Vielleicht haben Sie das auch schon mal von Älteren gehört? Dass früher in Kleingärten Seidenraupen gezüchtet wurden. Bis in die 60er Jahre kam das noch vor. Seitdem wird in Deutschland keine Seide mehr hergestellt. Der Großteil, der hierzulande verarbeiteten Seide, etwa in Kleidung oder technischen Textilien, stammt aus Asien. Ein kleines Start-up in der sächsischen Lausitz hat sich nun vorgenommen, die Seidenproduktion wieder nach Deutschland zu bringen. Und hat viel mit dem seidenen Faden vor. Iris Milde hat sich das vor Ort angeschaut.
Krause
„Das sind Maulbeerblätter. Die waren heute bisschen nass, die müssen trocken sein. Deswegen liegen die so bisschen aus, schon fürs Füttern.“
Autorin
Auf dem Tisch vor Udo Krause liegen etwa handtellergroße, furchige Blätter. Daneben steht eine raumhoher Container aus Stoff.
Krause
„Das ist jetzt sozusagen unser Inkubator. Da haben wir jetzt hier 25 Grad drin.“
Autorin
Udo Krause öffnet den Reißverschluss. Eine Lampe verbreitet gedämpftes Licht und es riecht nach frischem Heu. Dieser Geruch – Udo Krause nennt ihn Maulbeerfrische – entströmt zwei Plastikkisten. Darin tummeln sich Tausende graue, etwa zwei Zentimeter lange Larven. Es sind die Larven des Seidenspinners.
Krause
„Genau, jetzt würde ich einfach mal paar Blätter drauflegen. Man merkt schon, dass die jetzt sehr die Köpfe recken. Die riechen die Blätter und freuen sich total, dass sie frisches Futter bekommen.“
Autorin
Kurz darauf hört man die kleinen Tiere knuspern.
Krause
„Mein Name ist Udo Krause. Ich bin von Haus aus Biologe, lange Zeit in der Forschung gearbeitet. Und von Kindesbeinen eigentlich der Schmetterlingszucht zugewandt. Und arbeite jetzt aber noch als Innovationsmanager und auch freiberuflich in der Beratung für grüne Technologien für die Landwirtschaft oder für die Industrie.“
Autorin
Udo Krause will die Seidenraupenzucht und die Seidenproduktion wieder nach Deutschland bringen. Gegenwärtig wird der Großteil der Rohseide hierzulande aus Asien importiert. Vor allem aus China, dem Ursprungsland der Seide. Seide begleite die Menschen seit 5000 Jahren, erzählt der Insektenzüchter. Wenn man einen Seidenkokon abwickelt, erhält man Faden, der etwa einen Kilometer lang, sehr stabil und gleichzeitig elastisch ist.
Krause
„Und die ersten OPs vor 2000 Jahren in Ägypten wurden auch mit Seide gemacht. Es war erst der Stoff der Kaiserinnen und Kaiser und Könige, die Seidenstraße kennt auch jeder. Also es hat auch wirtschaftlich und kulturell eine riesige Bedeutung erlangt.“
Autorin
Erst ab dem 18. Jahrhundert gab es auch in Deutschland eine nennenswerte Seidenindustrie. Während des 2. Weltkriegs diente Seide vor allem als Ausgangsmaterial für Fallschirme. Kleingärtner waren aufgefordert, Maulbeerbäume zu pflanzen und selbst Seidenraupen zu züchten. Seit den 50er Jahren wird in Deutschland keine Seide mehr produziert. Das soll sich mit der 2020 gegründeten „Seidenkokon Native Silk GmbH“ ändern.
Autorin
Im ostsächsischen Nebelschütz hat Udo Krause sich in eine ehemalige Stallanlage eingemietet. Lange Hallen, in denen er Anzuchttische aufstellen will. Bald sollen die zwei Wochen alten Larven umziehen.
Krause
„Auf so einen Tisch passen dann 10.000 Raupen vielleicht. Und am Ende kommt dann so ein Gestell drüber, wo die dann sich drinnen verpuppen.“
Autorin
Aus 10.000 Raupen können etwa 3,5 Kilogramm Rohseide gewonnen werden. Udo Krause öffnet ein schwarzes Schächtelchen, in dem eine Handvoll Kokons liegen.
