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Grusel und gute Töne – Nosferatu trifft in Gera auf das Kyiv Symphony Orchestra

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In Gera wird es schon zehn Tage vor Halloween gruselig. Im KuK wird am 21. Oktober der Stummfilmklassiker „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ gezeigt, die Begleitmusik kommt live vom Kyiv Symphony Orchestra. Das Orchester ist seit über einem Jahr zu Gast in Gera.

„Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (Regie Murnau), ist kein Film für schwachnervige Menschen, hingegen ein Standardwerk der deutschen Filmindustrie“, kommentierte es Rosa Wachtel 1923 für Die Filmwelt. Die Zeitung Sport im Bild führte 1922 aus: „F.W. Murnau, durch seine exklusiven Regieleistungen als Qualitätsarbeiter bekannt, hat diesen Film inszeniert, das Spukhafte der Idee mit hoher künstlerischer Auffassung und mit den feinsten künstlerischen Mitteln wiedergebend.“ Selbige Zeitung bezeichnete den im März 1922 uraufgeführten Film als „das größte Ereignis dieser Saison“.
Die Idee zu dem Film kam von Albin Grau, der zusammen mit Enrico Dieckmann die Produktionsfirma Prana GmbH führte. Er beauftragte Henrik Galeen ein Drehbuch zu schreiben, welches sich an Bram Stokers Schauerroman "Dracula" orientierte. Allerdings holte man sich dafür nicht die Rechte ein. Stokers Witwe klagte und gewann. 1925 ordnete ein Gericht die Zerstörung aller Kopien an. Der Film überlebte, dank einiger Kopien und Schnittfassungen, die sich zu dem Zeitpunkt im Ausland befanden. Die Handlung im Film erzählt vom Grafen Orlok aus den Karpaten, der 1838 im fiktiven Ostseestädtchen Wisborg ein Haus kaufen will. Daraufhin schickt der Makler Knock seinen Sekretär Thomas Hutter zur Unterzeichnung zum Grafen. Mehrfach wird Hutter gewarnt, aber viel zu spät erkennt er, dass der Graf ein Vampir ist. Der ist mittlerweile auf dem Weg nach Wisborg und mit ihm Tod und Verderben. Mit ihm reisen Ratten, die die tödliche Pest verbreiten.

Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau schuf zusammen mit dem Thüringen geborenen Kameramann Fritz Arno Wagner ein expressionistisches Meisterwerk. Viele ihrer Effekte, Details und Stilmittel wurden von späteren Vampir- und Horrorfilmen übernommen. „Nosferatu“ gilt heute als Filmklassiker und wurde seinerzeit in den Kritiken gelobt, war aber kein an den Kassen erfolgreicher Film. Heute wird er als eines der wichtigsten Werke des Weimarer Kinos (1918-1933) gesehen. Dieser Film hätte auch keine zehn Jahre später gedreht werden können. Regisseur Murnau war homosexuell, der Hutter-Darsteller Kommunist und einige der Mitwirkenden hatten eine jüdische Abstammung.

Den Stummfilm begleitet am Wochenende das Kyiv Symphony Orchester unter dem Dirigenten Vitalitii Protasov mit der von Hans Erdmann komponierten Musik. Einen direkten Bezug zu Gera und dem Orchester hat der Film nicht, obgleich der Darsteller des Grafen, Max Schreck, eine Zeit lang als Bühnendarsteller in Gera engagiert war und der Darsteller des Maklers, Alexander Granach, in der heutigen Ukraine geboren wurde. Diese Art von Konzert hatte das Orchester in der Ukraine schon gespielt, wenn auch meist modernere Blockbuster. In Gera setzt man das nun fort. Im Mai wurde so schon der Film „Metropolis“ von Fritz Lang in Gera aufgeführt. Für Protasov ist es jedoch das erste Mal dieser Art, auch wenn er schon länger mit dem Orchester zusammenarbeitet. „Ich finde diese Erfahrung sehr interessant.“ Er findet das schwieriger, als ein normales Konzert zu dirigieren. „Hier muss man die Zeit im Auge behalten und schauen, was in dem Film passiert, um die Musik wirken zu lassen.“

Von Kyjiw nach Gera – Ein Orchester im Krieg
Mit diesem Konzert haben die Gerschen zum wiederholten Mal die Chance, die Künste des Sinfonieorchesters aus der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw zu bewundern. Seit Sommer letzten Jahres residiert das Orchester schon in Gera.

