Es ist März. In Charkiw liegen bis zu zwei Meter Schnee auf der Straße. Serhij Zhadan, gerade mit dem frühen Zug aus Saporischschja gekommen, wo er mit seiner Band gespielt hat, tritt bei einer Pressekonferenz auf. Er soll bei einem Streit über die Umbenennung einer Schule vermitteln. Als er das Mikro in die Hand nimmt, wird es still. Hier spricht einer, dessen Lesungen und Konzerte immer ausverkauft sind.
Zhadans neuer Roman „Internat" (Suhrkamp, 300 S., 22 €) wurde in der Ukraine bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Die deutsche Übersetzung von Sabine Stöhr und Juri Durkot ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Im Roman versucht Pascha, ein 35-jähriger Lehrer, seinen Neffen aus einem Internat abzuholen, mitten im Krieg. Nach der Pressekonferenz sitzt Zhadan in einem ruhigen Café. Bei Americano ohne Milch reden wir über den Roman, den Krieg, den Donbass und die Ukraine.
WELT: Ihr Protagonist Pascha ist die Verkörperung des Homo post-sovieticus: „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts." Pascha interessiert sich nicht für Politik. Er merkt nicht mal, dass der Krieg vor der Tür steht. Warum haben Sie ihn zur Hauptfigur gemacht?
Serhij Zhadan: Erstens ist Paschas Charakter ziemlich typisch für die Ukraine, und ich meine hier nicht nur den Donbass, sondern das ganze Land. Zweitens hat mir genau so eine Figur in all den Werken über diesen Krieg, die schon geschrieben wurden, bisher gefehlt. Und drittens ist Pascha für mich auch eine universelle Figur, eine Anspielung auf den Apostel Thomas: Er glaubt an nichts. Erst als Pascha das Einschussloch einer Kugel in einem Mantel mit seinen eigenen Fingern ertastet, versteht er, dass der Krieg keine Abstraktion aus dem Fernsehen ist, sondern hier und jetzt und ihm passiert.
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