Es gibt einen nahezu unbekannten Vertrag, der die Energiewende massiv ausbremst.Geheime Schiedsgerichte haben Staaten auf seiner Grundlage bereits zu Milliardenstrafen verurteilt.
Ursprünglich hat Deutschland den "Energy-Charta-Treaty" (ECT) Anfang der neunziger Jahre ratifiziert, um Investitionen in Ländern des ehemaligen Ostblocks zu schützen, deren Justiz noch nicht richtig funktionierte. Auf Basis des ECT konnten ausländische Energiekonzerne, die sich unfair behandelt fühlten, Regierungen vor internationalen Schiedsgerichten verklagen. Das Problem: Inzwischen wenden sie den ECT auch gegen intakte Rechtsstaaten an.Milliardenstrafen in nicht öffentlichen Verfahren
Die Prozesse finden hinter verschlossenen Türen statt, meist in Washington, beim Schiedsgericht der Weltbank. Drei Schiedsrichter entscheiden, einen stellt der Kläger, einen der Angeklagte, auf einen müssen sich beide Seiten einigen. Bislang wurden die 51 ECT-Mitgliedsländer zu rund 46 Milliarden Euro Schadensersatz verurteilt - mindestens, denn längst nicht alle Fälle sind öffentlich bekannt.
Kritiker des Vertrags beklagen, Deutschland habe sich mit dem Energiecharta-Vertrag beim Klimaschutz selbst Fesseln angelegt. Denn viele Kohle- und Gaskraftwerke, Pipelines, Bergwerke und Öl-Fördertürme stehen unter dem Schutz des ECT. Neue Klimaschutz-Gesetze werden so extrem riskant, teuer oder scheitern ganz.
Vattenfall gegen Deutschland
Langsam dämmert es den EU-Ländern - so sagte etwa der Luxemburgische Energieminister Claude Turmes im Interview mit Frontal 21: "Dieser Vertrag ist frontal gegen Klimaschutz, und deshalb muss er auch sehr tief reformiert werden."
Die EU will daher mehr Klimaschutz im Vertrag verankern und so die Schiedsgerichte entmachten. Diese Woche beginnt die nächste Runde der Reformverhandlungen.
Widerstand gegen Änderungen
Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich nichts Gravierendes ändern wird. Für jede Reform braucht es die Zustimmung aller Mitgliedsländer. Doch Japan und viele Staaten Osteuropas zeigen bislang wenig Bewegung.
Auch der Generalsekretär des ECT-Sekretariats in Brüssel, der Slowake Urban Rusnák, sieht wenig Handlungsbedarf: "Ich glaube keineswegs, dass der Energiecharta-Vertrag die Energiewende blockiert. Der ECT bietet Investoren und Regierungen den Raum den sie brauchen, um sich zu verständigen. Und wenn eine Regierung einem Investor seine Rechte nimmt, ohne ihn zu entschädigen, wäre das korrekt?"
Austritt ist kompliziert
Die Bundesregierung unterstützt offiziell die Reformpläne der EU. Ein Austritt aus dem Vertrag lehnt sie aber ab. Pia Eberhard von der Brüsseler NGO Corporate Europe Observatory kommentiert diese Politik mit einem drastischen Vergleich: "Zu sagen, wir beschäftigen uns noch nicht einmal mit der Option eines Ausstiegs aus diesem Vertrag, ist auch nicht so anders, als den Klimawandel zu leugnen. Das sagt ja im Prinzip, es gibt kein Problem, wir können so weitermachen wie bisher."
ECT contra Klimaschutz
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Oft reicht auch schon die Drohung mit einer Klage, um Staaten zum Einlenken zu bewegen. Deutschland zahlt der Leag, dem tschechischen Eigentümer des Braunkohle-Tagebaus in der Lausitz, 1,75 Milliarden Euro Entschädigung für den Braunkohleausstieg. Dafür darf der Konzern im Gegenzug nicht vor einem Schiedsgericht klagen. Experten gehen davon aus, dass die Entschädigung ohne dieses Druckmittel deutlich geringer ausgefallen wäre.
- Den Niederlanden droht eine Klage, wenn das Land den Kohleausstieg bis 2030 wie geplant durchzieht. Das hat der deutsche Kraftwerksbetreiber Uniper klar gemacht, der zwei Kohlekraftwerke im Land betreibt.
- Italien wird vom britischen Ölkonzern Rockhopper verklagt, weil das Land Ölbohrungen in Küstennähe verboten hat. Das Brisante an dem Fall: Italien hat den ECT bereits 2016 einseitig gekündigt, mit einer Kündigungsfrist von 20 Jahren. Rockhopper fordert nun 350 Millionen Euro Schadensersatz, auch für entgangene Gewinne. In seine Probebohrungen hatte der Konzern nur rund 50 Millionen Euro investiert.
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