SaporischjaOleg hat sich das ganze Jahr auf diesen Tag gefreut. Und sich mächtig in Schale geworfen: Orden über Orden schmücken das dunkelblaue Jacket des 87-jährigen ehemaligen Offiziers. Nur mit zwei Gehstöcken schafft es der alte Mann zum zentralen Platz in der ostukrainischen Industriemetropole Saparischja zu kommen. „Es wird von Jahr zu Jahr schwerer", klagt er und zeigt eine Verwundung am linken Unterschenkel. „Vom Krieg her kommt sie", sagt er und deutet mit einem Stock Richtung Norden. Dort habe er gegen die Deutschen gekämpft. „Es war furchtbar", sagt er leise, aber dann fangen seine kleinen Augen doch noch an zu leuchten. „Wir haben gesiegt".
Am 9. Mai wird in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion das Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert. Der Tag der Kapitulation Deutschlands nach Moskauer Zeit. Mit Paraden, Aufmärschen, Konzerten und viel, viel Nostalgie. Es ist der wichtigste Feiertag im Jahr. Schon in den Tagen zuvor werden alte Uniformen gewaschen, gebügelt, Gewehre und Jeeps geputzt. In diesem Jahr ist dennoch alles etwas anders. Zwar ließ Russland bei einer großen Militärparade in Moskau einmal mehr seine Muskeln spielen, doch der direkt anschließende Besuch von Präsident Wladimir Putin auf der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim machte deutlich, dass dieser, mittlerweile 69. Jahrestag nach Ende des Zweiten Weltkrieges, anders ablaufen würde als gewöhnlich.
In Mariupol, der ukrainischen Stadt am Asowschen Meer wurde an dem Tag, an dem eigentlich die Freude über den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland gefeiert werden soll, den ganzen Tag über gekämpft. Scharfschützen auf den Dächern, zahlreiche Tote, das Polizeigebäude in Flammen - das ukrainische Fernsehen berichtete von einem der blutigsten Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und prorussischen Separatisten der vergangenen Wochen.
„Es bricht mir das Herz, wenn ich das höre", sagt Oleg, und kann kleine Tränen nicht zurückhalten. Gerade an diesem Tag, seinem Tag, eskaliert die seit Monaten äußerst angespannte Situation in der Ostukraine erneut. Auf dem Platz in Saporischja haben sich derweil rund 2000 Menschen versammelt. Junge, Alte und ganz Alte. Den Veteranen gehört dieser Tag, sie sollen gefeiert werden. Eine junge Frau kommt auf Oleg zu, überreicht ihm einen Strauß rosafarbener Blumen. „Als Dankeschön für deinen Einsatz", sagt sie. Es ist keine einmalige Szene, sondern wiederholt sich an diesem Vormittag ständig. Und dann sieht Oleg, der im Krieg einer Panzerbrigade vorstand, einen alten Kameraden. Tränenreiche Umarmung, Schwelgen in Erinnerungen, Diskussionen über die Zukunft ihres Landes. Die alten Männer verfolgen die Entwicklung in der Ukraine weiterhin aufmerksam. Und haben eine klare Meinung: „Unser Land darf nicht geteilt werden".
Zur Lage in der UkraineWegen schlechter Bezahlung, der trüben wirtschaftlichen Ausblicke und einer insgesamt instabilen Lage ist die Moral bei Militär und anderen Sicherheitsstrukturen auf dem Tiefpunkt. Zwar behauptet Interimspräsident Alexander Turtschinow, dass die Streitkräfte „in voller Kampfbereitschaft" seien. Doch immer wieder gibt es Berichte von Überläufern ins Lager der Aufständischen. Außerdem droht Russland mit einem Militäreinsatz, sollte die Ukraine erneut Panzer und Geschütze gegen die Aufständischen auffahren.
Bisher ist nur sehr vage eine Verfassungsreform angekündigt. Sie soll den Regionen mehr Autonomie bringen und die russische Sprache schützen. Im Gespräch ist, über eine neue Verfassung am 15. Juni abstimmen zu lassen. Die prorussischen Aktivisten sehen sich als Separatisten und Terroristen verunglimpft. Sie haben für den 11. Mai ein Referendum angesetzt - für eine Loslösung der Gebiete Donezk und Lugansk von Kiew. Ein Dialog zwischen Repräsentanten aus Kiew und den prorussischen Wortführern ist nicht in Sicht.
Die prowestliche ukrainische Regierung sieht die Gefahr eines Flächenbrandes und will verhindern, dass zum Beispiel in Odessa am Schwarzen Meer oder in Charkow Gebäude besetzt werden. Dafür werden in den einzelnen Gebieten Verteidigungskomitees gebildet. Das Chaos dürfte sich aber verschlimmern, wie Beobachter meinen. Die vor dem Bankrott stehende Ukraine ist unter anderem wegen nicht bezahlter milliardenschwerer Gasrechnungen bei Russland verschuldet. Kremlchef Wladimir Putin hat eine Zahlungsfrist bis Anfang Mai gesetzt.
Angedroht hat Russland, Gas nur noch gegen Vorkasse zu liefern. Wenn kein Geld fließt, wird kein Gas strömen. Und weil die Ukraine das wichtigste Transitland für Gaslieferungen in den Westen ist, kann es zu Lieferengpässen in der EU kommen. Schon beim „Gaskrieg" 2009 zwischen Kiew und Moskau hatte Russland den Hahn zugedreht, weshalb es auch in der EU zu Engpässen kam.
Sie wollen eine Lösung, damit ihre eigene Wirtschaft nicht weiter leidet. Kremlchef Wladimir Putin hat bereits eingeräumt, dass die vom Westen gegen Russland im Ukraine-Konflikt verhängten Sanktionen sich schädlich auf die Wirtschaft auswirken. Die Führung in Moskau kämpft mit Konjunkturproblemen, Kapitalflucht, aufziehender Rezession, Wertverfall des Rubel und mit einem schlechteren Investitionsklima.