Ein unvergesslicher Moment der WM 2006 war gleich der erste Treffer: Außenverteidiger Philipp Lahm schlägt auf der linken Seite einen Haken, zieht vors Tor Costa Ricas und schießt den Ball mit rechts unhaltbar ins Netz. Lahm wird später zu den elf besten Spielern der Weltmeisterschaft gewählt. Dabei hat er - allerdings auf perfekte Weise - nur Dinge gemacht, die heute in der Bundesliga erwartet werden.
"Erste Anspielstation sein, das Spiel eröffnen, Flanken bringen und selbst torgefährlich sein", so sieht Werder Bremens Außenverteidiger Sebastian Boenisch seine Profilanforderungen. Gleichzeitig vergisst Boenisch nicht, dass er Abwehrspieler ist. "Die Defensivaufgaben haben höchste Priorität", sagt er im Stile eines Musterprofis, als würde Trainer Thomas Schaaf direkt neben ihm stehen.
Und wer übernimmt diese bedeutende Rolle bei den großen Bundesligaklubs? Spieler wie Dennis Aogo beim Hamburger SV, Daniel Schwaab und Gonzalo Castro bei Bayer Leverkusen, Andreas Beck bei der TSG Hoffenheim. Alle sind sie wie Boenisch 22 Jahre alt. Beck ist bereits Stammspieler in der Nationalmannschaft, gilt als intelligenter Verteidiger auf dem Fußballfeld und als starker Stratege am Schachtisch.
"Das Schwierige an der Position ist, mannschaftstaktisch zu denken", sagt Trainer Rainer Adrion. "Der Außenverteidiger rückt auf, wenn der Mittelfeldspieler zurück bleibt." Seit Juni trainiert Adrion die U21-Nationalmannschaft des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), davor war er Coach der U23 beim VfB Stuttgart. Dort hat er mit Andreas Beck gearbeitet und auch mit Christian Träsch (22), der jetzt für den VfB mit Stefano Celozzi (21) als Außenverteidiger spielt - bei den Profis, versteht sich.
Als Außenverteidiger zu wissen, wann man mit nach vorn gehen darf und wann nicht, "hat viel mit Erfahrung zu tun", sagt Werder-Profi und U21-Europameister Boenisch. Er spielt seit der B-Jugend auf der Position, damals für Schalke 04. "Diese Abstimmung muss man trainieren", sagt auch Adrion. Für aktuelle Außenverteidiger ist die erst Ende der 1990er Jahre in der Bundesliga eingeführte Viererkette mit Raumdeckung das, was der Verbrennungsmotor Ende des 19. Jahrhunderts für die Autoindustrie war: eine Revolution und ein Erweckungserlebnis.
"Vorher hießen die Verteidiger noch Manndecker und mussten vor allem zweikampfstark und robust sein", erinnert sich der ehemalige Abwehrspieler Adrion, Fan von Real Madrids Legende Roberto Carlos. Verteidiger mit Offensivambitionen wie Carlos in Madrid oder Jörg Heinrich in Dortmund waren Mitte der 1990er Jahre noch Ausnahmen.
So spielt heute viel ungelerntes Personal auf den Außenverteidigerpositionen. Beispiel Werder: Clemens Fritz war einst Torjäger in Erfurt, spielte beim Karlsruher SC hinter den Spitzen, ehe er bei Bayer Leverkusen zum Defensivspieler umschulte und heute in Bremen den rechten Außenverteidiger gibt. Für die gerade begonnene Saison hat Thomas Schaaf Stürmer Martin Harnik kurzerhand zum Außenverteidiger erklärt. Das scheint einfacher als solide Verteidiger auf die Position zu stellen.
Zuletzt musste der technisch weniger versierte Innenverteidiger Petri Pasanen oft nach Links rücken. "Spielt den da draußen bloß nicht an", lästerte Premiere-Kommentator Fritz von Thurn und Taxis während eines Europacupspiels über Pasanen. Auch der Berliner Innenverteidiger Arne Friedrich musste in der Nationalmannschaft oft den Außenverteidiger geben. Dort spielte er so bieder, dass er bald von Andreas Beck erlöst und abgelöst wurde.
Auf der anderen Seite lief ohnehin der mit seinen 25 Jahren schon als Weltklassespieler geltende Philipp Lahm. Neben Lahm gehört für Rainer Adrion Andreas Hinkel, heute Celtic Glasgow und vor fünf Jahren noch Lahms Teamkollege in Stuttgart, zu den Vorreitern. "Grundsätzlich können auch ältere Spieler Außenverteidiger spielen", sagt Adrion, "aber unter anderem der DFB legt seit vier, fünf Jahren auf allen Positionen mehr Wert auf die technische Ausbildung der Spieler."
Das kommt Jugendnationalspielern wie Marcel Schmelzer (21) und Dennis Diekmeier (19) zugute. Linksverteidiger Schmelzer verlängerte gerade bei Borussia Dortmund seinen Vertrag, natürlich mit mehr Gehalt. Dennis Diekmeier sprintet beim 1. FC Nürnberg die rechte Seite hoch und runter, als hätte er nie etwas anderes gemacht - und tatsächlich macht er auch seit einigen Jahren in seinen Vereinen und den DFB-Jugendteams nichts anderes.
Dass Sebastian Boenisch 2007 zu Werder ging, weil dort die Planstelle Außenverteidiger vakant war, möchte er so nicht sagen. Werder zahlte 3,5 Millionen Euro für das damals 20-jährige Talent. "Ich wollte mich weiterentwickeln und da habe ich bei Thomas Schaaf super Voraussetzungen", meint Boenisch artig. Doch welche Voraussetzungen sind besser als die, mit 22 in der Startelf zu stehen?
fme/news.de