erschienen in TZ Supplement Denim Dept. 15.01.2015
Es ist vor allem die Dauerhaftigkeit und Zeitlosigkeit des unbehandelten Denims, die dessen Wiederentdeckung motiviert. Wahre Enthusiasten lieben aber seine Schönheit, die mit dem Tragen größer wird.
Einer dieser Enthusiasten ist z.B. Repräsentativ für Leidenschaft, Akribie und Ästhetik der Raw-Denim-Brands ist Im Handel wird das Raw-Denim Konzept individuell interpretiert. Auf der Ebene des Lifestyle sind Werte wie Entschleunigung, Nachhaltigkeit sowie der Bikekontext konstante Faktoren. Auf ästhetischer Ebene sind Einflüsse wie ›Industrial‹ und ›Vintage‹ prägend. Das zeigt sich zum einen in der Orientierung an einer Zeit als Jeans Arbeitskleidung waren und zum anderen an minimalistischen Store-Einrichtungen in rohem Holz und Metall, die an alte Gewerbebetriebe erinnern. Vorläufer der Bewegung im Handel ist der 1986 gegründete ›VMC Original Store‹ am Rindermarkt in Zürich, dessen Inhaber sich Vintage Styles und amerikanischer sowie britischer Sportswear verschrieben hat. Ein jüngerer Repräsentant der Bewegung ist, Gründer und Teilhaber von ›The Low Down on Denim‹ in Wien, zählt mit seinem 123 qm Store in Wien 7, Burggasse,zu den handverlesenen lokalen Raw-Denim-Repräsentanten. Er hat den Store im April 2014 gemeinsam mit seinem Jugendfreund Es ist vor allem die Dauerhaftigkeit und Zeitlosigkeit des unbehandelten Denims, die dessen Wiederentdeckung motiviert. Wahre Enthusiasten lieben aber seine Schönheit, die mit dem Tragen größer wird. Jeroen de Wal von ›Union of Artisans‹, die kürzlich die besten Jeansmacher zu einem Wettbewerb eingeladen haben, um herauszufinden, wer der Beste der Besten ist. Bewertet werden die Jeans erst nach zwei Jahren Tragezeit im Mai 2017. Befragt, welche Kriterien er selbst bei der Prüfung von Jeans ansetze, antwortet Jeroen, dass er erst den Geruch und die haptischen Eigenschaften untersuche, bevor er sich den Details und schließlich der Passform widme. Diesen sinnlichen Umgang mit einem Paar Hosen hat er mit einer globalen Einheit von kleinen Brands gemeinsam, die sich der Re-Interpretation von ursprünglichen Jeansstoffen und -modellen verschrieben haben. Inspiriert von der Zeit, als Denim noch Arbeitskleidung war, tüfteln sie an dauerhaften Stoffen, die sich mit jedem Tragen und Waschen noch besser an den Körper anpassen sowie Schnitten und Details die in ihrer Funktionalität nicht zu übertreffen sind. Vorbild sind oftmals alte Arbeitsuniformen. Glücklich, wer ein Paar Jeans aus der Goldgräberzeit im Archiv hat, eine Eisenbahnerhose oder eine Briefträgerjacke. Epizentrum der Bewegung ist Japan, das unbestritten den besten Selvage-Denim herstellt. , ein Vorläufer der Raw-Denim Bewegung, hat 1965 Big John die ersten Jeans in Japan hergestellt und 1972 den ersten japanischen Denim. Entschleunigung Moshin Sajid (UK), der zum erlesenen Kreis der ›Union of Artisans‹-Wettstreiter zählt. Bevor er seine eigene Brand ›Endrime‹ gegründet hat, war er bei namhaften Jeansherstellern beschäftigt. Heute gibt er sein Wissen über die Jeansherstellung in Vorlesungen an drei Universitäten weiter. Sajids Mantra: Die Einführung der Overlock hat das Jeansdesign zugrunde gerichtet. Er launchte im August 2014 eine