Krause
„Das sind die ersten sächsischen Kokons.“
Autorin
Der Unternehmer fischt eines der etwa wachteleigroßen, weißen, wolligen Knöllchen heraus.
Krause
„Und hier sind jetzt ein Kilometer Faden drauf. Hier ringsherum, das nennt man die Flockseide, die man so abmachen kann. Die kann man wieder verspinnen, also diese sogenannte Bouretteseide.“
Autorin
Landläufig wird unter Seide Stoff verstanden, der sich angenehm leicht auf der Haut anfühlt, kühlt und wärmt gleichzeitig und etwa 30 Prozent seines Eigengewichts an Wasser aufnehmen kann, ohne dass er sich nass anfühlt. Udo Krause hingegen möchte in erster Linie medizinische Seide herstellen.
Krause
„Es gibt Wundauflagen aus Seide und man weiß, dass die Wundheilung etwa 14 Tage schneller passiert, weil das einwachsen kann. Die Seide nimmt sich nach anderthalb Jahren dann aus dem Gewebe raus und man sieht also keine Spuren mehr.“
Autorin
Auch als Nahtmaterial für Operationen könnte Naturseide wieder Verwendung finden. Thomas Flietner, Facharzt für Chirurgie und Facharzt für Plastische und ästhetische Chirurgie in Hannover, kann sich noch gut erinnern, wie er in den 80er Jahren mit Naturseide operiert hat. Um die Jahrtausendwende sei diese von synthetischen Materialien abgelöst worden.
Flietner
„Das synthetische Material, was wir verwenden, das müssen Sie sich wie so einen glatten Plastikstrang vorstellen, also der saugt nichts auf. Und da ist entscheidend, wie hält dort auf dem glatten Faden ein Knoten, den ich mache, wie löst der sich auf. Seide, Naturseide ist vom Handling her sehr schön. Und das Interessante ist, das Seide sich auch resorbiert.“
Autorin
Das heißt, sie wird langsam im Körper abgebaut. Je nach gewünschtem Effekt könne das eine oder das andere Material medizinisch sinnvoll sein. Thomas Flietner sitzt im Beirat der „Seidenkokon Native Silk GmbH“. Er befürwortet das Projekt auch, weil man so unabhängig von Zulieferern aus dem Ausland werden könnte.
Flietner
„Weil es gibt bislang kein chirurgisches Nahtmaterial, was komplett von der Rohstoffherstellung bis letztendlich Produktion, Verarbeitung und Herstellung des fertigen Nahmaterials in Deutschland hergestellt wird. Das wäre dann das erste.“
Autorin
Doch an Medizinprodukte werden hierzulande hohe Anforderungen gestellt. Auch Naturmaterialien müssen hundertprozentig sterril sein und dürfen keinen Qualitätsschwankungen unterliegen, was dazu führt, dass gegenwärtig kein Produkt aus Naturseide in Deutschland zugelassen sei, so Udo Krause. Er hat in der Gemeinde Nebelschütz landwirtschaftliche Fläche gepachtet und darauf Maulbeerbäumchen gepflanzt, die dort in Bioqualität wachsen, um Verunreinigungen über das Futter der Seidenraupen auszuschließen.
Krause
„Der nächste Schritt ist, dass wir sie unter möglichst sterrilen Bedingungen aufziehen, also auch nicht in einer Massenzucht. Der nächste Schritt ist, dass, wenn wir die Seide hier ernten, ein patentiertes Verfahren hier verwenden werden, also Patent angemeldet muss ich sagen, und dieses Verfahren erlaubt es uns, die Seide so zu reinigen, dass es dann für die Medizintechnik zugelassen werden kann.“
Autorin
Udo Krause führt in einen Nebenraum der Raupenzuchtanlage. Dort hat er gemeinsam mit seinem Geschäftspartner, einem Ingenieur, eine kleine Anlage aufgebaut, mit einer Waschkammer in der Mitte und zwei Garnspulen. Beim Verpuppen verklebt die Seidenraupe den Faden mit einem natürlichen Leim.
