- Mittagessen. Es beginnt mit Scheiben vom anisgebeizten Lachs mit kleinem Croustillant vom Lachs, Affila-Kresse und Kaviar vom Fliegenfisch. Dann zweierlei von der Entenleber mit Kokos-milch-Sulz, Macadamia-Nüssen und Kafir-Limette. Als Nächstes kross gebratene Langustine und Jakobsmuschel mit asiatischem Gemüse und Sojaglace. Das sind die ersten drei Gänge, sieben sollen es werden, dazu Rosé-Champagner, Grüner Veltliner, Sangiovese, Muscat de Rivesaltes. Aber damit allein kann man es nicht beschreiben.
Baiersbronn im Schwarzwald. Groß und imposant liegt das Hotel "Traube" am Hang über dem Tonbachtal. Die Traube hat 171 Zimmer, Appartements und Suiten, sie hat drei Swimmingpools, davon einen mit Meerwasser, ein Spa, das auch original balinesische Massage anbietet, sie hat Salons mit schweren Polstermöbeln und Hirschgeweihen an der Wand, Humidors mit kubanischen Zigarren, Boutiquen mit italienischer Mode, eine Vinothek. Der Service stets aufmerksam und im Badezimmer flauschiges Frottee mit dem eingestickten Logo des Hauses. Gediegen, elegant, fünf Sterne. Oder, wie ein Prospekt des Hauses es formuliert, das Ergebnis einer "Leidenschaft für Luxus, Komfort, Küche, Ambiente und feine Lebensart".
Die Traube wird gern beschrieben als Zauberberg im Schwarzwald, was nicht zuletzt mit der Küche zu tun hat. Die Traube unterhält vier Restaurants. Eines für die Pensionsmenüs, eines für anspruchsvolle internationale Küche, eines mit regionalen Spezialitäten. Und dann ist da noch die "Schwarzwaldstube". Das Restaurant ist seit 18 Jahren mit drei Michelin-Sternen dekoriert, Gault Millau bewertet es mit 19,5 von 20 möglichen Punkten, der Schlemmer Atlas mit fünf von fünf Kochlöffeln. Nichts als Höchstwertungen.
In der Schwarzwaldstube kocht Harald Wohlfahrt, den die "New York Times" schon 1994 zu den zehn besten Köchen der Welt zählte und über den der Gault Millau schrieb: "Er wirkt manchmal so schüchtern wie ein Ministrant bei der ersten Heiligen Messe, dabei kocht er gottbegnadet. Alles schmeckt zum Niederknien ... - ein Johann Sebastian Mozart der Kochkunst." Wa r t e zeit für eine Tischreservierung am Abend: mindestens ein halbes Jahr.
Nebel steigt aus dem Tannenwald, am Himmel mausgraue Wolken, als Wohlfahrt an diesem Samstag zur Arbeit kommt. Es ist neun Uhr morgens. Er steht hinter einer großen Glasscheibe am Eingang zur Küche. Er knabbert Apfelspalten, seine Brille baumelt an einer Schnur vor der Brust. Hinter ihm beginnen zwölf Köche ihren Dienst. Wohlfahrt macht sich Notizen, kostet mit dem Teelöffel von einer Gemüsemischung, nickt. Auf den Herden Töpfe mit Saucen. Sherryjus. Sternanisjus. Albufera. Es sind insgesamt 20. Was ihnen Aroma und Struktur verleiht, klingt ein wenig nach Chemieunterricht.
"Werden die Knochen für die Fondsbasis zu lange geröstet, wird die Sauce bitter", sagt Wohlfahrt, "werden sie zu kurz geröstet, wird die Sauce zu hell, die Konsistenz zu schwach." Und weil jede Sauce über Tage hinweg von 90 auf acht Liter reduziert wird, potenziert sich der kleinste Lapsus. Um die Töpfe und Pfannen herum herrschen die Gesetze der Geometrie. Laufwege, Zuordnungen sind minutiös einstudiert, wobei zuletzt alles auf ihn zuläuft, der jedes Gericht mit einer langen Pinzette - das wäre die Sparte Design - vollendet.
