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Paroli Magazin (1)

Mexiko hat gewählt. Der 46-jährige Enrique Peña Nieto wird das Land während der nächsten sechs Jahre regieren. Nach einer teilweisen Neuauszählung der Stimmzettel auf Initiative seines Kontrahenten Andrés López Obrador kann sich Peña Nieto seines Sieges sicher sein.

Schon vor den Präsidentschaftswahlen am 1. Juli war die Situation im ganzen Land angespannt. Laut der Tageszeitung La Jornada ergaben Umfragen, dass 71% aller Mexikaner einen Wahlbetrug für wahrscheinlich hielten. Im Mai verjagten Studenten Enrique Peña Nieto vom Gelände der privaten Universität Iberoamericana, wo er zuvor im Zuge seines Wahlkampfes einen Vortrag gehalten hatte. Sie bezichtigen ihn, während seiner Zeit als Governeur des Bundesstaates Mexiko sein Amt missbraucht zu haben und für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu sein. Die soziale Bewegung #yosoy132, die aus diesem Studentenprotest hervorging, wirft den Massenmedien - allen voran Televisa, einem der größten Medienunternehmen Lateinamerikas - außerdem vor, Peña Nietos Partei PRI (Partido Revolucionario Institutional) nahe zu stehen und ihn durch positive bzw. unkritische Berichterstattung zum Präsidenten des Landes zu machen. In wenigen Wort lauten die Vorwürfe: Freunderlwirtschaft und Korruption.


Turbulente Staatsgründung

In Mexiko pflegt man Fremden zu erklären, dass schon die Gründung des heutigen Staates auf Basis von Korruption stattfand. Erst vor zwei Jahren feierte Mexiko 200 Jahre Unabhängigkeit. Mit einem gigantischen Feuerwerk feierte man diesen Tag. Später sollten Kritiker sagen, dass das Geld, das im wahrsten Sinne des Wortes innerhalb weniger Minuten verpulvert worden war, eigentlich bessere Verwendung finden hätte können. 

Die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit waren gekennzeichnet von politischer Instabilität. Der erste Kaiser, Augustín de Iturbide, musste nach nur einem Jahr abdanken. Es kam zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen und schließlich - nach unzähligen Regierungswechseln - zum mexikanisch-amerikanischen Krieg, bei dem Mexiko große Teile seines damaligen Territoriums an die USA verlor. Erst als Porfirio Díaz 1876 an die Macht kam und ein liberal-oligarchisches Regime aufbaute, stabilisierte sich die politische Lage in Mexiko weitestgehend, endete aber nach der us-amerikanischen Wirtschaftskrise von 1907 in der Mexikanischen Revolution.


Die Anfänge der PRI

Seinen Ursprung hat das politische Mexiko von heute in dieser Zeit. Die Revolution brachte - im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Ländern - einen politisch stabilen Staat hervor. Die Regierung stellte die 1929 gegründete PNR (Partido Nacional Revolucionario), welche einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen der Revolution darstellte. Die alte mexikanische Oligarchie war von der politischen Bühne verdrängt worden und der Weg für den Aufstieg einer neuen Führungsschicht frei.

1938 wurde die PNR in PRM (Partido de la Revolución Mexicana) und zwei Jahre darauf in PRI (Partido Revolucionario Institucional) umbenannt. Die Partei war in einer autoritär-korporatistischen Verhandlungsstruktur organisiert, in welcher die einfache Bevölkerung nur durch politische Loyalitätsbekundungen an bestimmte Leistungen kam. Sie fungierte als Bindeglied zwischen dem politischen Wasserkopf Mexiko Stadt und den Peripherien, da sie es verstand, auch entfernte Machtblöcke durch Verhandlungsstrategien ins Zentrum zu integrieren. Damit war der Grundstein für die Jahrzehnte andauernde Machtausübung gelegt.


70 Jahre ohne Unterbrechungen

Die Institutionelle Partei der Revolution schaffte etwas, auf das vermutlich nur wenige Parteien in demokratischen Staaten verweisen können: vom Zeitpunkt ihrer Gründung an bis ins Jahr 2000 stellte sie ohne Unterbrechungen den mexikanischen Präsidenten und in weiten Teilen des Landes auch die Governeure der Bundesstaaten. 

