1 abonnement et 2 abonnés
Article

Wischen statt Wühlen - Hier findet Mode nur noch auf dem Bildschirm statt

Finger wischen über einen tischgroßen Touch-Bildschirm, Dinge werden von rechts nach links gezogen, neu kombiniert und als Ergebnis auf einem wandfüllenden Flachbildschirm angezeigt. So kauft man von nun an Mode - zumindest bei Tommy Hilfiger in Amsterdam.

Im Jahr 2006 wurde die Hauptzentrale des amerikanischen Unternehmens von New York in die niederländische Hauptstadt verlegt. Auch die Firmenleitung liegt nicht mehr in den Händen des Gründers Tommy Hilfiger. Vor fünf Jahren übernahm der amerikanische Modekonzern Phillips Van Heusen die Leitung. Als erstes Modeunternehmen hat Tommy Hilfiger nun einen digitalen Showroom eröffnet. Und stößt damit die Tür zu einer neuen Art des Einkaufens auf.

Blogger und Großeinkäufer kennen das Prozedere: Auf eine neue Saison folgt eine neue Kollektion und die Einladung zur Präsentation im Showroom. Hier entscheidet sich, was letztlich in den Läden landen wird. Böden übersät mit akkurat gefalteten Kleidungsstücken und üppig bestückte Kleiderstangen - wer sich einen echten Überblick verschaffen will, muss Zeit und eine Affinität zum Stöbern mitbringen. Daniel Grieder, CEO bei Tommy Hilfiger, hält dieses Verfahren für veraltet. Die Welt werde stetig digitaler, die Mode müsse es auch werden. Und das bitte schnell. Andere Labels bieten längst die Möglichkeit, Teile der neuen Kollektion bereits am Tag der Modenschau online kaufen zu können.

Wetterausblick bringt Inspiration

Ausgerechnet der Wetterausblick im Fernsehen brachte den Schweizer auf eine Idee: "Wenn die im Fernsehen Sachen auf großen Bildschirmen umherschieben können, müssen wir das doch mit einer Kollektion auch tun können." Vor zwei Jahren schob er die Entwicklung des digitalen Showrooms an.

Der größte Unterschied: Die Mode findet nun ausschließlich auf dem Bildschirm statt. Erfunden haben Grieder und sein Team den "Digital Showroom" allerdings nicht. Im vergangenen Jahr eröffnete in Berlin bereits Autobauer Audi mit der "Audi City" auf 375 Quadratmetern sein erstes Autohaus, das ganz ohne physische Modellwagen auskommt.

Effizient nennt Grieder das neue System, bei dem auch er komplett auf Musterstücke verzichtet. Der Käufer betritt einen Raum, in dem sich lediglich ein großer Tisch, Stühle und zwei überdimensionale Bildschirme befinden. Eine Seitenwand ist von einer Reihe Mini-iPads gesäumt. Mit ihnen kann er später Kalkulationen anstellen und auf frühere Käufe zurückblicken. Während auf dem großen Bildschirm am anderen Ende des Tisches eine personalisierte Begrüßung flimmert, leuchtet auf dem kleineren Bildschirm ein virtueller Startknopf.

Ein Klick ersetzt langes Wühlen

Was nun folgt, ist eine Mischung aus der Wettervorhersage und dem Film "Minority Report". Berühren lässt sich nur der Bildschirm, aber anfassen, bis ins Detail vergrößern, drehen und wenden lässt sich jedes Teil der Kollektion. Kleine Filme zeigen die Highlights an Models. Filter helfen bei der Suche, etwa nach bestimmten Stilen oder Farben. Ein kurzer Klick ersetzt langes Wühlen. Aber filtern können herkömmliche Online-Shops auch.

Erst die Möglichkeit, neue Looks zu kreieren, macht den Unterschied. Ob etwa ein Schal zum restlichen Outfit passt oder eine Auswahl von Blautönen in sich stimmig ist lässt sich mit einer Wischbewegung sichtbar machen. Ist der Sehsinn zufrieden, meldet sich der Tastsinn. Zu sensuell ist die Mode, als das allein Ihre Optik befriedigen könnte.

Ein Stoffbüchlein soll den Wunsch stillen, Pullover und Co. auf ihre Geschmeidigkeit zu prüfen. Die Art, wie ein Stoff fällt, den Körper umspielt und sich bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen verändert, kann das Büchlein nicht wiedergeben. Liebhaber physischer Kleidungsstücke werden im neuen Showroom enttäuscht. "Wir werden wahrscheinlich hier oder in Hongkong noch eine Musterkollektion haben. Wer die sehen will, muss dann halt nach Hongkong fliegen", flachst Grieder. Die Vorteile des digitalen Konzepts wiegen in seinen Augen Nachteile wie diesen auf.

Der Kundenkontakt ist nicht ersetzbar

Ein persönlicher Besuch im Showroom bleibt für die Einkäufer weiterhin Pflicht. Die finanzielle und zeitliche Ersparnis ist dennoch groß, wenn die Produktion von Musterteilen wegfällt und der Bildschirm alle Kollektionsteile auf einen Blick zeigt. Geht es gerecht zu, könnten die niedrigeren Kosten im Einkauf auch niedrige Preise für den Endkunden bedeuten.

In jedem Fall werden in den kommenden Monaten auch die Tommy Hilfiger Läden ein bisschen digitaler. Touch-Bildschirme zeigen wie im Online-Shop Bestände und weitere Farbvarianten an, die in den Regalen keinen Platz mehr gefunden haben. Stylingfreudige können Outfits zusammenstellen, bevor sie, die Arme voll mit Klamotten, die Umkleidekabine stürmen.

Ein Spiegel, der das Anprobieren erspart, weil er das Spiegelbild gleich mit den Kleidungsstücken optisch vereint, soll das Shoppingerlebnis eines Tages abrunden. An einen rein digitalen Shop, glaubt Grieder jedoch nicht. Der Kontakt zum Kunden ist eben durch keinen Klick ersetzbar.

Rétablir l'original