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Aus dem Kino auf den Mond

Lange bevor Neil Armstrong im Juli 1969 den Mond betrat, hatten sich Wissenschaftler und Künstler die Reise zum Mond schon oft und in allen Details ausgemalt. Darunter Johannes Kepler in seinem „Traum" von 1609 oder Jules Verne in seinem Roman „Von der Erde zum Mond" von 1865. Dass viele Raumfahrtpioniere über solche Bücher ihre Leidenschaft für Raketen und den Weltraum entwickelten, verwundert nicht. Doch darüber hinaus entstanden offenbar wichtige Ideen für die Mondlande-Mission schon Ende der 1920er Jahre - in den Stummfilmstudios der Ufa in Neubabelsberg.


Rakete statt Kanone

Schon als Jugendlicher träumte Hermann Oberth, 1894 in Siebenbürgen geboren, vom Flug auf den Mond. Dass dafür eine Kanone, wie es Jules Verne in seinem Roman beschreibt, kaum geeignet ist, merkte er schnell. Die extreme Beschleunigung beim Start könnte durch eine Rakete vermieden werden, berechnete er. Indem sie vergleichsweise langsam startet und erst am Rande der Atmosphäre auf ihre Höchstgeschwindigkeit beschleunigt, wird die Besatzung geschont und die Luftreibung verringert. Um herauszufinden, welchen Beschleunigungsdruck der Mensch aushalten kann, experimentierte er im Schwimmbecken und entwarf sogar eine Zentrifuge, womit sich Raumfahrer auf die hohen Beschleunigungen vorbereiten sollten. Nach einigen Semestern Medizinstudium und dem Einsatz im Ersten Weltkrieg wechselte Oberth in die Physik und schrieb seine bisherigen Überlegungen zur Raumfahrt zusammen. Wenn auch hoch gelobt, wurde seine Arbeit als Dissertation jedoch nicht zugelassen, da sie weder der Astronomie noch der klassischen Physik zugerechnet wurde. Also wurde Oberth Gymnasiallehrer und veröffentlichte sein Buch „Rakete zu den Planetenräumen" 1923 mit Hilfe eines Druckkostenzuschusses seiner Frau.


Berater für "Frau im Mond"

Das Buch fasste nicht nur die Grundlagen der Weltraumphysik zusammen, sondern machte sie vor allem einem breiten Publikum verständlich. Oberth zeigte, was viele Experten für unmöglich hielten: Wie Menschen zum Mond und wieder zurück zur Erde fliegen könnten. Unter den Lesern waren auch der Filmregisseur Fritz Lang und seine Frau, die Drehbuchautorin Thea von Harbou. Schon ihren Film „Metropolis" hätten sie mit einem Flug zum Mond enden lassen, wenn das Budget gereicht hätte. So widmete von Harbou das Thema ihrem nächsten Roman „Frau im Mond". Dabei kam das Filmemacher-Paar über den Breslauer „Verein für Raumschifffahrt" mit Oberth in Kontakt. Nach mehreren Gesprächen über eine mögliche Verfilmung des Romans wurde Hermann Oberth im Juni 1928 zusammen mit dem Ingenieur Rudolf Nebel von der Ufa als wissenschaftlicher Berater für das neue Filmprojekt engagiert.

Eine Entscheidung, die die Raumfahrtgeschichte prägte, denn Hermann Oberth machte „Frau im Mond" zu einem der ersten Filme, in dem „Science" und „Fiction" eine direkte Verbindung eingingen. Der Film handelt vom eigenbrödlerischen Professor Manfeldt, der auf dem Mond Gold vermutet. Zwei Ingenieure und eine Astronomiestudentin unterstützen ihn beim Bau eines Raumschiffes und der ersten Mondexpedition. Der Flug gelingt, doch kommt es auf dem Mond zu einer Schießerei. Ein Sauerstofftank wird zerstört und einer der Passagiere muss auf dem Mond zurückbleiben. So simpel diese Handlung sein mag, Oberth nahm seine Beraterrolle so ernst, dass er detaillierte Pläne der Rakete entwarf. Auch hielt er sich von morgens bis abends beim Dreh in den Hallen in Neubabelsberg auf, um sicherzustellen, dass seine Erkenntnisse über den Flug zum Mond korrekt umgesetzt wurden. Dadurch enthält der Film viele Details, die später Wirklichkeit wurden - wie die mehrstufige Rakete mit Landemodul, welche dank Bremstriebwerken sanft auf der Mondoberfläche aufsetzen konnte. Die Startsequenz inszenierte Fritz Lang, indem er die letzten Sekunden vor der Zündung rückwärts zählte - und erschuf so den Countdown. Raumanzüge und Helme konnte Oberth nur für eine kurze Sequenz durchbringen. Ihm war zwar klar, dass es auf dem Mond keine Atmosphäre gab. Aber auf die Mimik der Schauspieler konnte der Stummfilm nicht verzichten.


