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Handwerkskunst: Er ist der letzte Schiffermützenmacher in Hamburg

Unterwegs Handwerkskunst

Er ist der letzte Schiffermützenmacher in Hamburg

| Lesedauer: 5 Minuten

Schiffermützen, wer trägt die noch? Viele, berichtet Lars Küntzel - seine Schiffermützen werden bis nach Singapur geliefert. Sogar Modemacher Karl Lagerfeld orderte schon bei ihm. Ein Besuch im Hamburger Geschäft.

Ein rasselndes Klingeln hallt nach. Jemand hat das Ladengeschäft Walther Eisenberg, dem letzten Mützenmacher Hamburg s, betreten. In der Werkstatt lässt Inhaber Lars Küntzel das Nähzeug sinken, er näht gerade Schirme an, und geht gemächlich durch den türlosen Rahmen hinüber in den Verkaufsraum, wo er neben seinen handgefertigten Mützen auch dazugekaufte Hüte, Accessoires und Marineblazer verkauft. Hast ist nicht seine Sache. Zurück bleiben in einem Körbchen unter der Werkbank die Französischen Bulldoggen Paula und Donald. Beide haben sich bereits an die ohrenbetäubende Türglocke gewöhnt, die Lars Küntzel notdürftig mit etwas Klebeband gedämpft hat. Sie ist eines von vielen Relikten der kleinen Werkstatt, die seit 1892 in der Steinstraße ansässig ist. Die Lautstärke hat ihren Zweck und soll die etwa gleich alten metallenen Pfaff 130er Nähmaschinen übertönen.

Die Zeit scheint hier stehen geblieben. Braune Kartonkisten stapeln sich bis unter die Decke, an Nägeln hängen Pappschablonen, darunter tapezieren Poster von Segelbooten die Wand. Im Sommer chartern die Küntzels selbst gern ein Boot und segeln durchs Mittelmeer. Auf Tischen und Werkbänken liegen halb fertige Schiffermützen. Vom Modell Prinz Heinrich über Kiel, Altona bis zum Elbsegler gibt es hier alles, was das Seefahrer oder Seglerherz begehrt - und als solches erkennt. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Mützen sind teils marginal, zeichnen sich durch unterschiedliche Deckelgrößen, Steghöhen und Dekorationsbänder aus. Lars Küntzel beißt sich nicht in Details fest. Der Einfachheit halber spricht er allgemein von Schiffermützen. Klugscheißer könne er nicht leiden, sagt er. Nur, wenn jemand Helmut Schmidt einen Elbsegler andichten will, greift er korrigierend ein. Der Elblotse war schließlich sein Markenzeichen, und der sei nach dem Tod des ehemaligen Bundeskanzlers kurzzeitig extrem angesagt gewesen, erklärt er.

20 Modelle hat Küntzel im Programm. Aber das ist nur das Standardrepertoire. In Wirklichkeit gäbe es viel mehr. Aber was für Traditionen gilt, trifft auch auf die Schiffermützen zu: Einige geraten mit der Zeit in Vergessenheit. Die Türglocke reißt aus den Gedanken an Vergangenes und führt hinüber zu Max Schmeling, der gerahmt und mit Mütze neben der Eingangstür hängt. Durch die tritt soeben ein gut gekleideter älterer Herr, der sich zum Gruß nickend an den karierten Trilby-Hut greift. „Ich möchte gern meinen Hut abholen, in heile", sagte er und rückt die filigrane Brille mit Goldrand und eingeschliffenen Lesefenstern zurecht. Den Hut hat er 1989 gekauft, und die Rechnung bis heute aufbewahrt. Er ist der Inbegriff von „Alter Schule" und somit genau, was man sich unter der Kundschaft des Mützenmachers vorstellt.