Wohlfahrt wächst auf in Loffenau bei Baden-Baden, wo er seine Kindheit überwiegend auf dem Bauernhof der Großeltern verbringt. Dort lernt er Heu machen, hilft bei der Obsternte, schaut beim Schlachten zu. Seine Geschwister, erzählt der Koch, landeten alle irgendwo in der Metallindustrie. "Ich hatte arbeiten gelernt, geschickte Hände, ich wusste, wie ein Weinberg aussehen muss, ein Erdbeerfeld, wie eine Meerrettichwurzel in der Erde stehen soll, ich wollte etwas mit Naturprodukten machen." Ob man wisse, dass in Japan die Blätter von Apfelbäumen beschnitten werden, damit die Früchte mehr Sonne und damit mehr Aroma bekommen? Oder dass man aus einer Zwiebel den optimalen Geschmack bekommt, wenn man sie mit Schale auf Salz im Ofen gart? Man müsse alles probieren, sagt Harald Wohlfahrt, immer wieder testen, den eigenen Geschmack sensibilisieren. Und dann kümmert er sich um das Amuse-Bouche, eine Trilogie vom Schwein: Filet, Schwarte, Bauchspeck. Zart, kross, herzhaft. Angerichtet wie ein Triptychon, zu schön zum Essen.
Ist das Qualität? Für das Magazin "Der Feinschmecker" ist es der Gipfel der Qualität. Das Blatt hat Wohlfahrt in seiner September-Ausgabe erneut zum besten Koch Deutschlands ernannt. Doch so einfach ist es nicht. "Ach", sagt er, "es gibt den Kantinenkoch, den Alleinkoch, den Diätkoch, den Küchenchef, den Sous-Chef, den Jungkoch, den Hotelkoch, den Restaurantkoch, den Sternekoch." Jeder hat seine Geschichte. Und nicht jeder geht, wie er als junger Mann, zum Zwei - Sterne -Restaurant "Stahlbad" in Baden-Baden. Nicht jeder hat wie er Ehrgeiz und Enthusiasmus, diese Ausbildung in Eckart Witzigmanns "Tantris" zu optimieren. "Das hat mir ganz neue Dimensionen eröffnet."
Anschließend ging Wohlfahrt noch zu Alain Chapel in Mionnay und auf die Meisterschule. "Ich bin nicht nur ein Küchenchef, der weiß, was er kann, was er will und der sich maximale Ziele setzt. Ich bin auch Küchenmeister, der gelernt hat, einen Betrieb zu führen." Er beschreibt sich als "ernsthaft, diszipliniert und großzügig. Ich fordere viel, ich fördere viel."
Wenn Wohlfahrt erzählt, benutzt er gern Metaphern. Das macht die Sache anschaulich. So wird die Küche zum Orchester. "Bei uns gibt es auch nur zwölf Töne und trotzdem unendlich viele Variationsmöglichkeiten." Er sieht sich dann "mehr als Dirigent, der den Musikern seinen Stempel aufdrückt". Oder er vergleicht Kochen mit Kunst, bei der nicht Kopisten Maßstäbe setzen, sondern der eigene, unverwechselbare Stil. "Ich koche für meine Gäste, aber ich koche auch für meine Seele." Seine Truppe vergleicht er mit einer Fußballmannschaft. "Wer in einer Drei-Sterne-Küche arbeitet, spielt Champions League. Da muss man mehr bringen als beim Karlsruher SC."
Seinen Sous-Chef Thorsten Michel hat er deshalb vor einiger Zeit zu Heston Blumenthal in Berkshire und René Redzepi in Kopenhagen geschickt. Trainingslager bei den Mourinhos und van Gaals der Gastronomie, um im Bild zu bleiben. Es gibt in Deutschland derzeit neun Drei-Sterne-Köche, drei (Christian Bau, Klaus Erfort, Joachim Wissler) arbeiteten vorher in der Schwarzwaldstube, dazu vier Zwei-Sterne- und 30 Ein-Sterne-Köche. Wohlfahrt: "So eine Bilanz hat nicht mal jemand in Frankreich."
Sterneküche. Das hört sich glamourös an. Feinste Zutaten. Origami auf dem Teller. Ruhm und Ehre. Es ist ein Knochenjob. Wohlfahrt und sein Team arbeiten von neun Uhr morgens bis etwa drei, halb vier nachmittags, danach von fünf nachmittags bis Mitternacht. Immer irgendwo "zwischen 95 und 98 Prozent", wie der Chef sagt, egal ob einer Liebeskummer oder eine feuchtfröhliche Nacht hinter sich hat.