Raketenwerkstatt auf dem Studiogelände

Durch die Arbeit an „Frau im Mond" erhielt der Amateurforscher die Chance, seine Experimente voranzubringen, denn die Ufa richtete ihm aus ihrem Werbebudget eine Werkstatt auf dem Studiogelände ein. Es galt, zur Filmpremiere eine Sensation zu schaffen: Eine zwei Meter lange Flüssigkeitsrakete sollte auf eine Höhe von 40 Kilometern steigen. Die größte Herausforderung war die Konstruktion des Triebwerks, in dem Benzin mit flüssigem Sauerstoff verbrannt werden sollte. Bei Experimenten entdeckte Oberth den Effekt der Selbstzerreißung: Wenn Brennstoff-Tropfen auf flüssigen Sauerstoff treffen, zerplatzen sie in immer kleinere Tröpfchen und verbrennen wesentlich schneller. Auf dem Prinzip der so entwickelten Kegeldüse basierten später die gängigen Raketentriebwerke.

Oberth ließ sich sogar durch eine Explosion nicht aufhalten, die mit Augenverletzungen und einem zerrissenen Trommelfell einherging. Doch stellten sich die Pläne als zu ehrgeizig heraus und die Premiere fand im Oktober 1929 ohne Raketenstart statt. Dennoch wurde es ein Großereignis, zu dem die Fassade des damaligen Ufa-Palastes am Zoo durch tausende Glühbirnen als Sternenhimmel geschmückt war. Albert Einstein war zu Gast und die Presse überschlug sich begeistert: „Ein Wunder wird Wirklichkeit".


Im Visier der Nazis

Für Oberth hingegen endete die Zusammenarbeit mit der Ufa mit einer weiteren Enttäuschung. Trotz des Einspielergebnisses von 8 Millionen Reichsmark verlangte die Firma das investierte Geld zurück - erfolglos, denn bei Oberth war nichts zu holen. Seine Schüler, darunter auch der Kopf des Apollo-Mondlandungsprogramms Wernher von Braun, die im „Verein für Raumschifffahrt" organisiert waren, mussten die Rechte für die Kegeldüse von der Filmgesellschaft zurückkaufen, um weiter daran forschen zu können.

„Der Film war Höhepunkt und Wendepunkt des Raketenrummels der 1920er Jahre in Deutschland", sagt Michael Zuber vom Oberth-Museum in Feucht bei Nürnberg. Der Film selbst, mehr noch aber die intensive Pressearbeit habe dazu beigetragen, dass auch die Reichswehr ein Auge auf Oberth und den „Verein für Raumschifffahrt" gerichtet habe. Zwar hatte Oberth in seinen Veröffentlichungen nur friedliche Ziele dargestellt, doch das Militär interessierte sich schnell für diese Technik. Im Zweiten Weltkrieg tötete die Rakete „V2", die Wernher von Braun für die Reichswehr entwickelte, 8000 Menschen, 20000 Menschen starben schon beim Bau der Raketen im Konzentrationslager Mittelbau-Dora. Oberth beriet von Braun sowohl bei der Entwicklung der V2 als auch später in den USA beim Mondlandeprogramm. Am 16. Juli 1969 saß Hermann Oberth auf der Ehrentribüne in Cape Canaveral, als Neil Armstrong, Michael Collins und Buzz Aldrin die Saturn-V-Rakete bestiegen, und Science-Fiction Wirklichkeit wurde.

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