Björn Leuzinger kandidiert für die Satirepartei Die PARTEI. Doch in den Bundestag kommt er nicht - warum tut er sich und den Wählern das an?
Lange vor dem Wahlsonntag steht bereits fest: Björn Leuzinger wird diese Bundestagswahl verlieren. Es ist nicht die erste Wahl, die er verlieren wird. Eine Bundestagswahl hat er schon verloren, außerdem eine Landtagswahl, sogar zwei Bürgermeisterwahlen in Orten, in denen er gar nicht lebt. Seit Björn Leuzinger in Die PARTEI eingetreten ist, kandidiert er bei jeder Gelegenheit für sie.
Diesmal steht Leuzinger auf Platz 9 der Landesliste Baden-Württemberg. Damit er einzieht, müsste seine Partei etwa zehn Prozent holen. Das habe er ausgerechnet, erzählt er am Rande einer Wahlkampfaktion in seiner Heimatstadt Heidelberg. Die letzte Umfrage sah Die PARTEI zwischen einem und zwei Prozent.
Warum ist er dann trotzdem hier? Und warum ist ein junger Mensch wie Leuzinger bei einer Satirepartei, statt in einer anderen Partei nach Lösungen für Probleme zu suchen?
Unterhält man sich länger mit ihm, bekommt man mit der Zeit das Gefühl, dass einem zwei Menschen gegenübersitzen: Manchmal spricht da der Vertreter einer Satirepartei, der Dinge sagt wie: "Inhalte müssen wir überwinden." Der in der Rhein-Neckar-Zeitung verkünden lässt, er werde gerne Bestechungsgelder annehmen. Der mit dem Slogan "Anwohner nerven" sehr laut gegen frühe Kneipenschließzeiten protestiert.
Aber die meiste Zeit spricht da ein nachdenklicher 32-Jähriger, der das ganze Theater, das er und seine Partei veranstalten, nicht nur lustig, sondern aus irgendeinem Grund auch wichtig findet. Wichtig genug, um eine Menge Freizeit zu investieren, auch mal bei minus zwölf Grad Plakate aufzuhängen oder sich auf einer Veranstaltung minutenlang vom Publikum ausbuhen zu lassen.
Wie wird so jemand politisiert?
Leuzinger sagt von sich, er sei kein politischer Jugendlicher gewesen. Erst während seiner Ausbildung zum Chemielaboranten habe er begonnen, sich für Politik zu interessieren. Er fing an, Nachrichten zu verfolgen, freute sich auf seine erste Wahl. Aber wen er wählen würde, wusste er nicht. Je länger er sich mit Politik befasste, desto weniger hatte er das Gefühl, dass seine Stimme zu einer politischen Veränderung führen würde. Er hatte den Eindruck, dass Korruptionsskandale nicht unbedingt bedeuten, dass ein Minister zurücktreten muss. Oder dass Versprechen aus dem Wahlkampf später auch in die Tat umgesetzt werden.
Leuzinger entwickelte sich zum Protestwähler. Bei seiner ersten Wahl wählte er noch die SPD, später die Piraten, bei Kommunalwahlen gab er außer einem ehemaligen Klassenkameraden nur den letzten Kandidaten auf den Listen seine Stimme - weil die ganz sicher nicht einziehen würden. Leuzinger wollte mitreden und manövrierte sich mit seinem Frust gleichzeitig in eine Sackgasse.
2014 wählte er zum ersten Mal Die PARTEI. Im Jahr darauf trat er ein.
"Bei meinem ersten Stammtisch saßen da zehn bis zwölf Leute, die waren total aufgeschlossen und redeten darüber, wie man satirisch aufzeigen könnte, was die Politik wieder verbockt hatte", erzählt er. "Das fand ich genau richtig."
Kurz vor der Bundestagswahl steht Björn Leuzinger in der Fußgängerzone in Heidelberg. Es ist kalt, bewölkt und relativ wenig los. Trotzdem wird der Wahlkampfstand der PARTEI in den nächsten Stunden immer wieder von Menschen umringt werden. Vier Kästen Bier verteilen Björn Leuzinger und seine Mitstreiter. Leuzinger ist gut drauf. Er bietet Sticker an, macht Witze, diskutiert mit einer Frau, die Die PARTEI zwar sympathisch findet, aber bei der Wahl "doch etwas Richtiges" wählen will.