Als im Februar 2022 der großangelegte Angriff Russlands auf Ukraine begann, flüchteten auch die Mitglieder des Orchesters. Dem Intendanten Oleksandr Zaitsev gelang es, sie wieder zusammenzubringen. Das war sehr schwierig, denn einige waren in bereits besetzten Gebieten, andere waren noch in einem Schockzustand. Das Kultusministerium erlaubte ihnen sogar als Ganzes das Land zu verlassen, jedoch nur, wenn sie eine Einladung haben. Dabei half die Künstleragentur KD Schmid, die in kürzester Zeit eine Tour organisierte. Über Polen ging es nach Deutschland, wo das Orchester in den größten Konzerthallen spielte. Mit dem Ende der Tour war eine dauerhafte Bleibe gesucht. Die fand sich ausgerechnet in Gera, der Stadt, in deren Osten einst Uran für die Sowjetunion abgebaut wurde. Glücksfall war ausgerechnet der große Leerstand an Wohnungen in Gera. So konnte man das Orchester samt Familien unterbringen. Vermittelt hatte die Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die dabei an ihre thüringische Heimat dachte.

Neuer Trainingsort ist nun die Tonhalle, wo fleißig geprobt wird. Auch wenn die Akustik des Ballettsaals der Tonhalle nicht so gut ist, wie in deren Base in Kyiw. „Die Akustik ist sehr laut, manchmal ist es ziemlich schwer“, findet die Cellistin Daria Dziadevych. Trotzdem sind die Freude und Dankbarkeit für die Unterkunft groß. „Wir bleiben gerne hier “, meint Intendant Zaitsev.
Erschüttert ist man über die Demonstration aus dem rechtsextremen Spektrum, die jeden Montag mit Russlandfahnen durch die Innenstadt zieht. „Das Ziel der Russen ist es, die Ukrainer auszurotten“, erklärt die Violinistin Tetiana Bahrii. „Dafür sind sie in unser Land gekommen und das ist es, was sie dort tun. Und wenn ich diejenigen sehe, die Russland unterstützen, möchte ich fragen: warum? Warum wollt ihr meinen Tod?“

Das Orchester befindet sich auch an der Front, wenn auch nur der kulturellen Front. Denn Russland greift nicht nur militärische Ziele an, sondern versucht auch, das Leben und die Kultur der Ukrainer zu zerstören. Deshalb muss auch die ukrainische Kultur um ihren Fortbestand kämpfen. Es geht darum, der Welt die Vielfalt und Größe ihrer Kultur zu zeigen und sie nicht von Russland beeinflussen zu lassen. Durch ihre Konzerte hält das Orchester einen Teil dieser Kultur am Leben. Sie spielen viele Stücke ukrainischer Komponisten. Die sind dem Stil europäischer Komponisten zwar ähnlich, aber hier weitestgehend unbekannt. „Nach den Konzerten kamen viele deutsche Musiker zu uns und fragten: Wie heißt der Komponist? Können sie uns die Partituren geben? Erzählen Sie uns von der Person“, berichtet Zaitsev.

In Gera hat das Orchester einen Ort zum Verweilen gefunden. Von hier aus kann das Orchester auf Tour gehen und proben, auch wenn sie durch Nachrichten und die Demonstrationen weiterhin mit dem Krieg konfrontiert werden. „Man kann es auch in Inspiration umwandeln “, findet Dziadevych.

„Das Ganze wirkt wie ein Angsttraum, ein schwerer Alb auf dem Gewissen der Menschheit, und erst am Schluss des Films wendet sich das Grauen, das Erdrückende dieses Werkes, zur Erlösung.“ Dieser Satz stammt aus der Film-Rezension der Zeitung Sport im Bild, doch er passt auch zur Geschichte des Orchesters.
Text & Fotos: Jacob Queißner