limitierte Edition von handgefertigten Jeans. Die Herstellung einer einzigen Hose hat fünf Tage in Anspruch genommen. Der Preis: 800 £. Die handgearbeitetenJeans stehen nicht zuletzt für die Entschleunigung, die u.a.das Zurückholen von Methoden aus der Zeit vor der Massenkonfektion bedeutet. Teil der Bewegung ist die Wiederentdeckung alter Maschinen, einst ausrangiert, weil sie dem Tempo der Massenkonfektion nicht standhalten konnten. Die Raw-Denim-Bewegung schätzt die Qualität, die die Maschinen liefern. So wird der gute Selvage-Denim auf alten 90 cm breiten Maschinenwebstühlen hergestellt. Zu neuer Begehrlichkeit haben es aber auch die alte Singer Industrienähmaschine und die alte amerikanische Union Kettenstichmaschine gebracht. Die japanische Brand Samurai beliefert keinen Händler, der die Maschine nicht besitzt, und auch beherrscht. Samurai war in den 1990er Jahren eine der ersten Brands im Raw-Denim-Sektor. Untragbar aber legendär die Jeans, die aus so schwerem Denim gefertigt waren, dass sie auf eigenen Beinen stehen konnten ... Denimschwergewichte Handelsübliche Raw-Denim-Jeans variieren von midweight (12-16 oz.) bis heavyweight (von 17 oz. aufwärts). Naheliegend, dass so schwere Hosen vorwiegend von Männern gemacht, verkauft und getragen werden. Hinter den Brands stehen meist avancierte Jeansexperten, die ihr Wissen bei renommierten Jeansherstellern gesammelt haben. Häufig bringen sie auch eine Leidenschaft für Motorräder mit. Der Gründer der italienischen Raw-Denim-Brand ›Blue Blanket‹ sammelt neben historisch bedeutenden Jeans auch off-Road-Bikes und dabei vor allem Modelle aus den 1970er Jahren. Die Identity der belgischen Brand ›Eat Dust‹ ist maßgeblich auf dem Biker Lifestyle aufgebaut. Die japanische Brand ›Iron Heart‹ wurde mit Fokus auf die nationale Motorrad-Community gegründet und nach wie vor sind viele ›Iron Heart‹-Träger Motorradfahrer. Dieser Fokus zeigt sich sowohl in Design und Konstruktion der Jeans als auch in robusten Denimqualitäten, die schützend wirken. Der seriellen Web- und Nähbarkeit ist dabei mit 25 oz. extra schwerem Denim ein Limit gesetzt. Die schweren Denimteile werden - zu schweren karierten Flanellhemden und Lederjacken - als stilvolles Motorradoutfit getragen. Wovon sich die Raw-Denim-Community entschieden distanziert, das sind die Mechanismen der Mode. Die akribische Arbeit an Webtechnik, Schnitt und Verarbeitung - verbunden mit der Eigenschaft von Denim mit dem Tragen Patina zu entwickeln und schöner zu werden, bringt im Bestfall ein Stück fürs Leben hervor, in jedem Fall aber ein schönes und komfortables Stück für zwei bis drei Jahre. Roger Schmuki, Gründer von Jeanslife im Schweizer Winterthur. Er hat sich nach einer Karriere bei G-Star in der DACH-Region2009 selbstständig gemacht, um ein ›Fachgeschäft nach alter Manier, mit Beratung und Nähservice‹ aufzumachen. Für ihn stehen Funktionalität, Zeitlosigkeit und Nachhaltigkeit von unbehandeltem Denim im Vordergrund. Viele seiner Kunden haben die Nase voll von der Millionenproduktion in Bangladesch und kaufen zu 60% chemiefreien und ressourcenschonenden ungewaschenen Denim. Auch teilen sie seine Präferenz für rahmengenähte Lederschuhe und funktionelle Jacken, die über mehrere