Da ist sie endlich wieder, die Göttin der modernen Dystopie. Sibylle Berg. Ihr neuer radikaler Roman „RCE" (Kiepenheuer & Witsch) tut weh, rüttelt auf, packt den ganzen Irrsinn unserer Welt auf knapp 700 Seiten. Ein Meisterwerk. Über die Revolution, die längst fällig ist.
Sibylle Berg zeigt, wohin es führt, wenn wir so weitermachen mit noch mehr Konsum und Kapitalkonzentration, „dem Einpeitschen des Wettbewerbs in Kinderhirne", wenn wir als Vorbilder „Konzernchefs, Milliardäre, Macher, mutige Männer" feiern, von denen wir radikalisiert und ermuntert werden, noch kapitalistischer zu handeln. Im RCE-Szenario glaubt keiner mehr an irgendetwas, außer an Geld. Während die Masse der Menschen ums Überleben kämpft, desillusioniert und hoffnungslos, bereichert sich eine Minderheit dreister denn je.
Doch Moment. Stop. Eine Gruppe von jungen europäischen Hackern kämpft gegen den neoliberalen Wahnsinn. Maggy, Ben, Kemal, Pavel, Rachel und Don planen den Sturz des Systems. Sie wollen die Apathie der Massen in Wut verwandeln, und dazu starten sie eine PR-Kampagne gegen Lobbyismus, Bestechung, Korruption und die fatale Verknüpfung von Industrie, Kapital und Politik.
Präzise, messerscharf, böse, schonungslos und mit dem ihr eigenen dunkeln Ironie. So schreibt Sibylle Berg, während sie ihren Plot vorantreibt, nah an ihre Held*innen heranzoomt und diese durch ganz Europa jagt. Ein komplexer Roman mit der Faktendichte von drei Sachbüchern und mit 20 Schauplätzen. Kühn konstruiert, mit rasanten Schnitten und in einer speziellen, Poetry Slam ähnlichen Diktion verfasst - kurz: Kunst. Wer diese 700 Seiten Politik-Gewitter durchhält, spürt wie nah wir Sibylle Bergs Dystopie schon sind, wie dringend wir für eine andere, humanere, sozialere Welt kämpfen sollten.
„RCE" ist übrigens nach „GRM" Teil 2 einer Trilogie. Ich stelle das Buch am Samstag, 14.5., in meiner Literatursendung bei egoFM vor - ihr hört die Show ab Montag hier im Stream.