Marianne Kerbs, Seniorchefin der Altenburger Pergament & Trommelfell GmbH, steht vor zwei riesigen, sich drehenden Waschtrommeln aus Holz. Darin weichen wahlweise Häute von Rindern, Ziegen, Schafen, Hirschen und Pferden, bevor sie getrocknet und so zu Pergament oder Trommelfell werden.
"Als ich hier anfing 1971, der Gerber, der hat sogar gekostet, ob genug Säure drin ist und so weiter".
Seine Schleimhäute riskiert der aktuelle Gerber Gunter Ernst nicht mehr, das nötige Fingerspitzengefühl hat er dennoch. Pergamentherstellung, sagt er, sei im Grunde nur die Haltbarmachung von Tierhaut durch Trocknen, aber man müsse die Kniffe kennen. Vor seinen Füßen liegen Dutzende Metallklammern an dicken Fäden, die er flink eine nach der anderen mit einem Holzkeil in einen großen Rahmen zwirbelt.
"Ich werde jetzt einen großen Rahmen vorbereiten, damit dann die Häute, die morgen dann praktisch rauskommen, hier ordnungsgemäß eingehängt werden können, denn da werden die Felle ja gezogen, sodass sie praktisch dann weiß werden."
Denn die weiße Farbe von Pergament entsteht durch das Reißen der Fasern. Trommelfelle dagegen werden liegend getrocknet und bleiben glasig. Nur makellose Häute können Pergament werden, da beim Spannen jeder Mückenstich sichtbar wird. Das ist auch ein Problem bei der Beschaffung der Rohware, denn nur wenige Häutehändler können noch nach den Kriterien der Pergamentherstellung vorsortieren.
Dass Gunter Ernst zu den letzten seines Standes gehört, weiß er nur zu gut. Über zwei Jahrzehnte hat sich der Pergamentmacher ein Wissen angeeignet, das in Deutschland, vielleicht sogar in Europa einzigartig ist:
"Ich habe damals, noch zu DDR-Zeiten, Facharbeiter für Lederherstellung gelernt. Und das hier habe ich dann alles von meinem sogenannten Altmeister gelernt. Und von dem habe ich jetzt mein Wissen, und mein Wissen bleibt auch bei mir, bis mein Nachfolger dann irgendwann mal kommt."
Der Siegeszug des Pergaments begann im zweiten Jahrhundert vor Christus, als es Papyrus als wichtigsten Beschreibstoff ablöste. Die Kunst des Pergamentmachens wurde dann vor allem in den Skriptorien der Klöster weitergegeben. Doch spätestens mit dem Buchdruck lief das Papier dem Pergament den Rang ab. 1882 gründete August Conrad in Altenburg eine Manufaktur für Trommelfelle.
"Altenburg war eine Garnisonsstadt, und früher zog man ja mit Pauken und Trompeten in den Krieg und da haben die wahrscheinlich gedacht, also getrommelt wird immer. Die Pergamentherstellung kam viel, viel später hinzu. Die Unterlagen, die uns vorliegen, sagen, dass es ungefähr mit dem Bau dieses Hauses 1929 begann."
Als Marianne Kerbs 1971 in die Firma kam, wurde sie von den Conrads in dritter Generation geführt. Ein Jahr später folgte die Umwandlung in einen volkseigenen Betrieb, der als solcher 1989 in die Verhandlungsmasse der Treuhand fiel.
"Für diesen Betrieb gab es 111 Interessenten. Und die Hälfte davon musste ich hier empfangen. Ich hatte damals den Eindruck, dass von diesen mindestens 40 dabei waren, die das hier platt machen wollten, weil es ja ein wunderschönes Wohngebiet ist. Und die Treuhand hatte das aber auch sehr schnell erkannt, dass die gesagt haben, nur die, die Interesse an dem Gewerk haben, denen werden wir den Betrieb auch geben. Weil dieses Gewerk, wenn das einmal weg ist, das macht nie mehr irgendjemand wieder auf und das geht dann für Deutschland verloren."
Schließlich fand sich Marita Cotzenberg aus Köln, die heutige Besitzerin mit Liebe zum Handwerk, die Marianne Kerbs als Geschäftsführerin einsetzten. 2011 trat Marianne Kerbs' Sohn Steffen die Nachfolge an.
"Hallo Herr Lutz. Haben Sie meine Schweine im Kofferraum?"
Das Telefon im Büro von Steffen Kerbs steht nicht still. Akquise sei nicht nötig, sagt er, die Kunden fänden selbst den Weg nach Altenburg. Außer nach Afrika liefert die Altenburger Pergament & Trommelfell GmbH auf alle Kontinente. Traditionelle Kunden sind Restauratoren und Instrumentenbauer. Im Moment erlebe das Pergament eine Renaissance in der Möbelherstellung:
"An sich beliefern wir große Polsterwerkstätten, Schreinereien, Möbelhersteller, Jachtausstatter."
Im Lager unter dem Dach liegen die getrockneten Häute aufgestapelt in Regalen, fein säuberlich getrennt nach Tier, Stärke und Färbung. Etwa 2000 Stück können die Altenburger pro Monat anfertigen. Je nach Tierart und Verwendungszweck dauert der Herstellungsprozess acht bis 14 Tage.
"90 Prozent nehmen ausgeschnittene Felle. Hier sind die einzelnen Deckel, sehen Sie, die einzelnen Größen."
Marianne Kerbs zeichnet einen Kreis von 33 Zentimetern Durchmesser auf die Ziegenhaut und schneidet ihn aus. Etwa acht Euro würde dieses Trommelfell kosten, sagt sie.
Ans Aufhören denkt die Mittsiebzigerin nicht. Im Sechs-Mann-Familien-Betrieb wird jede Hand gebraucht. Zum Umsatz will sich Geschäftsführer Steffen Kerbs nicht äußern. Aber bald wolle man expandieren:
"Wir werden jetzt neue Fässer anschaffen und wir werden wahrscheinlich auch wieder jemanden dazu nehmen."
Doch ausbilden können die Altenburger nicht, denn ohne Meister kein Lehrling und umgekehrt. Den Pergamentmacher als Lehrberuf etablieren will Steffen Kerbs aber auch gar nicht.
"Wenn die Zeit dann ran ist, werden wir uns wieder einen Gerber holen, wo das über zehn, 15 Jahre dann angelernt wird. Und der muss dann hier im Haus bleiben. Wenn wir jetzt eine Ausbildung machen würden und die jungen Menschen gehen dann, dann würden wir ja unser Wissen in die Welt tragen und das wäre natürlich für uns katastrophal."