Saisonen tragbar sind, so Schmuki. Sein Sortiment führt vom englischen Tweedanzug über den amerikanischen Fliegeranzug bis hin zu Arbeitskleidung aus der Zeit von 1900 bis 1960. Zitat: "Nachher hat Kleidung sowohl an Stil als auch an Qualität verloren." Kratzende Wolle, hartes Leder, steifer Denim - es dauert, bis die Kleider anschmiegsam werden. Die Patina und die persönlichen Tragespuren lassen sie mit der Zeit zu Lieblingsstücken werden. Sortimentstiefe Martin Novak Andy Lichtblau gegründet. In den Jahren zuvor war Novak in der Logistik bei Don Gil. Nichtsdestotrotz gingen der Eröffnung von ›The Low Down on Denim‹ fast zwei Jahrzehnte Recherche voran. Als Nudie Jeans 2000 rohe Denimmodelle launchte, war die Spur zu den japanischen Vorreitern gelegt, die schon in den 1990er Jahren mit rohem Denim gearbeitet hatten: ›Flat Head‹, und Samurai. ›Iron Heart‹, eine weitere Pionier-Brand, wurde 2003 gegründet. Die europäischen Brands sind noch jünger. So wurde etwa ›Blue Blanket‹ in Italien 2008 gegründet und die schwedische Brand Nezumi 2011. Die ältesten Produkte in den Retail-Sortimenten sind die amerikanischen Brands aus dem Arbeitsschuhsektor: Chippewa Boots wurde 1901 gegründet, Wesco 1918. Mit den Raw-Denim-Pionieren hatte Novak gefunden, was er in Wien zuvor vermisst hatte. Zitat: "Für mich ist meine Garderobe wie ein Setzkasten. Wenn etwas fehlt, ersetze ich es. Kleidung begleitet mich. Der Schuh kostet etwas, aber ich habe ihn lang und kann ihn zum Schuster bringen. Viele meiner Kunden sehen das genauso. Sie beklagen sich, dass ihre Modejeans innerhalb eines halben Jahres kaputtgehen." Sein Hauptanliegen ist es für jeden Kunden etwas Passendes in Schnitt und Qualität zu haben - und das von der kleinsten Größe bis zu den Größen 44 bis 46. Aktuell belebt der Trend zu den Lumbersexuals das Geschäft. Gemeint sind urbane Männer mit Vollbart im robusten Outdoor-, bzw. Holzfäller Style. Novak könnte dennoch darauf verzichten, weil jetzt viele Marken auf den Trend aufspringen und eine Verwässerung bewirken. Charakteristische Merkmale In seinem Store steht eine Yamaha aus den 1970er Jahren und Viele seiner Kunden sind Biker und/oder Vintage-Anhänger. Darüberhinaus sind es aber auch rein qualitätsorientierte Kunden, die die Dauerhaftigkeit der Raw-Denim-Jeans schätzen. Martin Novak holt Jeans aus den Regalen, um die begehrten Merkmale der Jeans zu veranschaulichen: Am beliebtesten bei seinen Kunden seien die ›Iron Heart‹ Jeans in 21 oz, die etwas weicher sind und sehr gut passen. Modelle in ›sanforized‹-Variante werden unter Einwirkung von heißem Wasserdampf über eine Gummiwalze gezogen. ›Unsanforized‹ Modelle sind gleichbedeutend mit shrink-to-fit. Die Modelle schrumpfen nach dem ersten Waschen bzw. Soaken von 21 oz. auf 23 oz. Nach dem Soaken (= in die Badewanne einlegen) passen sich die Jeans besser an den Körper an. Außerdem setzen sich die Nähte. Unsanforized Jeans wie jene von ›Flat Head‹, sprechen eher die avancierten Raw-Denim-Träger an, so Novak, und weiter: "Es ist nicht meine Philosophie, die Hosen sechs Monate ohne Waschen zu tragen. Ich trage sie erst drei Monate, lege sie dann über Nacht in heißes Leitungswasser in die Badewanne um sie dann an der Luft zu