Wer Turkmenistan auf eigene Faust bereisen will, hat nur fünf Tage Zeit, denn länger sind die Transitvisa der Diktatur nicht gültig. Unser Autor hat sich in eines der abgeschottetsten Länder der Erde gewagt.
Mit was für einem Land man es hier zu tun hat, wird einem direkt am Eingang klargemacht. An einem tankstellengroßen, blitzsauberen Gebäude, umgeben vom schroffen Fels des Kopet-Dag-Gebirges, baumelt das Porträt von Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow. Ausgebleicht wie ein Vampir posiert er grinsend vor einem Wandteppich mit traditionellem Muster, neben der Pferdezucht der halbe Stolz Turkmenistans.
Es ist das Grinsen eines Mannes, der die Reichtümer seiner Nation fest im Griff hat, das Volk unterdrückt, während seine Gattin sich in London eine schöne Zeit macht. Ein zentralasiatisches Diktatorengrinsen. Ein paar Meter unter ihm eine Ehrentafel: 2006 wurde dieser Grenzposten von seinem Vorgänger Saparmurat Nijasow eingeweiht, gemeinsam mit Mahmud Ahmadinedschad.
Iran und Turkmenistan. Auf der einen Seite der Grenze ist der Alkohol verboten und die Frauen sind verhüllt. Auf der anderen gelten diese Regeln nicht, weshalb man sich fast ein wenig auf seine wiedergewonnenen Freiheiten freut, obwohl man dabei ist, in eine der strengsten und isoliertesten Diktaturen der Welt einzureisen, die im Pressefreiheitsindex stets einen der drei letzten Plätze reserviert hat.
Wer hier die Grenze überquert, ist entweder ein mit Unmengen von Alltagsgegenständen beladener Turkmene, der im billigen Iran auf Shopping-Tour war. Oder ein Abenteurer aus dem Westen, verrückt genug, um in diesem Freiluftgefängnis seinen Urlaub zu verbringen, so wie wir.
Wer nicht gerade eine teure begleitete Tour bucht, bei der man in Nordkorea-Manier auf Schritt und Tritt von Guides begleitet wird, ist auf ein Transitvisum angewiesen und muss bei Ein- und Ausreise mindestens einmal die Grenze über Land passieren. Zum Beispiel hier, am Howdan Highway.
Was einen auf der anderen Seite der Gipfel erwartet, kann man aus dem Fenster des Grenzbusses schon nach wenigen Minuten erspähen: Am Fuße des Bergs schläft ein weißer Riese. Aschgabat, die Hauptstadt des Landes, ein endloses Meer marmorner Bauten und das Zuhause von einer der knapp sechs Millionen Turkmenen - die man aber kaum zu Gesicht bekommen wird. Die wenigen Quadratmeter dieses Busses, in dem sich schnatternde, bunt gekleidete turkmenische Frauen gegenseitig zum Tanz auffordern, während grummelige Männer um Sitzplätze streiten, wird vorerst der lebendigste Ort der Reise bleiben.
Aschgabat – arabisch für „Stadt der Liebe“ – wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von den Sowjets als zentralasiatischer Außenposten gegründet, während die Turkmenen noch ein überwiegend nomadisches Dasein führten. Aus dieser Ära ist nichts übrig, zu verdanken einem Erdbeben, das die Stadt 1948 vollständig zerstörte.
Einer der Überlebenden war der damals dreijährige Saparmurat Nijasow, der nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion die Macht an sich riss und mit Petrodollars das moderne Aschgabat baute. Hin und wieder sieht man noch alte sowjetische Plattenbauten, die erste Geige spielen aber die prunkvollen Hotels, Statuen und Regierungsgebäude der Nijasow-Jahre, stilistisch ein Mix aus Dubai und Pjöngjang.
Sie haben Turkmenistan das Image eines Diktatoren-Freizeitparks verschafft, und wer durch Berzengi, den auf dem Reisbrett entworfenen Süden der Hauptstadt spaziert, weiß warum. Allem, was Nijasow lieb war, ist hier eine goldene Statue gewidmet. Die Akal-Teke-Pferde. Das Halbmond-Emblem mit den fünf Sternen. Natürlich der Führer selbst. Sogar das „Ruhnama“ wurde in Stein gehauen, ein pseudoreligiöses Buch, das Nijasow geschrieben haben soll - um den Einfluss des Islam einzudämmen.
Und überall, wo noch ein paar Quadratmeter frei waren, steht eine Fontäne. Das Plätschern des Wassers ist der einzige Sound dieser Geisterstadt, nur unterbrochen von Soldaten, die einem stets ein lautes „Mister!“ hinterherrufen, um auf das Fotografierverbot hinzuweisen.