Es ist kein Beruf, es ist Berufung. Als Pierre Lingelser 16 war, sah er einen Patissier im Fernsehen - das wollte er werden! Heute bringt der Patissier der Schwarzwaldstube Minze, Verbene und Lavendel für seine Desserts aus dem eigenen Garten mit. Stéphane Gass, der Sommelier, gewann als 17-Jähriger ein Diner in einem Zwei-Sterne-Restaurant, weil er bei einem Wettbewerb fünf Weine erkannt hatte. Heute kennt er die besten Winzer Europas persönlich. Ansgar Fischer, der Restaurantchef, lief als Lehrling so lange zu Wohlfahrt und erklärte ihm, er wolle mehr erreichen in seinem Beruf, bis er seine Chance bekam. Laut "Der Feinschmecker" sind sie alle in ihrem Fach die Nummer eins in Deutschland.
"Man muss das leben", sagt Heiner Finkbeiner, "anders geht es nicht." Finkbeiner ist der Patron der Traube. Er sitzt in der Bauernstube, dem Restaurant für die regionalen Spezialitäten. Hier hat 1789 alles begonnen, mit einer Gastwirtschaft, unter schweren Dachbalken, die immer noch da sind, vom Ururururgroßvater, einem Bäcker. Seither ist die Traube in Familienbesitz. Finkbeiner wollte zunächst auch nichts anderes werden als Koch. Er arbeitete im "Bayerischen Hof" in München, danach im "Bachmair" in Rottach-Egern am Tegernsee, auch er war bei Witzigmann im Tantris. Wer solch einen Betrieb führe, so Finkbeiner, brauche "das nötige Grundwissen. Damit muss man nicht kokettieren, aber es muss da sein." Der Blick für das Wesentliche. Wie damals, als er im "Brenner's Park-Hotel" in Baden-Baden arbeitete und eine angehende Hotelkauffrau in der Küche Rebhühner rupfen sah. Am nächsten Tag rupfte sie Wildenten. Finkbeiner hat es sehr gefallen. Die Hingabe, die Sorgfalt beim Federlesen. Die junge Frau schon auch.
Heiner und Renate Finkbeiner eröffneten die Schwarzwaldstube 1977. Sie fingen mit hohen Ansprüchen und bescheidenen Möglichkeiten an. Er erinnert sich, wie er mit Wohlfahrt in den ersten Jahren im kleinen Lieferwagen ins Elsass fuhr, Ware einkaufen von der Qualität, die sie wollten und die es in der Nähe nicht gab. Einmal hingen sie stundenlang an der Grenze fest, weil die Zöllner noch nie Lychees gesehen hatten und nicht wussten, ob und wie die zu versteuern wären.
Sie erinnert sich, dass sie jedes Mal, wenn es in der Schwarzwaldstube Kaviar gab, ihr Hochzeitsgeschenk rausrücken musste: zwölf Eierlöffel aus Perlmutt. Heute ist die Traube ein gewaltiger Komplex mit 300 Angestellten. Heiner Finkbeiner: "Wir sind miteinander gewachsen, mussten uns häuten." Das Hotel, das Restaurant, Wohlfahrt, die Köche, das Personal. Die achte Generation wird die Familientradition fortsetzen: die Söhne Matthias und Sebastian, auch sie gelernte Köche mit Stationen in ausländischen Sterneküchen. "Wir haben immer in den Gast investiert", sagt Heiner Finkbeiner. "Der Gast ist unser Arbeitgeber."
So zu denken ist eine Qualität in sich, die sich dann im Zusammenspiel mit allem anderen in einem Mittagessen widerspiegelt. Die Gänge vier bis sieben: konfiertes Rotbarben-Filet mit roter Paprika, Bottarga und Escabeche-Sud; Schupfnudeln mit Hahnenkämmen, Schnecken und Steinpilzen auf Waldpilzkompott; Zwischenrippenstück vom pommerschen Angus-Rind mit Zwiebelpüree, dazu Barolosauce; schließlich Komposition von Himbeeren mit Zitronen-Thymiancreme, altem Balsamico und Sorbet von Himbeeren. Der Gourmetkritiker schriebe danach vielleicht über eine Symphonie von Aromen und Texturen, über die sensorische Durchdringung des Tellers, ohne damit das Erlebnis auch nur ansatzweise zu treffen. Wohlfahrt sagt: "Geschmack kann man nicht verbal transportieren. Geschmack muss man schmecken."
