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Der internationale Kampf gegen die Drogen

Archivbild Quelle: Str/EPA/dpa

In vielen Ländern tobt ein blutiger Kampf gegen die Drogen. Oft richtet sich dieser gegen die Armen. Dabei bewirkt eine harte Drogenpolitik keinen Rückgang im Handel oder Konsum.

Rodrigo Duterte führt einen Anti-Drogen-Krieg.

Rodrigo Duterte ist weder für eine gemäßigte Rhetorik noch für eine zimperliche Politik bekannt. Im Gegenteil, der philippinische Präsident sorgt wegen seiner repressiven Drogenpolitik und einer aufstachelnden Art seit seinem Amtsantritt 2016 für Kritik - insbesondere bei Menschenrechtsorganisationen. Sein neuester Plan: Die Wiedereinführung der Todesstrafe für Drogendealer. Seit der Herrschaft des "Punishers", wie die Öffentlichkeit ihn häufig nennt, sind bei Polizeiaktionen im Kampf gegen die Drogen offiziell mehr als 6.600 Menschen getötet worden. Die inoffizielle Zahl dürfte bei mehr als 20.000 Menschen liegen, schätzt die Organisation Amnesty International.


Die Philippinen sind jedoch nur eines von vielen Ländern, die repressive Maßnahmen gegen Drogendealer und -konsumenten durchsetzen, häufig mit dem Titel "Kampf gegen die Drogen". Auch andere asiatische Staaten sind ganz vorne dabei, wenn es um eine harte Anti-Drogenpolitik mit Abschreckung durch Bestrafung geht - unabhängig von gesellschaftlichen und gesundheitlichen Kosten. In Indonesien und China beispielsweise droht Drogenschmugglern und -händlern sogar die Todesstrafe.

Drogenkonsum auf dem Höchststand


In Lateinamerika gingen und gehen ebenfalls viele Regierungen mit Härte gegen Dealer und Konsumenten vor: Durch den Einsatz von Militär- oder Polizeieinheiten, die gewaltsame Razzien in Armenvierteln durchführen, wie beispielsweise in Kolumbien oder Mexiko. Dabei zeigen die Zahlen, dass diese Art der Anti-Drogenpolitik nicht die erhoffte Wirkung hat: Der weltweite Drogenkonsum war 2017 auf einem Höchststand, meldet das UNODOC, das Drogenbekämpfungsbüro der Vereinten Nationen.


Der Weltdrogenbericht 2017 der UN weist alarmierende Tendenzen auf. Weltweit sei die Zahl der Drogennutzer auf 271 Millionen gestiegen - 30 Prozent mehr als noch im Jahr 2009.

Für die Jahre 2018 und 2019 liegen den Vereinten Nationen in ihrem im Juli veröffentlichten World Drug Report zwar keine Daten vor. Das Problem sei zudem, dass die Angaben der vorliegenden Zahlen sowie die Methodik der Erhebung in den verschiedenen Ländern variiere, so das UNODC-Experten-Team. Daraus ergebe sich kein einheitliches Bild, auch weil nicht allen Ländern Daten zum Drogenkonsum oder daraus resultierenden Todeszahlen vorliegen.

Aus den vorhandenen Zahlen ließen sich dennoch Schlüsse ziehen, wenn man einen längeren Zeitraum beobachte. Und der Trend zeigt, dass im zeitlichen Verlauf sowohl Drogenkonsum als auch Drogenproduktion gestiegen sind. 2017 wurde mehr Kokain hergestellt, als je zuvor: Insgesamt 1.976 Tonnen - ein Anstieg von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 271 Millionen Menschen zwischen 15 und 64 Jahren gaben an, im Jahr 2017 mindestens einmal Drogen konsumiert zu haben. Mindestens 585.000 Menschen sind 2017 an den Folgen des Drogenkonsums gestorben.


Was bezweckt also eine repressive Drogenpolitik, wenn die Zahlen von Konsum und Herstellung nicht zurückgehen?