Außerdem ist prominenter Besuch am Wahlkampfstand: Martin Sonneborn hat Halt gemacht auf dem Weg zwischen Straßburg und Berlin. "Weil Björn mich gefragt hatte", sagt er. Sonneborn kennt Leuzinger durch seine Kandidaturen und Aktionen. Schon zu vergangenen Wahlen haben sie zusammen Veranstaltungen organisiert.
Der Parteivorsitzende hat Zeit für ein Gespräch über seine Basis. Kann er verstehen, warum Leute wie Leuzinger in ihrer Freizeit für aussichtslose Wahlen kandidieren? "Es ist eine Auseinandersetzung mit dem politischen System", sagt Sonneborn. Als er Die PARTEI gegründet habe, sei er davon ausgegangen, dass es eine öffentlichkeitswirksame, aber dennoch kleine Aktion von professionellen Satirikern werde. Dass sich so viele Menschen der Gruppe anschließen, hätte er nicht erwartet.
"Ich habe mich vorhin mit jemandem unterhalten, der hatte die Mitgliedsnummer 56.007", erzählt er. "Es gibt also 56.007 Leute, die sich auf komische Weise mit Politik auseinandersetzen." Sonneborn wirkt ein klitzekleines bisschen gerührt. "Und die machen das richtig gut. Die Basis ist sehr wertvoll, finde ich mittlerweile."
Einerseits mache es ihm Sorgen, wenn er sehe, dass bei den etablierten Parteien eine Erosion stattfinde, dass sich dort immer weniger Menschen engagierten, sagt Sonneborn. Sonneborn beobachte, dass auch immer mehr junge Leute kämen, die vorher in anderen Parteien waren. Meist bei der SPD, den Linken oder den Grünen. "Die erzählen, dass es dort dröge gewesen sei und man nichts habe machen dürfen", sagt er. "Und bei uns dürfen sie alles machen." Die PARTEI unterstütze alle möglichen Aktionen - gegen die AfD, zum Klimawandel oder zu lokalen Themen. "Wir sind eine Plattform", sagt Sonneborn, "solange jemand nicht rechtsradikal ist, darf er sich bei uns für die Dinge einsetzen, die er wichtig findet."
Björn Leuzinger scheint nicht der
Einzige zu sein, der das attraktiv findet. Denn die kleine Partei
bekommt Zulauf. Seit der letzten Bundestagswahl hat sie ihre
Mitgliederzahl mehr als verdoppelt. Bei der Wahl zum Berliner
Abgeordnetenhaus könnte sie die Fünfprozenthürde erreichen. Und gerade
bei jungen Menschen ist sie beliebt. Bei der vergangenen Europawahl
wählten sie etwa 11 Prozent der 18- bis 24-Jährigen – nur kurz hinter
CDU und SPD.
Gleichzeitig erklären sowohl
Sonneborn als auch Leuzinger, dass das eigentliche Ziel nicht sei, in
die Parlamente zu kommen. Leuzinger sagt: "Es kann nicht unser Job sein,
irgendwelche Lösungen anzubieten. Wir wollen Druck ausüben, bis die
anderen Parteien wieder glaubwürdige Sachpolitik anbieten." Und
Sonneborn geht noch einen Schritt weiter. Er sagt: "Mandate sind für uns
Betriebsunfälle."
Sonneborn sitzt wegen
eines solchen Betriebsunfalls im EU-Parlament. Leiser und dafür öfter
krachte es aber auch schon in Deutschland: In Kreistagen, Gemeinderäten
und anderen kommunalen Organen hat Die PARTEI bereits 343 Mandate
gewonnen. Eines davon hat auch Leuzinger inne, auch Leuzinger ist ein
Betriebsunfall.
Denn die Geschichte von Björn Leuzinger ist nicht nur die Geschichte von einem Kandidaten, der ständig antritt und verliert. Es ist auch die Geschichte eines jungen Mannes, der plötzlich im Gemeinderat von Heidelberg sitzt und Politiker sein muss.