Deshalb vielleicht so: Die S-Bahn von Baiersbronn nach Karlsruhe braucht etwa anderthalb Stunden, der ICE von Karlsruhe nach Hause sechs Stunden. Irgendwo dazwischen meldet sich der Hunger zurück. Man möchte trotzdem nichts essen. Man würde alles doch nur verderben. -
Cornelia Poletto
Die Taxifahrerin sagt am Telefon zu ihrer Freundin: "Du, ich fahre zum Restaurant Poletto, du weißt schon, die Sterneköchin." Die Freundin sagt etwas. Die Taxifahrerin: "Nein, nein, du meinst die Fernsehköchin, die Sarah Wiener." Cornelia Poletto kann darüber schmunzeln in ihrem Restaurant, Eppendorfer Landstraße, Hamburg. Aus dem Fernsehen kennt man beide, nur dass Wiener keinen Michelin-Stern hat. Poletto bald auch nicht mehr.
brand eins: Sie haben jahrelang hart gearbeitet, um sich einen Stern zu erkochen. Nun werden Sie ihn Ende 2010 aufgeben - warum?
Cornelia Poletto: Ich habe mein Leben lang in der Sterneküche gearbeitet. Trüffel, Kaviar, den 12-Kilo-Steinbutt - damit wollte ich kochen, das war immer mein Anspruch. Deshalb habe ich mich auch ganz, ganz schwergetan, Abschied zu nehmen von der Idee, Sterneköchin zu sein. Doch ich habe jetzt acht Jahre Sterneküche im "Poletto" gemacht und mich irgendwann gefragt: Warum traust du dich nicht, das zu machen, worauf du wirklich Lust hast?
Und das wäre?
Ich liebe die italienische Küche, ich möchte ein anderes Erlebnis inszenieren, dazu gehört eine offene Küche, dass ich rauskommen kann, ganze Fische am Tisch tranchieren, dass die Gäste kucken können, ins Gespräch kommen. Die Leute sollen Käse und Schinken kaufen können, einen Kaffee an der Bar nehmen. Ich will weg von den teuren Menüs, wieder mehr Lebensfreude, Lebensgefühl vermitteln. Sie glauben gar nicht, wie groß die Hemmschwelle immer noch ist, in ein Sternerestaurant zu gehen.
Sind Haute Cuisine und Lebensfreude ein Widerspruch?
Wir leben in einer Zeit der totalen Übersättigung, gelangweilt von den Sternen, der Schwarzwaldtour nach Baiersbronn. Dieser ewige Vergleich der Spitzenköche, mehrere Gänge Amuse-Bouche, Aperi-tif-Häppchen zum Champagner. Im Grunde genommen ist das doch Wahnsinn. Wirtschaftlich und ökologisch. Das Silberbesteck für mein Restaurant musste ich mir von meinem ersten Werbevertrag kaufen. Und am Ende verstehen 80 Prozent der Gäste doch gar nicht, was sie mit einem Stückchen Loup de Mer für eine Qualität auf dem Teller haben.
Was wird in Zukunft bei Ihnen auf den Teller kommen?
Pasta, große Fische, vor allem aber saisonale Produkte. Wir Köche haben angefangen umzudenken, zehn Jahre lang war es verpönt, Schwein zu servieren, jetzt steht das wieder auf der Karte, selbst bei Spitzenköchen. Am Ende wird sich gar nicht so viel verändern, ich bin immer noch eine kleine Unternehmerin, ich liebe und lebe Gastronomie und bin ein glücklicher Mensch. Mein Bohnen-Cassoulet wird jedenfalls bleiben, wie es ist.
Jürgen Dollase
Seine Beiträge in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ("Geschmackssache", "Hier spricht der Gast") sind unter Gastronomen gefürchtet, und er hat Bücher geschrieben wie zum Beispiel "Geschmacksschule", "Kulinarische Intelligenz" und "Die Kochuniversität". Jürgen Dollase ist Deutschlands derzeit führender Restaurantkritiker.
Herr Dollase, wie beurteilt man Qualität in der Gastronomie?
Jürgen Dollase: Das ist ein weites Feld geworden. Früher orientierte man sich fast ausschließlich an der französischen Haute Cuisine, heute hat auch bei der Kochkunst die Globalisierung für Offenheit und Verwirrung gesorgt. Es gibt die Molekularküche der spanischen Avantgarde, die naturnah kochenden Skandinavier oder den Boom der japanischen Küche, die mit ihrem Produktfetischismus ganz andere Strukturen und ein ganz anderes Denken hat. Leider wird das dann oft heillos durcheinandergeworfen, also französisch mit mediterranen und asiatischen Einflüssen, ein paar rohen Blättchen und etwas Molekularküche. Da geht ein klarer Qualitätsbegriff schnell verloren.
Kann man sich denn wenigstens noch auf Sterne, Hauben und Löffel als Maßstäbe verlassen?
