Das Kirnitzschtal ist bekannt für seine schroffen Felsen, die artenreichen Auwiesen am Flüsschen Kirnitzsch und ein Technisches Denkmal: die Kirnitzschtalbahn. Iris Milde nimmt uns mit auf eine Fahrt mit der historischen Straßenbahn durch das Kirnitzschtal.
Autorin
Die Fahrt beginnt in der Kleinstadt Bad Schandau an der Elbe. Rumpelnd geht es von der Haltestelle Kurpark aus mit der Kirnitzschtalbahn hinein in ein Tal, das für so manchen als schönste der Sächsischen Schweiz gilt, das Kirnitzschtal. Vor dem Fenster ziehen die Gebäude der Rehaklinik von Bad Schandau mit ihren unzähligen kleinen Balkonen und prächtige alte Villen vorbei. Die Kirnitzschtalbahn gehört seit 1898 zum Stadtbild von Bad Schandau. 2023 feiert die kleine Straßenbahn mit den unten gelb und oben weiß lackierten Wagen ihr 125. Jubiläum. Am Straßenbahndepot wartet in roter Monteurskleidung Martin Fahs:
Fahs
"Ich bin hier angestellt als Elektriker und Straßenbahnfahrer. Bei uns ist das Besondere, alle, die hier tätig sind, habe auch den Führerschein für die Straßenbahn und sind universell einsetzbar."
Die Mitarbeiter der Kirnitzschtalbahn sind echte Allrounder: Im Sommer sind sie Straßenbahnfahrer. Im Winter, wenn es in der Sächsischen Schweiz ruhiger wird, warten und reparieren sie die Fahrzeuge. Die Kirnitzschtalbahn, erzählt Martin Fahs, ist eine der wenigen Straßenbahnen, die als elektrische Bahn konzipiert wurden.
Fahs
"Man hat also sich dafür entschieden, ein Kraftwerk hier zu bauen, hatte somit Elektrizität. Klassisch bei den Verkehrsbetrieben wird ja eigentlich immer begonnen mit der Pferdebahn. Bei uns hier direkt elektrisch."
Autorin
Heute kommt der Strom zu etwa einem Drittel aus Sonnenenergie.
Die nächste Bahn kündigt sich an. Gebaut wurden alle Wagen der Kirnitzschtalbahn1957 im VEB Waggonbau Gotha, weshalb sie unter Straßenbahnern kurz Gothawagen genannt werden. Martin Fahs und ich steigen zu.
Immer am Flüsschen Kirnitzsch entlang fahren wir tiefer ins Tal hinein. Die Villen werden abgelöst von Mühlen und grünen Flussauen. Rechts und links ragen zerklüftete Felswände auf. Im Tal herrscht auch im Sommer ein feuchtes Kellerklima. Das sorgt für eine hohe Artenvielfalt. So etwa findet man das gelbe Veilchen in Deutschland nur noch in den Alpen und im Kirnitzschtal.
Im Sommer fährt die Kirnitzschtalbahn im Halbstundentakt. Überall an der Strecke kann man ein- und aussteigen und zu Wandertouren in die felsigen Schlüchte oder auf dem Flößersteig entlang der Kirnitzsch aufbrechen. Die Kirnitzschtalbahn wird deshalb auch hauptsächlich von Urlaubern und Ausflüglern genutzt.
Fahs
"Hier wurde sich dafür entschieden, Touristen zu befördern. Natürlich befördern wir auch die Anwohner, die hier wohnen im Tal. Wir haben auch schulpflichtige Kinder hier. Da gibt es früh die Schulbahn."
Die Kirnitzschtalbahn ist 1898 als reine Ausflugsbahn auf die Gleise gegangen. Schon im ersten Jahr wurden 80.000 Fahrgäste gezählt. Heute sind es weit über 200.000 jährlich. Zwar wurden die Ledersitze inzwischen gegen bequeme Polstersessel getauscht, das Fahrgefühl unterscheidet sich trotzdem kaum von dem früherer Zeiten. Die Bahn rattert so laut, dass man kaum sein eigenes Wort versteht. In den steilen Kurven quietschen die Räder in den Schienen. Durch einen dieser holzvertäfelten, schuckelnden Wagen wankte schon Hollywoodsternchen Kate Winslet - in blauer Uniform und mit Schaffnerzange in der Hand.