Gleichzeitig zeigt er ein Dilemma auf, das Lars Küntzel später ganz unverblümt benennt: „Die Älteren sterben langsam weg." Ganz so gravierend ist die Situation nicht, zumal unverhoffte Ereignisse eben doch immer wieder neue Kundschaft in den Laden führen. Wie kürzlich einen Herren aus Bayern mit einem zehn Jahre alten Zeitungsartikel über den Mützenmacher in einer Klarsichthülle. Er hatte sich vorgenommen, beim nächsten Hamburg-Besuch vorbeizuschauen.

Unverhofft war es auch, als Karl Lagerfeld vor einigen Jahren Mützen für ein Modeshooting bei Lars Küntzel anfragte. Seitdem zählen auch Frauen zur Kundschaft. Und erst recht, nachdem der Modedesigner sich bei seiner „Métiers d'Art"-Kollektion 2018 von seiner Heimatstadt inspirieren ließ und die Models in der Elbphilharmonie mit Eigenkreationen der Schiffermütze über den Laufsteg schickte. Wie alt ist denn die jüngste Kundin? Lars Küntzel lächelt spitzbübisch. „Zwei", antwortet er knapp und fügt hinzu: „Ihre Oma hat ihr eine Mütze machen lassen, eine NRV Mütze." Er blättert durch zwei Karteikartenkästen mit den aktuellen Bestellungen, der Name der Kundin will ihm nicht einfallen. Die Digitalisierung scheitert an Lars Küntzels Zeitkapsel. Lediglich einen Online-Shop baute der 51-Jährige vor einigen Jahren auf. Seine Kunden verteilen sich über den gesamten Globus.

„Ich habe gerade einen Kunden aus Singapur. Der war schon mal hier und möchte nun das Gleiche noch mal haben." Die Auftragslage ist gut, es gibt viel zu tun. Rund elf Stunden arbeitet Lars Küntzel pro Tag, am Samstag nur den halben. Ein offensichtliches Ungleichgewicht in der Work-Life-Balance, was sich nur durch Passion für den Job ausgleichen lässt. Etwas, was dem heutigen Inhaber fehlte, als er mit Anfang 20 bei Walther Eisenberg in die Lehre ging. Damals verdiente Lars Küntzel sein Geld noch unzufrieden als Maschinenbauer, als sein Vater ihm von der Suche Eisenbergs nach einem Nachfolger erzählte. Er nahm an, arbeitete ein Jahr lang ohne Gehalt und wurde stattdessen mit dem Wissen ums Handwerk entlohnt.

Anschließend übernahm er den Laden. Noch heute kommen die Eisenbergs im Geschäft vorbei, wenn sie in der Stadt sind, und bringen Pralinen mit. Bei der eigenen Nachfolge bleibt Lars Küntzel, wie er sagt, emotionslos: „Wenn ich weiß, dass und wann ich aufhören möchte, dann kümmere ich mich darum. Wenn einer kommt, ist's gut."

Derzeit treiben ihn ganz andere Sorgen um. Etwa, dass selbst Stammkunden am Geschäft vorbeilaufen. Die Leuchtwerbung fehlt. Das denkmalgeschützte Haus wurde kürzlich renoviert, die Außenwerbung musste ab. Ob er sie je wieder anbringen darf, ist fraglich. Wie immer bleibt er entspannt. Sollte er das Geschäft irgendwann nicht mehr halten können, würde er eben den Online-Shop ausbauen und im Keller seines Hauses arbeiten. Dann fiele allerdings die Laufkundschaft weg, räumt er ein. Die Ladenklingel schrillt erneut. Ein Ehepaar, Marke Segelboot und Finca auf Mallorca, stöbert durch die Auslagen. Etwas Sommerliches aus Leinen wird gesucht. Sie verlassen den Laden mit zwei Mützen und einem Strohhut. „Bis zum nächsten Mal", rufen sie Lars Küntzel im Gehen zu, und man wünscht dem Mützenmacher, dass es noch lang in den Ohren klingelt.


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