Soweit es den Guide Michelin betrifft: Ich halte Michelin-Sterne immer noch für ein Instrument der französischen Küchen- und Exportpolitik. Ein Beispiel: In Las Vegas gibt es einen Franzosen, der nur schwach besucht wurde. Sie gaben ihm drei Sterne, jetzt ist er ständig voll. Abgesehen davon gibt es viele gute, aber keine optimalen Köche, wie das die Führer manchmal suggerieren.
Sie fordern immer wieder die Verantwortung des Gastes, sich kulinarisch zu bilden, sich auch intellektuell mit der Gourmandise auseinanderzusetzen.
Ich habe mal einen Text geschrieben: "Lernt essen, nicht kochen!" Aber wie soll das funktionieren, wenn selbst die Mittelklasse und darüber beim Discounter einkauft und keinerlei Reflex auf kulinarische Qualität entwickelt? Die Sucht nach dem Billigen setzt eine Spirale nach unten in Gang. Wir zerstören dadurch unsere kulinarische Umwelt, für die wir durch unseren Konsum unmittelbar verantwortlich sind. Dass selbst Intellektuelle diese Zusammenhänge oft nicht sehen, ist blamabel.
Wie lernt man sie kennen?
Mit Offenheit und der Arbeit an einer präzisen Qualitätsvorstellung. Man muss probieren, lernen und erst einmal nachvollziehen, was die Spezialisten schon wissen. Wer nicht weiß, wie gut bestimmte Produkte schmecken oder wie gut die besten Köche kochen, sollte erst einmal vorsichtig mit seinen Äußerungen sein. Ich selber bin da ein gutes Beispiel.
Bis 35 habe ich fast nur Fast Food konsumiert und zum Beispiel nie Fisch gegessen. Heute esse ich alles, vom Kalbskopf über Innereien bis zu rohen Muscheln. Unser Qualitätsbegriff hängt ganz entscheidend von unserem eigenen Anspruch ab.
Alexander Tschebull
An der Glaswand die Wörter "Ribisl", "Eierschwammerl", "Fogosch", "Palatschinken", "Marillen". Davor sitzt ein Kärntner, der einem sagen kann, was damit gemeint ist: Johannisbeeren, Pfifferlinge, Zander, Pfannkuchen, Aprikosen. Alexander Tschebull hat bei den Sterneköchen Jörg Müller und Josef Viehhauser gekocht, sein Restaurant "Allegria" im Winterhuder Fährhaus war vom Gault Millau mit zwei Hauben dekoriert. Inzwischen betreibt er das "Tschebull" in der Hamburger Mönckebergstraße.
brand eins: Wie würden Sie gute Küche beschreiben?
Alexander Tschebull: Ich komme mütterlicherseits aus einer Hoteliersfamilie, mein Vater ist Koch, meine Mutter und meine Großmütter konnten alle sehr gut kochen. Als ich in die Lehre ging, wusste ich, wie eine Kartoffelsuppe aussehen und schmecken muss, auch wenn ich sie selbst nicht kochen konnte.
Sie waren in Ihrem Allegria und sind jetzt auch im Tschebull berühmt für das beste Wiener Schnitzel Hamburgs.
Wir wollen den Gästen geben, was wir selber in der Gastronomie vermissen: die gute regionale Küche, die auf die klassischen Insignien der Gourmetküche verzichtet, aber trotzdem absolute Qualität will. Ich habe das alles hinter mir, den Spargel mit Schoko-laden-Sabayone, das Chico-rée-Parfait mit Grüner-Teesauce. Dazu ein überholter Service mit steifen Kellnern. Ich sage nicht, dass das keine Berechtigung hat, doch mir ist diese intellektuelle Herangehensweise zu wenig. Gutes Essen muss den Bauch und das Herz wärmen. Die Leute sollen Freude haben und sagen: Das will ich wieder essen.
Ist das bei Kaviar nicht der Fall?
Klar ist Beluga-Kaviar eine Qualität für sich. Bis auf den Preis: 750 Euro für 250 Gramm. Ich habe Saiblingskaviar aus einem Kärntner Gebirgsbach auf der Karte, der ist hervorragend, ist ökologisch, da sterben keine Tiere aus, und er kostet 78 Euro pro Kilo. Ich habe 26 Angestellte, eine Frau, zwei Kinder. Die wollen alle ihr Auskommen, und deshalb sagen wir: 30 Prozent Wareneinsatz, nicht mehr. Bei mir gibt es eben keine Solokrebse zum Salat mit Mango, auch wenn Herr Dollase das dann kritisiert. Eine Vorspeise soll bei uns 14 Euro kosten, nicht 35 Euro.
