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Mathias Petersen: „Wähler wissen nicht mehr, wofür wir stehen" - WELT

Unbequem wie eh und je: Genosse Mathias Petersen kämpft für einen Neuanfang seiner SPD

SPD-Politiker Petersen „Viele Wähler wissen nicht mehr, wofür wir stehen"

Der Hamburger Sozialdemokrat Mathias Petersen fordert einen grundsätzlichen Neuanfang seiner Partei. Der Adressat seines Unmuts ist die SPD-Führung in Berlin, der Anlass das zur Wahl stehende Sondierungspapier.

Seit 1982 ist Mathias Petersen Mitglied der SPD. Und seither hat der Arzt aus Hamburg-Altona etliche Höhen und Tiefen in seiner Partei durchlebt. Er war Landesvorsitzender, wollte Bürgermeister werden und sitzt noch heute im Landesparlament der Hansestadt. Doch das, was auf dem Weg zu einer Regierungsbildung im Bund derzeit in seiner SPD passiert, erschüttert den 62-Jährigen zutiefst.

So überrascht es nicht, dass sich der unbequeme Genosse in diesen Tagen wieder stärker zu Wort meldet. Dabei fühlt sich der Beobachter beinah an Zeiten erinnert, als Petersen - der auf dem Weg zum sicher geglaubten Bürgermeisteramt einst über seine eigene Partei stolperte - etwa gegen den Bau der Elbphilharmonie stimmte. Diese Vehemenz ist noch da - getreu seinem Lebensmotto „Nicht das Maximum für den Einzelnen, sondern das Optimum für die Gemeinschaft". Der Adressat seines Unmuts ist die SPD-Parteiführung in Berlin, der Anlass das am Sonntag zur Wahl stehende umstrittene Sondierungspapier.

Kritik am Verhalten des Bundesvorstandes

Petersen fordert „eine wirkliche Erneuerung der Partei - sowohl personell als auch programmatisch" und „unabhängig davon, ob wir in die Regierung oder in die Opposition gehen". Das Verhalten des Bundesvorstandes müsse sich grundlegend ändern. „Wir haben in den vergangenen Jahren eine Wahlniederlage nach der anderen eingefahren, und keiner aus dem Bundesvorstand, außer Peer Steinbrück, hat Konsequenzen daraus gezogen", betont Petersen. Das habe bei den Menschen das Gefühl vermittelt, dass es nur um Posten gehe. Genau darum dürfe es aber nicht gehen. Petersen: „Es darf auch nicht sein, dass ein Bundesvorsitzender sagt, dass er nie als Minister unter Frau Merkel in ein Kabinett gehen würde, und jetzt andeutet, dass er es vielleicht doch tue." Dann glaube der SPD „niemand mehr irgendetwas", und die Partei habe „keine Chance mehr, den Menschen zu sagen, worum es uns geht".

Auf die Anmerkung, dass er mit seiner Kritik an der Parteiführung Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz mit einschließt, antwortet Petersen: „Zum Beispiel", und fügt hinzu, „auch dass Andrea Nahles jene Genossen basht, die gegen das Sondierungspapier sind, geht nicht. Wir sind eine Partei, die immer diskutiert hat. Und das müssen wir auch weiter tun." Die SPD müsse akzeptieren, dass es unterschiedliche Meinungen innerhalb der Partei gebe „statt sie in eine Ecke abzuschieben und als falsch abzustempeln".

Der 62-Jährige erkennt eine tief zerrissene Basis. Deutlich sichtbar sei dies auch am Dienstagabend in Hamburg geworden, als etwa 130 Genossen aus seinem Kreisverband Altona in der Aula der Louise-Schroeder-Schule über das Sondierungspapier stritten - während ein paar Kilometer weiter der Landesvorstand „einvernehmlich" die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union empfahl.

Vorsitzender der Elb-SPD ist Bürgermeister Scholz, zugleich Parteivize im Bund, beheimatet in Altona. In einem lebendigen Szenebezirk, der mit dem Projekt „Mitte Altona", einem Quartier aus rund 1600 Wohnungen, längst gen Zukunft aufgebrochen ist. Die SPD indes ringt auch dort, wie vielerorts, um einen Neuanfang. Manche Genossen sorgen sich darum, wo sie nach der nächsten Bundestagswahl landen könnten. Andere hingegen befürchten bereits eine Katastrophe, wenn es noch 2018 zu Neuwahlen kommt. Und wiederum andere in Altona glauben, dass eine Profilschärfung nur in der Opposition möglich ist.

Wohl auch deshalb ergab die Abstimmung am Dienstagabend unter den Genossen in der Louise-Schroeder-Schule über das Sondierungspapier ein Unentschieden. „Ein Stimmungsbild", so Petersen, das den Zustand seiner Partei insgesamt widerspiegele - und zwar „eine große Unsicherheit darüber, wie es weitergeht". Der 62-Jährige erklärt das Dilemma: „Im Grunde weiß keiner so wirklich, welcher Weg der richtige für die SPD ist." Die Folge: „Viele Wähler wissen nicht mehr, wofür wir stehen beziehungsweise wo der Unterschied zwischen der SPD und der CDU ist."

Petersen wird Sondierungspapier zustimmen

Ein erster Schritt für Petersen ist der Weg zurück zu den Bürgern: „Wir müssen direkt vor Ort wieder viel deutlicher machen, worum es unserer Partei geht. Früher saß in jedem Kleingartenverein im Vorstand ein Sozialdemokrat, weil die Sozialdemokraten aus der Mitte der Gesellschaft kamen." Der Kleingartenverein von früher seien die sozialen Medien von heute, und dort müssten die Genossen mehr mit den Themen stattfinden, die die Menschen bewegten.

Das schlägt sich aus Sicht des 62-Jährigen auch im Sondierungspapier nieder. Zwar beinhaltet die Vereinbarung Punkte, die er begrüßt, darunter die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und die Erhöhung des Kindergeldes.

Petersen: „Wir sind jedoch für mehr soziale Gerechtigkeit angetreten, und da hat dieses Sondierungspapier einen großen Mangel. Der äußert sich darin, dass Menschen, die am untersten Ende der Einkommensskala sind, also abhängig von staatlicher Unterstützung, sehr wenig bis nichts davon haben." Weder „die 30-jährige alleinerziehende Hamburgerin mit zwei kleinen Kindern, die von staatlicher Unterstützung abhängig ist". Noch die „Rentnerwitwe, die 34 Jahre gearbeitet hat und Grundrente bekommt". Gerade diese Menschen müsste die SPD aber im Blick haben.

Als einer von 15 Hamburger Delegierten reist Mathias Petersen am Sonntag zum Parteitag nach Bonn. Er wird dem Sondierungspapier zustimmen. Aber nur aus dem Grund, weil er möchte, „dass die Mitglieder eine Chance haben, über einen möglichen Koalitionsvertrag abzustimmen". Die Sozialdemokratie sei in einer so schwierigen Situation, dass es nicht sein könne, dass „irgendwelche Parteitagsdelegierte über die Mitglieder hinweg eine so wichtige und richtungsweisende Entscheidung fällen". Sollte es zu einem Mitgliederentscheid kommen und „alles so bleiben wie im Sondierungspapier", wird er „wahrscheinlich dagegen stimmen".

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