Marilena Geugjes war nicht begeistert, als sie erfahren hat, dass die PARTEI einen Sitz bei den Kommunalwahlen geholt hat. Geugjes, die bei den Grünen ist und gleichzeitig mit Leuzinger in den Gemeinderat einzog, ist Idealistin. Sie sei schon als Teenagerin politisch gewesen, ging zu den Grünen, um sich dort gegen Neonazis in der Region zu engagieren. Geugjes, heute 30 Jahre alt, ist Teil des politischen Systems, weil sie daran glaubt. Leuzinger ist Teil davon, weil er eben nicht daran glaubt.
Geugjes erzählt von ihrem
ersten Aufeinandertreffen. Das war 2019, beide saßen bei einer
Podiumsdiskussion auf der Bühne. "Ich fand ihn total doof", erzählt sie.
Wie viele Politiker der PARTEI trug er an diesem Abend einen auffällig
hässlichen grauen Anzug, außerdem hatte er einen Aktenkoffer dabei,
erinnert sie sich. Sie fand das kindisch. "Wir anderen Parteien saßen da
auf dem Podium und wollten diskutieren und er kam immer mit seinen
Späßle", sagt sie. "Mich hat das genervt." Sie habe versucht, ihn
weitestgehend zu ignorieren.
Doch unverhofft für beide
sind Geugjes und Leuzinger mittlerweile Freunde geworden. Heute hat
Geugjes ein vollkommen anderes Bild von Leuzinger. Sehr klug sei er.
Außerdem sei er mit derjenige, der sich auf jede Sitzung des
Gemeinderats am gründlichsten vorbereite, jede Vorlage lese. "Er weiß
immer, was los ist", sagt sie. "Ich habe einen Doktortitel in
Politikwissenschaft, aber wenn ich in der Kommunalpolitik irgendetwas
nicht verstehe, frage ich den Björn."
Was im Gemeinderat diskutiert werde, sei ihm durchaus wichtig. Ihr sei allerdings auch klar geworden, dass Leuzinger nicht konsequent in seiner satirischen Figur sei.
"Eigentlich ist doch das
Selbstverständnis der PARTEI, Absurditäten des politischen Geschäfts
aufzuzeigen", sagt Geugjes. "Aber Björn ist – das habe ich mittlerweile
festgestellt – ein verdammt guter Politiker. Das heißt, wenn es ihm
wichtig ist und wenn es drauf ankommt, macht er richtige Politik."
Gerade bei sozialen Themen bringe er sich nicht mit ironischen Anträgen,
sondern ernsthaften Argumenten ein. Wenn er etwa fürchtet, dass
Obdachlose unter einer neuen Polizeiverordnung leiden könnten, hält er
in der Gemeinderatssitzung dagegen.
Auch eine von Leuzingers spektakulärsten Aktionen war womöglich nicht so satirisch, wie es schien. Der Gemeinderat stritt um die Frage, ob eine große Wiese in der Innenstadt bebaut werden solle oder nicht. Jahrelange Diskussionen, ein Bürgerbegehren und ein Volksentscheid waren der Abstimmung vorangegangen. Leuzinger hatte die entscheidende Stimme zwischen zwei verhärteten Fronten und verkündete, er wolle per Los entscheiden, wofür er stimme. Genauer gesagt: per Kronkorken einer regionalen Bierbrauerei, auf denen in jeder Flasche ein Ja oder ein Nein steht.
Die Empörung in der Stadt war groß, der Oberbürgermeister bezeichnete Leuzinger gar als eine "Gefahr für die Kommunalpolitik". Öffentlichkeitswirksam öffnete dieser in der Gemeinderatssitzung seine Bierflasche und folgte in seiner Abstimmung dem Kronkorken. Gegen die Bebauung der Wiese, mit den Grünen und den Linken. Doch Geugjes erzählt: "Ich weiß nicht, wie Björn das gemacht hat, aber das war abgesprochen. Wir wussten, dass wir uns auf ihn verlassen konnten." Leuzinger will sich dazu nicht äußern.
An den Wahlkampfstand in der Fußgängerzone hat Leuzinger mehrere Plakate gelehnt. "Satire statt Politik!", steht auf einem. "Politik statt Satire!", auf einem anderen. Nächstes Jahr steht in Heidelberg übrigens die Wahl des Oberbürgermeisters an. Leuzinger wird wieder kandidieren.
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