Dieser lange Machterhalt basiert vorwiegend auf Modernisierungsprogrammen während der ersten Jahre, die als "Milagro mexicano" (mexikanisches Wunder) bezeichnet werden, und einer starken Medienkontrolle. In dieser Zeit bildete sich eine relativ wohlhabende urbane Mittelschicht heraus, gleichzeitig aber vergrößerten sich die sozialen und ökonomischen Ungleichheiten im Land. Die daraus resultierende Unzufriedenheit der Bevölkerung, die sich zunehmend gegen den autoritären Regierungsstil der PRI richtete, und die Maßnahmen, die die Partei ergriff, um darauf zu reagieren, gipfelten 1968 im Massaker von Tlatelolco, der brutalen Niederschlagung von Studentenprotesten, bei der mehrere hundert Studenten von Sicherheitskräften getötet wurden.

Die darauf folgenden Jahre waren von einem wirtschaftlichen Niedergang und politischen Krisen geprägt. Die Opposition wurde stärker und weite Teile der Bevölkerung stellten die Legitimität der PRI-Regierung in Frage. Zusätzlich verschärften sich die sozialen Ungleichheiten durch eine stark neoliberal ausgerichtete Politik. Die Wahlbeteiligung sank und die Präsidentschaftswahlen von 1988 endeten in einem Desaster. Als der oppositionelle Kandidat bei der Auszählung in Führung lag, fiel der zentrale Wahlcomputer aus und der PRI-Kandidat Carlos Salinas de Gortari wurde als Sieger bekannt gegeben.

Carlos Salinas, der politische Ökonomie in Harvard studiert hatte, sollte über seine Regierungszeit hinaus in den Köpfen der Menschen bleiben. Er setzte die Liberalisierungspolitik seines Vorgängers fort, privatisierte staatliche Unternehmen und sorgte für eine wirtschaftliche Öffnung des Landes. In dieser Zeit wurde das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) unterschrieben und Carlos Slim, der Milliardär, der erst kürzlich als Großaktionär bei der österreichischen Telekom eingestiegen ist, machte sein Vermögen. Später sollte bekannt werden, dass Carlos Salinas Verwandtschaft Schmiergeld in Millionenhöhe auf Schweizer Banken bunkerte, was den ehemaligen Präsidenten veranlasste, ins europäische Exil zu gehen.


Neubeginn?

Die Krise der Institutionellen Partei der Revolution endete im Jahr 2000 mit deren Abwahl. Vicente Fox von der konservativen PAN (Partido Acción Nacional) wird Präsident, ihm folgt Felipe Calderón von derselben Partei. Zwölf Jahre lang war die PRI aus dem Präsidentenpalast verbannt. Jetzt hat sie ihn sich zurückerobert.

Als ein wenig mehr als die Hälfte aller Stimmzettel ausgezählt war, gratulierten Staatsoberhäupter aus aller Welt Enrique Peña Nieto bereits zu seinem Wahlsieg. Währenddessen laufen Twitter und Facebook heiß. Von überall her melden Bürger Zwischenfälle vor und während der Wahlen. Schon Tage davor tauchten Meldungen über Stimmenkauf auf, der ärmeren Bevölkerung war bares Geld für ihre Stimme geboten worden. Während der Stimmauszählung begannen Bilder im Internet zu kursieren, die den Wahlbetrug beweisen sollten. Man habe sich in den Computer des Wahlinstituts eingehackt, heißt es. Nach der Wahl berichten viele Mexikaner, dass sie ihre Stimme nicht abgeben konnten, da den Wahllokalen die Stimmzettel ausgegangen waren oder gar nicht erst geöffnet hatten. Soriana, eine der großen mexikanischen Supermarktketten hätte der PRI beim Wahlbetrug geholfen, heißt es nach der Wahl. Im Gegenzug für eine Stimme für die PRI hatte sie Karten mit Einkaufsguthaben verteilt. Als dies publik wurde, verlor Soriana an der Börse innerhalb von neun Tagen 400 Millionen Dollar.

Enrique Peña Nieto leugnet nach der Wahl jeglichen Betrug. Man habe keine Stimmen gekauft, das wären Gerüchte, die sein Kontrahent Andrés López Obrador und dessen Partei in die Welt gesetzt hätten. Und er versprach einen Wandel, seine Partei habe sich während der zwölf Jahre Abstinenz erneuert.

Kritiker und die Studenten der Bewegung #yosoy132 glauben ihm nicht. Sie organisierten vor, während und nach der Wahl landesweite Demonstrationen, um ihrem Unmut über die politischen Zustände und die in Mexiko normal gewordene Korruption Ausdruck zu verleihen. Das Motto: "¡Despierta México! - Wach auf Mexiko!"

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