. Er hatte vor zwölf Jahren einen Herzinfarkt, dann konnte er nicht mehr als Kfz-Mechaniker arbeiten. Jetzt arbeitet der 51-Jährige für Bitan, eine Energieberatung des Bundes und des Berliner Senats. An einem Infostand informieren Burchardt und Ehm die Wartenden über Energiesparmaßnahmen. Doch ihr Gehalt reicht nicht zum Leben - es wird mit Hartz-IV aufgestockt. "Ich bin froh, dass ich einfach raus komme und arbeiten kann", sagt Burchardt. Seine Kollegin sieht es anders. "Für mich sind wir moderne Sklaven. Wir müssen jeden Job annehmen, damit das Geld nicht gekürzt wird", sagt Monika Ehm. Sie will einen Job, von dem sie leben kann. Alles andere sei menschenunwürdig. Mario Burchardt sagt, er könne von dem jetzigen Satz leben. Zwar sei der letzte Urlaub schon zwölf Jahre her, und seine Klamotten hole er sich bei der Kleiderkammer, aber es gehe. Nur seine Schuhe und die Unterwäsche kaufe er sich selbst.
In Briefumschlägen liegt eingeteilt das GeldDie Regelsätze für Kinder sollen gar nicht steigen. Allerdings plant die Bundesarbeitsministerin eine Bildungschipkarte für den Besuch des Sportvereins, Musikunterricht, Schwimmbad, Zoo oder warme Mahlzeiten in Schule und Kita. "Für mich wäre es schon eine große Hilfe, wenn mein Sohn im Kindergarten kostenlos Mittagessen könnte", sagt Heidi Ebeling. Mit der linken Hand schiebt die 39-Jährige den Kinderwagen mit ihrem zweijährigen Sohn Jannik vor sich her. Mit der Rechten zieht sie ihren Trolli vorbei an Tischen mit Äpfeln, Joghurt, Brot, Wurst und Tomaten. Einmal die Woche geht sie zur Tafel der evangelischen Luthergemeinde Spandau. "Ohne die Tafel würde es nicht gehen", sagt die Hartz-IV-Empfängerin. Drei Monate hat sie auf den letzten Zoobesuch gespart. Zu Monatsbeginn teilt sie sich ihr Geld in Briefumschlägen genau ein: 45 Euro für Regensachen und Gummistiefel für den Sohn, 24 Euro für beide zum wöchentlichen Schwimmen, 39 Euro für den Kindergarten. "Vor allem jeden Monat das Geld für den Kindergarten zusammen zu kriegen, ist hart", sagt Heidi Ebeling.
Vor ihr in der Reihe steht Renate Frohwein. Sie holt Essen für sich und ihre Tochter, die allein mit vier kleinen Kindern lebt. "Wenn der Kita-Platz nur zehn Euro im Monat kosten würde, wäre schon alles viel einfacher", sagt die 65-Jährige. Die Bildungschipkarte findet die Rentnerin gut. Dann könnten ihre Enkelkinder in den Sportverein oder in die Musikschule gehen. Zurzeit testen sie den Blockflöten-Unterricht aus, den die Kirchengemeinde kostenlos anbietet. Außerdem würden sie gerne den Film "Das Sandmännchen" sehen, der gerade ins Kino kommt. Aber: Hartz-IV reicht zwar zum Leben, solche Extras sind für die Kinder jedoch nicht drin.
Fünf Euro - ein Schlag ins GesichtHeidi Ebeling steht vor den Kisten mit Obst. Ein Ehrenamtlicher der Kirchengemeinde packt ihr eine Handvoll Pflaumen in ihre Lidl-Tüte. Eine besonders Schöne gibt er Jannik in den Kinderwagen herunter. Dann gibt's noch ein paar Bananen, die allerdings schon viele braune Stellen haben. Der Mitarbeiter sieht an der roten Karte, die an der Jacke von Heidi Ebeling mit einer Holz-Wäscheklammer befestigt ist, wie viel er der Mutter einpacken darf. Dort steht: Zwei Erwachsene, ein Kind. Denn Zuhause wohnt auch noch ihr 19-jähriger Sohn. Er macht eine Lehre, aber alleine Wohnen kann er sich nicht leisten. Damit er zum Rudern gehen kann, haben er und seine Mutter einen Kompromiss geschlossen. Sie teilen sich die 32 Euro Vereinsbeitrag. Für Heidi Ebeling stehen ihre Kinder an erster Stelle. "Auch die meisten anderen Eltern versaufen und verrauchen nicht das Geld, das sie für ihre Kinder bekommen", ist die ehemalige Filialleiterin von Kaisers überzeugt. Sie rauche zwar, aber mehr als eine Tabakdose für 13 Euro im Monat verbiete sie sich, damit sie das Geld nicht bei ihren Kindern wegnehmen müsse. Aber sie kenne auch andere Eltern, da komme noch nicht einmal das Kindergeld bei den Kleinen an.
Heidi Ebeling bekommt noch Kuchen in eine mitgebrachte Plastikdose - für jeden ein Stück. Sie bedankt sich. Ihr Sohn nuckelt an einer leeren Caprisonne. Er will wieder nach Hause. Den schweren Trolli hinter sich herziehend, gibt sie die rote Berechtigungskarte wieder am Eingang ab. Dort nimmt die ehrenamtliche Mitarbeiterin Ingrid Brandenburg den Ausweis entgegen. In der Schlange vor der Tür warten bereits wieder 50 Leute. Auch die 59-Jährige Ingrid Brandenburg empfindet die fünf Euro Erhöhung als Hohn gegenüber den Menschen, die hier einmal die Woche vorbeikommen. "Es ist ein Schlag ins Gesicht. 20 Euro wären das Mindeste gewesen."
Und dann sagt sie den Satz, der so oft zu hören ist. "Hätten sie es besser gleich sein gelassen."