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Berliner Bürgerinitiative: Ein Knigge wird kommen, sie vom Müll zu befreien

Der heillos überfüllte Mülleimer ist kein ungewöhnlicher Anblick im Treptower Park. Tibor Rietzsch-Junge steht daneben, in der Hand ein Stapel Faltblätter, auf die acht Benimmregeln gedruckt sind - der sogenannte Park-Knigge. Den hat die Bürgerinitiative „wirBerlin" in der vergangenen Woche vorgestellt, um die Vermüllung der Berliner Parks zu stoppen.

Die Lage hat sich seit Corona dramatisch zugespitzt: Leere Flaschen, Verpackungsreste von Schnellrestaurants und Zigarettenkippen prägen das Bild öffentlicher Grünanlagen. Ob auf den Wiesen, unter den Bäumen oder in der Nähe der Mülleimer - überall liegt zurückgelassener Abfall. Auch, weil viele Partys ins Freie verlagert werden. „Wir sind wirklich verzweifelt, weil wir dagegen nicht mehr ankommen", klagt Sabine Gehrt, Leiterin des Grünflächenamts im Bezirk Treptow-Köpenick. Die Stadtreinigung rücke zwar mittlerweile täglich an, komme aber nicht hinterher.

Der Flyer der Bürgerinitiative soll helfen: Der Park-Knigge soll Bewusstsein schaffen für das Müllproblem. In sechs Sprachen gibt es Hinweise: Zigarettenkippen und Kronkorken nicht einfach liegen lassen! Den Müll wieder mit nach Hause nehmen, wenn die Mülleimer voll sind! Grillen im Park verboten!

Die ehrenamtlichen Aktivisten von „wirBerlin", die oft Müllsammelaktionen durchführen, sehen die Bürger in der Pflicht. Darum wollen sie an diesem Nachmittag im Treptower Park nicht nur möglichst viel Müll wegräumen, sondern die Menschen im Gespräch auf die Situation aufmerksam machen. „Wir erinnern an die eigene Verantwortung und kommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger", sagt Barbara Ernst, die Initiatorin des Projekts. Außerdem wolle man zeigen, wie schön der Park sein kann - wenn er denn sauber ist.

Auch Tibor Rietzsch-Junge will nicht als Mahner auftreten: „Das unterscheidet uns vom Ordnungsamt, das sofort mit Parkknöllchen verbunden wird; da wäre der Dialog vorbelastet." Er steht am Rande eines Parkweges und spricht geduldig die Passanten an. Drei junge Männer, jeweils mit einem Bier in der Hand auf ihn zukommend, lassen sich schließlich in ein Gespräch verwickeln. Sie erhalten einen tragbaren Aschenbecher und einen Park-Knigge - und schauen einsichtig. Doch persönlich fühlen sich die drei durch den Knigge nicht angesprochen. „Ich bin immer super sauber", sagt einer im breiten Berliner Dialekt. Die Idee finden sie aber trotzdem „juut" und nehmen den Flyer dankend mit.

Die meisten Leute zeigen sich an diesem Nachmittag erfreut über die Aktion. „Der Park liegt den Leuten ja am Herzen", glaubt Rietzsch-Junge, er sei schließlich wie Wohnraum. An der Spree gelegen, bietet er mit 88 Hektar, einem Rosengarten, Karpfenteich und vielen Denkmälern reichlich Abwechslung. Seit dem Ausbruch des Coronavirus und der Schließung der Clubs wird er auch von vielen Feierfreudigen geschätzt.

Obwohl gerade viel über Umwelt- und Klimaschutz gesprochen wird, obwohl viele junge Menschen dafür auf die Straße gehen, sei es „für viele aber offenkundig schwierig, die einfachsten Dinge selbst umzusetzen", sagt Rainer Hölmer (SPD). Er ist der Bezirksstadtrat von Treptow-Köpenick und unterstützt deshalb die Aktion der Bürgerinitiative. Zwar seien die Bußgelder für das Hinterlassen von Müll in Berlin bereits empfindlich hoch, doch der Vollzug eben unmöglich. Die aktuellen Arbeitsverträge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ordnungsamtes machten nämlich Nachtschichten unmöglich. Und am nächsten Tag liegt da eben nur noch der Müll. Der beste Weg sei deshalb der Appell an die Verantwortung und ein „Kampf um einzelne Köpfe", so Hölmer.

Auch Stella Brendke ist heute zum Müllsammeln gekommen. Sie hat durch Bekannte von der Aktion gehört und will nun Vorbild sein: „Ich komme selbst in den Treptower Park, seit ich klein bin und ärgere mich, dass die Leute so unaufmerksam sind." Mit einer langen Greifzange holt sie Kronkorken und Verpackungsreste aus der Erde und sammelt Müll in einem großen grauen Sack. Ihre drei Jahre alte Nichte hat sie ebenfalls zu der „Clean Up"-Aktion mitgebracht. Die bringt ihrer Tante, was sie aufgesammelt hat - nicht ohne einen gewissen Stolz. Kinder müssten ohnehin beschäftigt werden und so etwas könne auch Spaß machen, meint Brendke. „Andere Leute gehen demonstrieren, wir helfen der Umwelt direkt."

Am Ende haben die 20 Freiwilligen sechs Müllsäcke gefüllt und Dutzende Knigge-Flyer verteilt - Initiatorin Beate Ernst ist zufrieden. Je nachdem, wie viele Freiwillige sich das nächste Mal melden, will sie künftig auch in anderen Parks sauber machen und die Besucher an die Benimmregeln erinnern.

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