Ihr Wiener Schnitzel kostet 21,50 Euro und verkauft sich wie geschnitten Brot.
An einem starken Abend servieren wir 80 bis 100 Stück, wobei man nicht übersehen darf, dass gerade in der sogenannten einfachen Küche jeder Schritt stimmen muss. Die Oberschale vom Kalb muss gegen die Faser geschnitten werden, nur sanft ausgeklopft, das Paniermehl muss aus Semmeln gemacht sein, der Kartoffelsalat, das Moosbeeren-Chutney dazu - das sind Herausforderungen, wenn man das gut machen will. Und dann ist das Schnitzel der Inbegriff dessen, was anderswo als Molekularküche verkauft wird. Kross, saftig, sauer, süß, verschiedene Texturen, verschiedene Temperaturen. In dieser Küche liegt die Wahrheit. Geliertes Meerwasser braucht kein Mensch.
Eckart Witzigmann
Eckart Witzigmann war Deutschlands erster Drei-Ster-ne-Koch, verlor die Lizenz für sein Restaurant "Aubergine" später wegen des Besitzes von Kokain. Nun hat er die Patronage des Restaurants "Hangar 7" des österreichischen Unternehmers Dietrich Mateschitz, veranstaltet die Dinnershow "Palazzo" und schreibt ein Buch nach dem anderen. Aufstieg, Absturz, Revival. Ein Leben wie ein Roman. Er kommt gerade aus Cannes, wo er seinen Freund und Kochkollegen Henry Levy besucht hat. Gleich fährt er nach Bad Gastein, wo er geboren wurde, zu Fernsehaufnahmen.
brand eins: Herr Witzigmann, was haben Sie zuletzt gekocht?
Eckart Witzigmann: Neulich habe ich ein Bresse-Huhn gebraten, ein schönes Tier, alle 15 Minuten auf die Keule gedreht, die Steinpilze erst ganz zum Schluss dazu. Ist mir sensationell gelungen.
Sie sind 69. Ein Leben am Herd - hört das nie auf?
Mein Wissensdurst wird eher größer, je älter ich werde. Ich glaube noch heute, dass man jedes Gericht immer wieder besser machen kann. Richtig kochen ist ein nie endender Prozess.
Wie definieren Sie richtig kochen?
Qualität in der Gastronomie lässt sich schwer definieren, weil das in großen Teilen subjektiv ist. Was sich definieren lässt, ist der Qualitätsanspruch. Für mich beginnt Qualität mit Leuten, die sich bemühen, nach bestem Wissen und Gewissen ihre Arbeit zu tun.
Was braucht man dazu?
Bevor etwas auf dem Teller landet, müssen viele Dinge passieren. Der Produzent, der Jäger, der Fischer, der Bauer - viele tragen dazu bei. Ich vergleiche das immer mit einer konzertierten Aktion.
Nur wenn hier alles zusammenpasst und synchron geht, funktioniert das. Wir Köche sind sicher das letzte Glied in der Kette. Aber ohne Produkt sind wir Könige ohne Reich.
Vor Ihnen gab es keinen Drei-Sterne-Koch in Deutschland, heute gibt es neun. Nur Frankreich hat in Europa mehr. Was sagt das über die Gastronomie?
In den vergangenen 35 Jahren ist alles besser geworden. Es gibt heute auch keine schlechten Autos mehr. Aber was nutzt die größtmögliche Qualität, wenn sie nicht angenommen wird, wenn sie nicht auf der Straße ankommt? Am Ende bestimmt der Gast, was geht und was nicht geht. Es wird basisdemokratisch abgestimmt, ob an der Ladenkasse oder im Restaurant.
Und das führt dazu, dass auch heute noch mit einer Würstelbude angeblich mehr Geld zu machen ist als mit der Sterneküche?
Die Extreme in beide Richtungen gab es schon immer und wird es auch immer geben. Viel wichtiger ist für mich, dass die Leute für die eigene Familie gesund und wohlschmeckend kochen. Wenn wir konstatieren, dass die Umsätze von Tiefkühlkost und Con-venience-Produkten stetig steigen, kann man nicht von Qualitätsverbesserung beim Essen sprechen. Man lauscht gebannt den TV-Köchen und ihren Ausführungen über Frische und Qualität und wirft eine tiefgekühlte Pizza für 2,95 Euro in die Mikrowelle. -