trocknen. In der Folge wasche ich sie in Abständen von vier bis sechs Wochen." Die Jeans von ›Rising Sun‹, einer kalifornischen Brand, sind am ›White Oak Cone Mills‹-Denim aus North Carolina und dem ›single stitch‹ zu erkennen. Single stitch steht für sehr eng gesetzte Stiche und folglich Nähte, die extrem widerstandsfähig sind. Es sind mindestens 12 Stiche pro inch. Alle Nähte sind auf der alten Singer genäht. Die Hosen kosten 400 €. Von ›Blue Blanket‹ führt Novak den ›Wabash-Stripe-Denim‹, eine Art Blaudruck, der seinen Ursprung in der Kleidung der Eisenbahnarbeiter hat. Im Vergleich dazu zeigt er Hickory, das ist ein Streif in Webvariante. Das Besondere an den Jeans von ›Indigofera‹ ist der 14 oz. Denim, der mit Schwarzpulver überfärbt ist. Entgegen der Annahme sind die Teile nicht feuergefährlich, sondern liefern einen besonderen Abrieb- und Bleicheffekt. In Gestalt der New Yorker Brand ›3Sixteen‹ findet sich auch eine Raw-Denim-Interpretation in Stretchvariante im Sortiment. Das Mischverhältnis liegt bei 98:2. 3Sixteen webt seinen Denim exklusiv im renommierten Unternehmen Kuroki Mills in Okayama. Schließlich zeigt Novak ein Replica der ältesten je gefundenen Jeans aus 1879, die eher musealen Charakter hat. Plattform für Gleichgesinnte. Demnächst möchte sich Novak eine Union Kettenstichmaschinekaufen. Die Produktion wurde bereits eingestellt und Ersatzteile sind schwer erhältlich. Gebrauchte Modelle werden um ca. 5000 € gehandelt. Eigentlich hat die Maschine einen Fehler, weil sie den Stoff nicht richtig einzieht. Dadurch entstehe das begehrte ›Roping‹, eine leicht wellige Saumkante, deren erhabene Stellen rascher abreiben, erklärt er. Bisweilen schickt er Jeans von Kunden, die Roping wünschen, nach Berlin. Die Bedienung der Maschine ihm nicht schwerfallen. Vor der Gründung seinesStores hat sich Novak bereits einen Namen in der handwerklichen Fertigung von Lederaccessoires wie Gürteln und Geldbörsen gemacht. Heute ist die Lederwerkstatt in den Store integriert. Problematisch sei lediglich, dass es kaum mehr Gerbereien gibt, die Leder mit einer Stärke von 7 mm haben. So verwendet er vorwiegend Leder aus der amerikanischen ›Hermann Oak Tannery‹ und englisches Zaumzeugleder, das mit dem Tragen die gewünschte Patina erhält. Novaks Kunden kommen aus ganz Österreich und auch aus dem Ausland. Auf einen Online-Shop verzichtet er, weil er denkt, dass es das haptische Erlebnis braucht. Mehr als ein Store soll ›The Lowdown on Denim‹ ein Treffpunkt für all jene sein, die Respekt vor Bekleidung und eine Liebe zu Jeans haben. Mit dem Inhaber können sie über Bikes, Denim und Leder sprechen. Da die Szene noch neu ist in Wien, fungiert der Store auch als Plattform. Zu den Events wird Jazz, Blues und Rock a'Billy gespielt. Highlight ist die ›Sailor Jerry Party‹. Sailor Jerry ist ein Art Rum, dessen Name auf einen berühmten amerikanischen Tätowierer der 1950er Jahre zurückgeht ... Weitere lokale Repräsentanten der Core-Raw-Denim-Bewegung sind ›White Feather‹ in Wien 7, Burggasse 24 sowie ›Dukes Finest Vintage Artisan‹ in Korneuburg. Dazu kommen die modisch inspirierten Stores G-Star, e35 und Arnold's die wie ›The Lowdown on Denim‹-Store im 7. Bezirk zu finden sind. Hildegard Suntinger