“Such und finde! Mit Vermisstensuchhunden im Gebirge”
Bellen, Jaulen und Rufe schallen über die steile Felsplatte am Schrecksattel auf der Reiteralpe im Berchtesgadener Land. Eine Frau, acht Männer klettern an Seilen gesichert die fast senkrechte, gut 50 Meter hohe Wand rauf. Das Besondere: Sie haben ihre Hunde dabei. Die Aktion ist keine Spinnerei gelangweilter Hundehalter, sondern eine Übung der Hundestaffel der Bergwacht Chiemgau. “Das ist Riesenstreß – für den Hund, aber auch für mich”, sagt Jörg Riechelman, der sich und seinen Schäferhund Enzo, der in einem speziellen Tragegeschirr steckt, abseilt, “aber es geht eben darum, daß sich der Hund auch solch extremen Situation gewöhnt.” “Und wenn er mir nicht voll vertrauen würde,” ergänzt sein Kollege Korbinian Conway, der gerade seine Hündin Lana per Karabiner sichert, “ginge das gar nicht.” Vertrauen, Gewöhnen, Gehorsam – nicht nur das wird mit den Hunden regelmäßig trainiert. Sie werden ausgebildet, um Vermisste Personen im Gebirge zu finden.
Nach dem Abseilen beginnt die eigentliche Übung. Eine Person mimt einen Vermissten und versteckt sich auf in einem bewaldeten und mit Felsen und Büschen durchsetzten Hand auf der weitläufigen Reiteralpe. Jörg Riechelmann legt Enzo ein Suchgeschirr mit dem Aufdruck “Bergwacht” an – für Enzo ist das das Startsignal. Und an seinem Halsband befestigt Riechelmann ein Bringsel – eine Beißwurst aus einem beißfesten Kunststoff, das noch eine wichtige Rolle spielt. Dann gibt Riechelmann das Kommando “such!” und schon rast Enzo bergauf Richtung Waldstück – immer der Nase nach. Hunde suchen nicht mit dem Auge, sondern der Nase. Während der Mensch etwa 5 bis 6 Millionen Riechzellen hat, besitzen manche Hunderassen über 200 Millionen. Damit “sieht” der Hund. Enzo hat jetzt Menschengeruch in der Nase und rast in die Richtung, aus der der Geruch kommt. Sobald er die Person entdeckt hat, wirft er sich das Bringsel, das um seinen Hals hängt, ins Maul und läuft zu Jörg Riechelmann zurück. Der erkennt schon von Weitem das Bringsel in Enzos Maul, leint den zurückgekehrten Hund an und folgt ihm so – ohne Leine hätte Riechelmann keine Chance, da Enzo viel zu schnell ist. Selbst mit Leine ist Riechelmann nach wenigen hundert Metern völlig außer Puste, als beide den Vermissten erreichen. Dennoch muß Riechelmann, der kaum Luft bekommt, lauten Jubel anstimmen, streichelt Enzo, lobt ihn und gibt ihm zur Belohnung seine Beißwurst: Enzo hat das “Spiel” gewonnen und bekommt jetzt seine Siegprämie. Für ihn ist jede Suche ein Spiel, egal ob Übung oder Ernst. “Selbst dann wenn wir einen Toten finden,” sagt der Leiter der Hundestaffel Stefan Strecker, “müssen wir uns mit dem Hund freuen und ihn loben.” Denn nur wegen der Belohnung und der Aussicht darauf, ein Spiel zu spielen und zu gewinnen, begibt sich der Hund jedes Mal wieder auf die Suche.
Sehen mit der Nase
Währenddessen hat sich auch Achim Tegethoff, ebenfalls Hundeführer der Staffel, mit seiner Hündin Cira fertig gemacht – sie hat eine noch schwerere Aufgabe zu erfüllen, so Tegethoff: “Wir haben das Problem, daß unser Gesuchter auf einem Baum sitzt und der Hund kann nur die Geruchspartikel des Menschen riechen, die auf den Boden gefallen sind.” Ein durchaus realistisches Szenario: Immer wieder hängen Gleitschirmflieger, aber auch Selbstmörder im Baum und müssen gesucht werden. Aber weil der Hund mit der Nase “sieht” und nicht mit den Augen, wird er die Person im Baum nicht sehen. Für ihn ist es extrem schwer die Geruchspartikel auf den Boden mit einer über ihm hängenden Person zu verbinden. In solchen Fälle hilft auch Technik. Cira hat einen GPS-Sender im Halsband. Auf seinem GPS-Gerät kann Achim Tegethoff so die Spur verfolgen, die Cira läuft. Und er kann selbst aus großer Entfernung erkennen, wenn Cira sich immer wieder um eine Stelle kreist oder sie kreuzt. Das ist dann ein klarer Hinweis, daß Cira zwar etwas erschnüffelt hat, aber nichts findet – so wie auch in diesem Fall: Nach wenigen Minuten haben beide – Mensch und Hund gemeinsam – den Vermissten gefunden.
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