Das Einzige, was Nijasow nicht hat bauen lassen, ist eine U-Bahn, sodass man bei brüllend heißen Temperaturen jenseits der 40 Grad auf Busse angewiesen ist, in denen turkmenische Schlagermusik läuft. Die Fahrer tragen soldatisch anmutende grüne Uniformen, die ultramodernen Haltestellen sehen aus wie Ufos.
In manchen läuft auf einem großen Bildschirm eine Art propagandistischer Imagefilm über genau jene gähnend leeren weißen Straßen, von denen man umgeben ist. Jede Laterne, jedes Wasserspiel sieht aus, als hätte man es vor wenigen Minuten noch glatt poliert, um vor dem Touristen einen guten Eindruck zu machen. Und tatsächlich: Die einzigen Menschen, denen wir auf unserem Spaziergang begegnen, malen neue Spurstreifen auf den Asphalt oder putzen eine Ampel.
Ein besonders absurder Anblick sind jedoch nicht Statuen oder Haltestellen, es sind die Russen: Auch 26 Jahre nach der Unabhängigkeit sind nicht alle russischstämmigen Turkmenen zurückgekehrt, geschweige denn assimiliert.
Während ausnahmslos alle turkmenischen Frauen die traditionellen bunten Kleider mitsamt den hochgesteckten turbanartigen Kopftüchern tragen, laufen die Russinnen in Jeans oder Hotpants durch die Stadt, sprechen Russisch und erwecken auch sonst den Eindruck, als seien sie gerade erst aus Moskau eingeflogen. Dabei sind die meisten von ihnen turkmenische Staatsbürger und haben das russische Mutterland noch nie gesehen. Egal ob in den Städten oder selbst den Dörfern der Karakum-Wüste: Überall trifft man auf eine Minderheit, die schlechter nicht integriert sein könnte, wie es scheint.
Wir verlassen Aschgabat am zweiten unserer fünf Tage. Viele Wege führen nicht von hier weg. Einer gen Westen ans Kaspische Meer, ein zweiter nach Mary, eine im Osten gelegene Stadt, von der die meisten Menschen wahrscheinlich noch nichts gehört haben, deren antiker Vorgänger Merw vor 800 Jahren aber eine der größten der islamischen Welt war.
Wir wählen den dritten Weg, mitten durch die Karakum, in der fast nichts gedeiht, die aber trotzdem die größte Attraktion des Landes bereithält. Unsere Fahrt dorthin können wir zum Teil in Zigaretten bezahlen, wieder so ein turkmenisches Kuriosum, an dem Nijasow schuld ist: Nach einer Herzoperation im Jahr 1998 durfte er nicht mehr rauchen - und verbot es kurzerhand dem ganzen Volk.
Er starb zwar 2006, doch sein Nachfolger schaffte das Gesetz nie ab, sodass Verkauf und Konsum von Tabakwaren bis heute illegal sind - nicht jedoch die Einfuhr. Touristen dürfen zwei Schachteln pro Kopf ins Land bringen, was ihnen neben US-Dollar und Turkmenistan-Mandat eine dritte Währung beschert.
Zwölf Kilometer abseits der Wüstenautobahn, auf der uns fast genauso viele Kamele wie Autos entgegenkommen, tut sich plötzlich ein Loch auf. Lodernde Flammen, Gasgeruch. Mit jeder Windböe ein neuer, unerträglicher Hitzestoß. Wir sind angekommen am Gaskrater von Derweze, einer Sehenswürdigkeit, die man kaum anschauen kann, weil die Augen so brennen.
Das „Tor zur Hölle“, so haben die Einheimischen diesen Ort getauft, entstand nicht auf natürliche Weise, sondern durch das Missgeschick einiger sowjetischer Ingenieure: 1971 wurde hier ein riesiges Erdgasvorkommen entdeckt, doch beim Versuch, es zu fördern, zündeten die Arbeiter das Gas aus Versehen an. Das ist die eine Version.
Die offizielle besagt, dass man das austretende Methan nach einem fehlgeschlagenen Förderversuch vernünftigerweise selbst in Brand setzte, weil verbranntes Methan immer noch weniger klimaschädlich ist. Das Feuer sollte, so schätzte man damals, nach einigen Wochen von allein ausgehen. Es brennt bis heute. Ein orangeroter Kreis in der endlosen, tristen Karakum, rund 70 Meter im Durchmesser.
Das eigentliche Dorf Derweze gibt es immer noch. Einige Kilometer vom Krater entfernt liegt es auf der anderen Seite der Autobahn und wird von einigen Tausend Turkmenen bewohnt, die einst bei anderen Erdgasfeldern in der Wüste Arbeit fanden. Heute verdienen manche ihren Lebensunterhalt dank der Touristen.
