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Prahlen nach Zahlen

Wie ein Algorithmus Herthas Jungprofi Luca Netz eine strahlende Karriere vorhersagt            


Der GSN-Index gibt Fußballern einen Wert zwischen null und 100. Ein Jungprofi von Hertha steht demnach vor einer goldenen Zukunft.


Dustin Böttger liebt schönen Fußball. Wenn er von Herthas 17 Jahre alten Ausnahmetalent Luca Netz spricht, gerät er richtig ins Schwärmen. „Er hat die Anlagen eines Weltklasse-Verteidigers. Da muss schon viel schieflaufen, dass der nicht in der Champions League und der Nationalmannschaft landet.“

Die außerordentlich kühne Einschätzung des 36 Jahre alte Fußball-Nerds aus Sandhausen basiert allein auf den blanken Zahlen eines Algorithmus. Weil dem ehemaligen Scout vor ein paar Jahren seine eigenen Spieler-Analysen zu subjektiv erschienen, gründete Böttger mit Ende 20 seine eigene Scoutingfirma und entwarf mit einem Team aus Informatikern und Fußball-Freaks einen objektiven Index-Wert zur Bewertung von Spielern.

Der nach seiner Firma „Global Soccer Network“ benannte GSN-Index bündelt seitdem alle leistungsrelevanten Informationen in einem leicht zu vergleichenden Wert von null bis hundert. Selbst große europäische Spitzenklubs wie Manchester City, Paris Saint Germain oder Benfica Lissabon vertrauen dieser Analyse. Herthas Linksverteidiger Luca Netz, der im Sommer durch einen Mittelfußbruch zurückgeworfen wurde und noch keine einzige Minute in der Bundesliga gespielt hat, sagt dieser Index eine blendende Zukunft voraus.

„Der Index besteht aus mehr als tausend verschiedenen Datenclustern, Metriken und Informationen, die ein Algorithmus genauestens dosiert und in einen sinnvollen Kontext setzt. Wir können uns auf diese Prognosen daher so gut wie immer verlassen“, sagt Böttger und erklärt weiter: „Die erste Datenansammlung, aus dem der endgültige Wert besteht, speist sich aus der fußballerischen Qualität, die Luca Netz mit 17 Jahren mitbringt.“ Dieser Status Quo ist die Summe aus Statistiken und der subjektiven Einschätzung von Scouts. Gerade bei Jugendspielern, die sich noch nicht auf hohem Niveau beweisen konnten, spielen dabei auch Beobachtungen aus dem Training eine große Rolle.

Hier überzeugt Netz mit sicherem und kreativen Passspiel, hohen technischen Fähigkeiten mit beiden Füßen und einem starken Antritt gepaart mit einer für sein Alter ungewöhnlich hohen Physis. „Mit diesen Werten wäre er auch mit 25 ein ganz passabler Bundesligaverteidiger, der weder besonders positiv noch negativ auffällt. Aber da er bereits jetzt so weit ist, hat er das Zeug zur Granate“, sagt Böttger.

In der Bewertung von jungen Spielern ist der Blick auf das Potenzial besonders wichtig. Diese zweite Säule basiert auf einem Algorithmus, der in ähnlicher Form auch zur Einschätzung von neuen Unternehmen an der Börse angewandt wird. Neben den bereits verfügbaren Daten von der Entwicklung ähnlicher Talenttypen bewertet GSN seinen Schulabschluss, die Qualität der Jugendtrainer und Rückschlüsse auf seine Intelligenz. „Luca Netz ist ein aufgeweckter Junge und hatte das Glück, bei einem vorbildhaften Nachwuchs-Leistungszentrum ausgebildet worden zu sein. Außerdem ist er ein fester Bestandteil der deutschen U-Nationalmannschaften – das schadet natürlich auch nicht“, sagt Böttger.