Krause
„Und dieser Leim, das ist das Sericin. In Deutschland beispielsweise ist man da sehr restriktiv und sagt: Wenn ich Seide zulasse für die Medizin, muss dieses Eiweiß, was da auf dem Faden sitzt, runtergewaschen werden komplett. Und das ist eine Herausforderung.“
Autorin
Udo Krause ist optimistisch, dass er und sein Partner diese Vorgaben mit der neuen Technologie erfüllen können. Doch nicht nur aus der Medizin-, auch aus der Kosmetikbranche erreichen die beiden Tüftler derzeit viele Anfragen.
Krause
„Es ist gegenwärtig so, dass das Seidenprotein tatsächlich eine Renaissance bekommt. Die Frauen, die damit hantieren in Asien den ganzen Tag, da hat man sich gewundert, warum die im hohen Alter noch so zarte Hände haben. Sericin bindet beispielsweise dreimal mehr Wasser als Glycerin, was sonst in Kosmetik vorhanden ist, um das Wasser zu halten.“
Autorin
Das ausgewaschene Sericin wäre ein Nebenprodukt. Genauso wie der Kot der Raupen, der als Dünger wiederverwendet werden soll. Die abgetöteten Puppen können als Futter in einer benachbarten Garnelenzucht eingesetzt werden.
Krause
„Wenn wir den ganzen Faden abwickeln wollen, den einen Kilometer, da wird die Puppe, die dann in dem Kokon sich befindet, wird abgetötet. Für die OP-Fäden, ist glaube ich jedem klar, keiner will einen Knoten im OP-Faden haben, brauchen wir die Länge. Für andere Sachen, gerade für die Wundauflagen, gehen wir einen anderen Weg. Wir versuchen, aus der Seide ein Vlies herzustellen. Das heißt die Schmetterlinge können dann schlüpfen. Übrigens diese Schmetterlinge wurden gezüchtet auf Seide. Die können also nicht mehr fliegen, wenn die schlüpfen, paaren sich noch und sterben nach drei Tagen.“
Autorin
Ortswechsel. Im westsächsischen Crimitschau befindet sich die Seidenmanufaktur Eschke. Die Weberei konzentriert sich auf die Rekonstruktion historischer Seidenstoffe, etwa für Schlösser.
Bäz
„Das ist für Ludwigsburg, fürs Schloss Ludwigsburg, Möbelstoff.“
Autorin
Torsten Bäz beugt sich über einen weißen, glänzenden Seidenstoff mit eingewebten Eichenblättern. Bisher bezieht die Weberei Seide ausschließlich aus dem Ausland. Bald, so hofft er, auch aus Nebelschütz.
Bäz
„Wir als Edelflächenbildner kümmern uns darum, dass wir sagen: Alles, was nicht in das Medizinische reingeht, das werden wir dann zu schönen Produkten verarbeiten.“
Autorin
Bäz und seine Frau sind als Gesellschafter des Unternehmens „Seidenkokon“ seit Anfang an dabei.
Bäz
„Wir haben bei uns hier in der Region zwei Landwirtschaftsbetriebe, die sagen: Wir bauen eine Seidenproduktion auf. Wenn man eine Riesenfarm hat, ist man angreifbar, auch durch Insekten, hat man dezentrale Stellen, ist an nicht so angreifbar.“
Autorin
Zurück in Nebelschütz. Die Raupen sind nun zwei Wochen nach dem Schlüpfen soweit, dass ein Teil von Ihnen an die beiden Landwirte abgegeben werden kann.
Krause
„Also man sieht jetzt schon: Während wir geredet haben, sind sie hier hoch geklettert und schon die ersten Löcher gefressen, hier durch. Die sind sehr gefräßig!“
Autorin
Udo Krause schaut versonnen auf die knabbernden Raupen. Er hofft, dass er viele Menschen in der Region mit seiner Faszination für die Insekten anstecken kann.
Krause
„Dass wir Zuchtmaterial entwickeln für die Schulen, dass wir auch Behindertenwerkstätten damit versorgen wollen, weil die Beschäftigung mit dem Tier einfach so angenehm und schön ist. Man hat einen Monat Zeitraum vom Ei bis zum Kokon, man kann den Schmetterling begleiten, der Schmetterling kann schlüpfen und man hat den Kokon und kann damit auch noch was Schönes machen, was basteln, bauen, Schmuck machen, was weiß ich.“
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