"Der Kampf gegen die Drogen ist oftmals auch ein Kampf gegen die Armen", sagt Julia Jaroschewski, die sich als Politikwissenschaftlerin und Journalistin seit mehreren Jahren mit organisierter Kriminalität in Schwellenländern beschäftigt. Sie hat auf den Philippinen mit Menschen gesprochen, die sich zunächst selbst schuldig fühlen dafür, dass sie von Drogen abhängig sind. "Das ist eine einfache Rhetorik: gut gegen böse. Das sind Kriminelle", so laute die Strategie von Präsident Duterte.


Traditionell werden aber durch alle gesellschaftlichen Schichten Drogen konsumiert, in den Slums, ebenso wie in den angrenzenden Reichenvierteln. Ein reicher Teenager, der beim Dealen erwischt wird, habe nach dieser Rhetorik eben "ein bisschen mit Marihuana gedealt", niemand würde auf die Idee kommen, ihn als gefährlichen Kriminellen darzustellen, wie es eben mit den Armen oft geschehe, so Jaroschewski.


Dennoch hat Duterte starken Rückhalt in der Gesellschaft, denn er schafft mit dieser Rhetorik eine vermeintliche Sicherheit für die teils geschürten Ängste. Securitisation, Versicherheitlichung auf Deutsch, nennen Sozialwissenschaftler das Phänomen, wenn bestimmte Probleme, wie Drogenkonsum, zum nationalen Sicherheitsproblem gemacht werden. Damit legitimieren die Entscheider Notfallmaßnahmen wie etwa militärische Intervention in den Slums.


In Brasilien ist die Armee im Kampf gegen schwerbewaffnete Drogenbanden aufmarschiert. In Rio de Janeiro rückten etwa 1.000 Soldaten in das Armenviertel Rocinha ein.

"Repression ist dabei das beste Mittel", sagte Sabine Kurtenbach, Direktorin des GIGA-Instituts für Lateinamerikastudien. Nach ähnlichen Schemata gehen demnach viele Regierungen weltweit im Kampf gegen die Drogen vor. Während auf den Philippinen die Armen von den Repressionen betroffen sind, richtet sie sich in den USA gegen Schwarze oder Latinos. In Brasilien werden vor allem junge, schwarze Männer diskriminiert, als Kriminelle stigmatisiert und auch am häufigsten erschossen. Man braucht nur in etliche Menschenrechtsberichte zu schauen, um dies zu bestätigen.


Dabei hätten gewisse staatliche Akteure kein Interesse daran, ihre Strategie zu ändern, weil sie selbst davon profitieren, so Kurtenbach. "Dann sind die 'Rattenfänger' ganz schnell unterwegs." Denn nach der Logik dieser Versicherheitlichung ist der Kampf gegen die Drogen Grund genug, um die in Razzien begangenen Menschenrechtsverletzungen nicht zu ahnden. Nach einem Bericht von Amnesty International ist in Brasilien die Bereitschaft gestiegen, den Kampf gegen die Drogen in Form hoch militarisierter Sondereinsätze in den Favelas anzugehen. Präsident Bolsonaros Lockerung der Waffengesetze dürfte das Gewaltpotenzial nicht verringert haben, wie Kritiker befürchten.


Julia Jaroschewski, die selbst in Brasilien gelebt hat, kennt die Geschichten der Polizeigewalt aus den Favelas. "Menschen, die in der unteren sozioökonomischen Schicht stehen, können sich weniger wehren und verteidigen. Sie sind deshalb die ersten, die man beschuldigen kann, über die man sagen kann: ‚Das sind Kriminelle'." Gegen sie kann der Staat vorgehen, ohne Konsequenzen zu befürchten - zumal nicht wenige Menschen von diesem System profitieren. Denn auch die Drogenkartelle können nur agieren, wenn sie mit der Polizei, dem Militär oder Teilen der Politik kooperieren: um Grenzpersonal zu schmieren oder Offiziere für's Wegschauen zu bezahlen. Das System ist auch für all diejenigen hochgefährlich, die korrupte Strukturen offenlegen.