Auch wenn all diese Punkte stark dafür sprechen, dass Netz seine ohnehin schon hohe fußballerische Qualität noch deutlich steigern wird, hat die Einschätzung von jungen Spielern vor allem bei schweren Verletzungen zu kritischen Zeitpunkten oder mangelnder Spielpraxis beim Verein eine nicht zu unterschätzende Fehleranfälligkeit. „Ein ungünstiger Transfer zu einem zu großen oder zu kleinen Verein könnte Luca Netz’ Entwicklung extrem hemmen. Aber wenn er gesund bleibt und bei Hertha langsam an erste Bundesliga-Einsätze kommt, steht einer großen Karriere nicht mehr viel im Weg.“

Für diese Entwicklung hat Netz momentan den richtigen Trainer. Bruno Labbadia hat bei seiner Zeit in Stuttgart die Bundesligadebüts von Timo Werner und Antonio Rüdiger ermöglicht und auch in Berlin angekündigt, trotz der vielen Windhorst-Millionen auf vereinseigene Talente zu setzen. Das bestätigt er auch, wenn man ihn auf Luca Netz anspricht. „Das ist ein guter Junge. Wir haben einen Mittelfristplan mit ihm und wollen ihn so entwickeln, dass er irgendwann auch spielen kann.“

Momentan kommt Netz am zum Saisonstart gesetzten Maximilian Mittelstädt und dem kürzlich wiedererstarkten Marvin Plattenhardt nicht vorbei. In der letzten Transferperiode scheiterte Preetz nur knapp daran, mit Wendell aus Leverkusen sogar einen weiteren gestandenen Profi für diese Position zu verpflichten.Bei Hertha möchte man nämlich trotz der vielversprechenden Anlagen ihres Eigengewächses die Ruhe bewahren und nichts überstürzen.

So hört man in der Einschätzung von Labbadia zwischen dem Lob, das sich mit Böttgers Daten deckt, auch zarte Kritik am noch jungen Verteidiger. „Er hat für einen Linksfuß auch einen sehr guten rechten Fuß, das ist sehr selten. Außerdem hat er eine starke Flanke und trifft gute Entscheidungen. Aber er muss noch das Spieltempo und die Intensität der Bundesliga adaptieren. Wenn er müde wird, merkt man, dass er seine gute Linie verliert“, sagt Labbadia.

Der erfahrene Bundesliga-Trainer spricht damit ein altersbedingtes Manko in Netz’ Spiel an, das auch Böttger über seinen „Performance Score“ erkannt hat. Um diesen Wert zu ermitteln, setzt GSN alle verfügbaren und relevanten Daten, die auf dem Spielfeld erfasst werden, in einen schlüssigen Kontext. Neben der zeitlichen Differenzierung, um zu bewerten, inwiefern ein Spieler nach einer gewissen Zeit nachlässt, werden die Daten vor allem in einen positionsbedingten Kontext gesetzt.

„Bei der Bewertung eines Linksverteidigers sind natürlich andere Daten relevant als bei einem Stürmer“, erklärt Böttger. „Doch das bedeutet nicht nur, dass bei Verteidigern eher auf die Zweikampfquote als auf die Torschüsse geblickt wird. Die Analyse geht viel tiefer.“ Ein wichtiger Wert in der Beurteilung des Defensivverhaltens, in der Luca Netz besonders gut abschneidet, ist nämlich nicht nur die bloße Zweikampf- oder Passquote, sondern der „Expected Goals“-Wert des gegnerischen Stürmers nach dem geführten Zweikampf. Ist die erwartete Torgefahr des Angreifers selbst nach einem gewonnen Zweikampf niedrig, hat Netz seinen Job gut gemacht – auch wenn er das Duell auf dem Papier verloren hat.

Bleibt die Frage, welche Aussagekraft all diese Werte haben, wenn Netz bis jetzt doch nur in der Regionalliga Nordost gespielt hat? Schließlich ist es deutlich einfacher, den Stürmer der VSG Altglienicke vom Tor fern zu halten, als gegen Leroy Sané oder Erling Haaland ins Laufduell zu gehen. Doch auch diese Voraussetzung berücksichtigt der Algorithmus. Nach dem Vorbild der ELO-Zahl aus dem Schach werden die Leistungen jedes Spiels immer in Relation zur Qualität des Gegners und der Liga gesetzt. Einen richtig hohen Wert kann Netz daher erst erreichen, wenn er regelmäßig in der Bundesliga spielt.

Aus diesem Grund ist für Vereine auf der Jagd nach neuen Talenten der „Possible GSN-Index“ entscheidend. Dieser Wert fasst all die erwähnten Informationen zusammen und berechnet die bestmögliche Entwicklung. Luca Netz’ Possible GSN-Index liegt bei 87,39 – ein phänomenaler Wert, der an große Verteidiger wie Virgil Van Dijk, Kyle Walker oder Jordi Alba heranreicht. Wenn alle Beteiligten die Ruhe bewahren, könnte Luca Netz mal ähnlich erfolgreich werden. Spätestens dann werden alle über ihn schwärmen. Ganz ohne Daten.

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