Ein Schwall eiskalte Luft erfüllt den Raum, eine junge Frau steht in der Tür. Sie unterbricht die besinnliche Stimmung und übertönt auch Bing Crosby, der aus dem Radio von weißer Weihnacht singt. "Haben Sie auch Traktoren?", fragt sie. "Ein Feuerwehrauto würde es zur Not auch tun."
Hinter einem schmalen Tresen in der Ecke des Raumes, knapp 60 Quadratmeter groß, kommt eine Frau hervor. Ihr Name ist Julia Hüsch. Die dunklen Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden, wenn sie den Kopf bewegt, funkeln in ihrem Gesicht einzelne Glitterpartikel. Sie schaut mitleidig drein, erklärt der jungen Frau, dass Traktoren sowie Feuerwehrautos für dieses Jahr aus seien, und fragt, ob nicht ein VW Bus eine Alternative wäre. Die junge Frau schüttelt den Kopf, verweist auf den ausdrücklichen Wunsch ihres Bruders und verlässt den Laden, der immer noch "Gerda Hüsch" heißt.
Noch vor ein paar Monaten waren Gespräche wie dieses Alltag in der Hamburger Institution für Weihnachtsschmuck. Dann kam die Schließung. Gesundheitliche Gründe und eine Mieterhöhung zwangen Gerda Hüsch, ihren Laden in der Papenhuder Straße aufzulösen. Das Ende einer 43 Jahre währenden Tradition war etwas, das Tochter Julia Hüsch nicht mitansehen konnte. Kurzerhand eröffnete sie den Laden neu, an anderer Stelle, kleiner, am Mundsburger Damm 37. Wie zu Zeiten ihrer Mutter lockt die Tochter nun Hamburger und Kenner auf der Suche nach ausgefallenem Weihnachtsschmuck zu "Gerda Hüsch".
Mit dem Betreten des neuen Ladens setzt das altbekannte Gefühl der Überforderung ein. Wohin das Auge blickt, glänzt und schillert es in allen Farben. Wie soll man sich hier zurechtfinden? Gedämpfte Beleuchtung und Teelichter in hohen Gläsern hemmen mit ihrem warmen Licht die aufsteigende Panik. Gerade lässt sich noch das Parfüm einer Duftkerze wahrnehmen, dann ist schon Julia Hüsch zur Stelle und bietet ihre Hilfe an. Zum Glück, sie überblickt das charmante Wirrwarr bis in alle Details. Sie hat es entworfen und kennt jede Kugel hier beim Namen. Eine reife Leistung bei mehreren Hundert Exemplaren, die in Schüsseln, Truhen liegen oder an Haken und Tannenzweigen hängen.
Ein buntes Chamäleon sitzt etwa auf einem Bett aus smaragdgrünen Kugeln, Santa Pauli, dessen Hose nur das Nötigste bedeckt, baumelt zwischen einer glitzernden Aubergine und einem Fußball. Und dann gibt es noch die silbernen Totenköpfe mit den roten Augen, von denen sich ein Mitglied der Band Scooter einen Satz für seinen Weihnachtsbaum gekauft hat. Auch Hundeliebhaber haben hier allerbeste Chancen, ihre Lieblinge als mundgeblasene Glasversion wiederzufinden. Dabei musste Frau Hüsch feststellen, dass der Mops als Trendhund der vergangenen Jahre dieses Weihnachten out ist und, wenn sie die Verkaufszahlen betrachtet, vom Dackel abgelöst wurde.
Bei Franzbrötchen und Kaffee rät Frau Hüsch, beim nächsten Adventskaffee doch einfach die Glasvariante eines Kuchenstücks mitzubringen. Ein kleiner Schnack mit den Kunden gehört hier dazu, die früher auch schon mal zum Mitessen eingeladen wurden. "Ganz egal, ob Kunden da waren, wenn es Zeit zum Essen war, stellte sie einen großen Topf auf den Tisch, und wir aßen. Meine Mutter kannte da gar nichts", erinnert sich Julia Hüsch. In dem alten Laden war das auf rund 130 Quadratmetern problemlos möglich. Die Hüschs kochten und wohnten im oberen Stockwerk. Noch heute fragen die Kunden nach der früheren Inhaberin. Unvergessen ist die alte Dame, die stets versteckt in der hintersten Ecke des Ladens hockte und sich nur durch den Qualm ihrer Zigarette verriet.
Gerda Hüsch hatte sich eine Welt erschaffen, in der 365 Tage im Jahr Weihnachten war. Eine Welt, die viele Menschen bereits für vier Wochen im Jahr überfordert. Die Hamburgerin wurde ihrer nie überdrüssig. "Meine Mutter hatte keine fröhliche Kindheit. Ich glaube, deswegen ist ihr Weihnachten als Fest, bei dem die Familie zusammenkommt, so wichtig", sagt Julia Hüsch. Wird in den Sommermonaten die Sehnsucht nach Weihnachten zu groß, könne man Frau Hüsch senior auch heute noch beobachten, wie sie zu Weihnachtssongs mitsinge und ein paar Kugeln an die großen beiden Tannen in ihrem Garten hänge, um in ihrer Mitte Platz zu nehmen.
Ihre Tochter teilt die Liebe zu Weihnachten und zögerte nicht, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten. Ob jemand, der dem heiligen Fest so verfallen ist, auch Verständnis für die zahlreichen Weihnachtsmuffel hat? Zumindest Julia Hüsch kann durchaus nachvollziehen, wie die Lust auf Weihnachten abhandenkommen kann. Nämlich wenn es nur noch um den Konsum ginge, das Schenken zur lästigen Notwendigkeit werde und der Stress die feiertägliche Ruhe ablöse. Bei Hüschs habe man das Schenken daher aufgeben. Nur die Kinder bekämen etwas, und ansonsten drehe sich das Fest um gutes Essen, Musik und alte Weihnachtsfilme. Die Rückbesinnung zum Traditionellen beobachtet Julia Hüsch auch bei ihren Kunden. "In wirtschaftlich guten Zeiten lassen es die Leute mit buntem Weihnachtsschmuck krachen. Passiert viel Schlimmes auf der Welt, wie jetzt gerade, halten sie eher an Traditionen fest und kaufen Schmuck in Rot, Gold oder Silber." Nach der Weihnachtszeit bietet Julia Hüsch auch andere Dekoration und Kleinmöbel an. Nur mit Osterdekoration tue sie sich schwer: "Eier verstecken gibt mir so gar nichts."