Immerhin regt sich gegen die tief verwurzelte Korruption trotz der Gefahr vielerorts die Zivilgesellschaft. In Rio de Janeiro in Brasilien hat sich zum Beispiel ein Meldesystem etabliert, bei dem Korruptionsfälle anonym angezeigt werden können. Denn selbst in den Favelas, das dürfe man nicht vergessen, wohnten zum größten Teil Menschen, die nicht kriminell seien, so Jaroschewski. Und auch sie gerieten bei den Razzien ins Kreuzfeuer.


Neben den zahlreichen Menschenrechtsverletzungenbringt die repressive Drogenpolitik gesundheitliche Konsequenzen für die Gesellschaft: Dadurch, dass das Geld nicht in öffentliche Gesundheitspolitik fließt oder in die Drogenprävention, wissen viele Nutzer nicht um die Risiken ihres Konsums. Sie wissen zum Beispiel nicht, dass es gefährlich ist, sich Nadeln zu teilen und sich so möglicherweise mit HIV oder Hepatitis B/C anzustecken.

Sowohl die Regierungen Brasiliens als auch die Regierung der Philippinen betonen den Erfolg ihrer Politik - schrumpfende Drogenanbauflächen, hochgenommene Labore.


Teilweise seien die Produktionsflächen zwar tatsächlich zurückgegangen - jedoch nur für kurze Zeit, meint Sabine Kurtenbach. Wenn der politische Druck zu groß werde, wechselten Anbau und Produktion über die Grenze, analysieren Lateinamerika-Experten. Das Problem: Wenn sich die Lage entspannt hat, bauen sich die Strukturen von neuem auf. Sabine Kurtenbach spricht vom sogenannten Ballon-Effekt: "Wenn man auf einer Seite drauf drückt, beult es sich auf der anderen Seite wieder aus." Im Falle von Kolumbien seien diese "Beulen" Bolivien oder Peru.


Die Drogenberichte zeigen auch: Es reicht nicht, sich das Ganze drei bis vier Jahre Jahre lang anzuschauen, sondern man "muss die Entwicklungen über einen längeren Zeitraum beobachten", sagt Expertin Kurtenbach. Insbesondere in Kolumbien hat auch der Friedensvertrag mit den FARC-Rebellen für Verschiebungen im Drogenhandel geführt. Zunächst sah es so aus, als würde sich die Situation entspannen und die Politik gemäßigter. Doch mit der Regierung Ivan Duques kehrte bald wieder eine repressivere Politik zurück an die Tagesordnung.


Verbände: Lösung liegt in der Entkriminalisierung


Um von den Gesundheitsfolgen des Drogenkonsums und den Menschenrechtsverletzungen des Anti-Drogenkrieges wegzukommen, müsse sich aber die Politik ändern. "Die Vereinfachung, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen, geht nicht auf", sagt Sabine Kurtenbach. "Der Einsatz von Militär schafft nur noch mehr Probleme." Deshalb müsse die Welt sich ändern hin zu einer Entkriminalisierung von Drogen und ihren Nutzern, darin sind sich Zivilgesellschaft und Gesundheitsverbände einig. Das fordern auch die Vereinten Nationen.


Länder wie Portugal, Bolivien oder auch einige US-Bundesstaaten zeigen, dass die staatliche Regulierung des Drogengeschäfts funktionieren kann. Durch die Aufklärung über den Konsum wüssten die Menschen, was sicher ist, meint auch Julia Jaroschewski. Sie würden als "Nutzer" betitelt und nicht als Drogenabhängige oder Kriminelle abgestempelt, auch von Seiten der Politik. Gleichzeitig müsse die soziale Ungleichheit bekämpft werden. "Heute haben zwar mehr junge Menschen Zugang zu Bildung, aber danach gibt es keine Perspektive im formalen, zivilen Arbeitsleben", sagt Sabine Kurtenbach. Dass solche junge Leute ein Rekrutierungsbecken für Drogenbanden sind, dürfe keinen wundern.


Doch Drogenpolitik geht eben immer mit der Haltung der Regierung einher - ganz gleich ob in Brasilien, den USA oder auf den Philippinen.


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