Fahs
"Hier wurde in Bad Schandau 'Der Vorleser' gedreht. Da erkennt man im Film diese typische Szene, wo die vor der Klinik langfährt. Und der Rest in Görlitz. Und die Straßenbahn wurde dann auch mitgenommen nach Görlitz. Extra für den Film. Nur für Hollywood."
An der Schneiderweiche öffnet der Fahrer die Holzschiebetür und kriecht aus der winzigen Führerkabine heraus.
Fahs
"Es gibt zwei Ausweichstellen auf der Strecke, wo die Züge sich treffen und klassisch ihre Signalstäbe tauschen. Es gibt also bei uns hier drei Streckenabschnitte und dementsprechend drei Signalstäbe."
Erklärt Martin Fahs die günstigste und wohl verlässlichste Signalanlage der Welt. Die Strecke der Kirnitzschtalbahn ist bis auf wenige Ausweichstellen eingleisig. Der Fahrer unseres Zuges übergibt den grünen Stab und übernimmt den blauen Stab vom Fahrer des entgegenkomenden Zugs. Damit darf er den dritten und letzten Abschnitt befahren.
Wir nähern uns dem Endpunkt der Strecke und Ziel vieler Ausflügler damals wie heute. Der Beuthenfall und der Liechtenhainer Wasserfall, zwei romantische Wasserfälle, die von Sandsteinfelsen herab ins Tal stürzen. Die Restauration am Beuthenfall ist heute verwaist. Am Liechtenhainer Wasserfall hingegen herrscht reger Betrieb.
Fahs
"Wir fahren ja hier eigentlich durch die Gastronomie durch. Sie haben hier links und rechts Gastronomie. Manchmal ist es wirklich abenteuerlich. Die Kellnerin kommt raus mit Getränken. Wir sind natürlich nett und lassen sie natürlich vor."
Sagt Martin Fahs und springt an der Endstation "Liechtenhainer Wasserfall" aus dem Zug. Eine, die mit dem Quietschen und Rattern vor den Fenstern aufgewachsen ist, ist Elisabeth König. Sie führt das Gasthaus "Liechtenhainer Wasserfall" in fünfter Generation.
König
"In einer runden Hütte wurde hier am Liechtenhainer Wasserfall Milch ausgeschenkt. Da hat man sich überlegt: Das geht so nicht. Die Leute wollen ja was Ordentliches trinken. Also wurde nicht lange gefackelt und da wurde dann hier dieses wunderschöne Fachwerkhaus im Schweizer Stil erbaut. Das war dann 1852/53."
Über dem Wasserfall befindet sich ein historisches Staubecken. Alle 30 Minuten stürzt das Wasser auf Knopfdruck mit voller Kraft hinab in die Kirnitzsch. Doch statt rauschendem Wasserfall plätschert zur Zeit nur ein dünnes Rinnsaal über die moosbewachsenen Steine hinunter.
König
"Durch das verheerende Unwetter am 17. Juni letzten Jahres wurde die historische Wasserfallanlage in Mitleidenschaft gezogen. Da ist das Wasser durchgesaust mit Sand, mit Geröll, mit Findlingen... Was jetzt runterläuft ist sozusagen der kleine Liechtenhainer Dorfbach in seiner natürlichen Form."
Bevor es mit der Bahn wieder in die Stadt zurückgehen kann, muss umgekuppelt werden.
"Hier ist dieses klassische Umsetzen im Gange. Das heißt die Beiwagen bleiben stehen und der Triebwagen muss ja auf die andere Seite gebracht werden, damit wir die Fahrgäste wieder Richtung Bad Schandau befördern können."
Autorin
Die Straßenbahn fährt knapp acht Kilometer durch das Kirnitzschtal. Schon zu Bauzeiten liebäugelte man mit einer Verlängerung der Strecke bis an die sächsisch-böhmische Grenze. Aus Kostengründen wurde nur der Bau bis zum Liechtenhainer Wasserfall verwirklicht. Doch der Autoverkehr im Kirnitzschtal hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Derzeit, so Martin Fahs, werde geprüft, ob eine Verlängerung der Gleise möglich wäre.
Fahs
"Das wäre wirklich wünschenswert. Denn dann kann ich sagen: Lieber Autofahrer, für dich ist hier tabu. Nutze doch bitte den ÖPNV."
Autorin
Das ist nicht nur ökologisch, sondern auch ein Fahrerlebnis der besonderen Art. Mit der schönsten Straßenbahn Sachsens.
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