Spätabends, wenn Mond und Sterne aufgegangen sind, sieht man regelmäßig ein Scheinwerferpaar aus dem Dunkeln kommen. Ein silberfarbiger Geländewagen nähert sich dem Krater. Im Kofferraum: ein Kühlschrank voller Bier. Die Männer aus dem Dorf verlangen stolze vier Dollar pro Flasche. Die zeltenden Touristen nehmen dankend an. Turkmenen sind gute Geschäftsleute, auch in der Wüste.
Um nach dem atemberaubenden Sonnenaufgang der Karakum weiter gen Norden an die usbekische Grenze fahren zu können, braucht man Geduld und Nerven. Hier kommt nur ein Bus am Tag vorbei, ohne planmäßigen Halt. Man muss ihn abfangen. Scheitert man, darf man 24 Stunden im Sand auf den nächsten warten.
Einige der Dorfjungs übernehmen für eine Handvoll Zigaretten die Drecksarbeit, überholen auf ihren Motorrädern den Bus und parken kurzerhand davor. Mit ihren vermummten Gesichtern und Camouflage-Jacken sehen sie aus wie aus einem „Mad Max“-Film. Der Bus fährt nach Köneürgentsch an die usbekische Grenze. Nach dem Prunk der Moderne und der unwirtlichen Wüstenlandschaft wartet dort das dritte Gesicht Turkmenistans: die Seidenstraße.
Oder eher das, was von ihr übrig blieb. Köneürgentsch ist ein verschlafener Ort mit 30.000 Einwohnern, von denen manche in erschreckender Armut leben. Die schmutzigen Gemeinschaftstoiletten in den Hinterhöfen dieser Stadt sind das genaue Gegenteil der Fontänen von Aschgabat. Es riecht nach Kot. Tiere laufen durch die Gassen.
Vor einigen Hundert Jahren war hier das Zentrum der islamischen Welt. Als Choresmien, wie die Gegend heißt, noch von einer Schah-Dynastie regiert wurde, florierten der Handel und die Wissenschaft. 1221 kam ein gewisser Dschingis Khan und zerstörte das Reich. Um die Bewohner des antiken Ürgentsch zu ertränken, leitete er eigens den Fluss Amudarja um und flutete die Stadt. Von Stalin wurde Choresmien schließlich zerstückelt: Der Großteil des antiken Reichs liegt heute in Usbekistan.
Hinter dem wuseligen Basar des modernen Köneürgentsch beginnt ein riesiges Feld, seit 2005 Teil des Unesco-Weltkulturerbes, auf dem noch einige Mausoleen, ein riesiges Minarett und ein paar weitere Gebäude aus der wechselhaften Geschichte der Region zu sehen sind. Es ist eine der schönsten und aufregendsten Stätten Zentralasiens.
Während Usbekistan längst sein touristisches Potenzial erkannt hat und busseweise Japaner und Italiener von Mausoleum zu Mausoleum karrt, hat man das alte Ürgentsch ganz für sich. Die typischen türkisfarbenen Mosaike der Ära, die in Usbekistan teuer restauriert wurden, bröckeln hier von den Wänden. In einer alten Moschee picken zwei Hühner auf dem Stein herum. Ein Turkmene kommt mit einer Tüte Körner vorbei und gibt ihnen was zu futtern.
Es herrscht eine bemerkenswerte Trostlosigkeit, unterstützt durch den Umstand, dass die Russen hier einen orthodoxen Friedhof bauten: Überall zwischen den Ruinen ragen Grabsteine mit kyrillischer Schrift aus dem Boden, als hätte man in dieser dünn besiedelten Gegend keinen besseren Ort dafür gefunden als den letzten geschichtsträchtigen Flecken Erde.
Russen, Perser, Turkvölker, Mongolen: Auf diesem Acker haben sie alle ihre Spuren hinterlassen. Alle Einflüsse Zentralasiens treffen hier aufeinander. Und zum ersten Mal auf der Reise sehen wir Menschen beten, in einem Land, das eigentlich nur auf dem Papier muslimisch ist.
Turkmenen gehen nicht in die Moschee. Sie knien nieder vor den Mausoleen ihrer einstigen Herrscher, binden bunte Tücher um Äste und lassen hier und da einen Geldschein liegen. Der viel gelobte tolerante Islam Zentralasiens ist vor allem deshalb so unauffällig, weil man ihn fast ausgerottet hat.
Es gäbe noch so viel zu entdecken in diesem kargen Land. Die unterirdischen Seen von Köw-Ata. Die Ruinen von Merw. Doch der fünfte Tag der Reise ist schon angebrochen. Wir machen uns auf nach Usbekistan und erleben ein Déjà-vu: So wie wir uns im Iran auf den turkmenischen Alkohol gefreut haben, blicken wir jetzt gierig dem Internet entgegen, das uns auf der usbekischen Seite der Grenze endlich wieder erwartet. Jede noch so grausame Diktatur hat irgendwo einen Lichtblick.