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Abschied von Loki Schmidt: Leise Trauer um die Frau von nebenan / stern.de / 22.10.10

Der Herbst ist in Langenhorn nicht golden, sondern grau. Die einzigen Farbtupfer stammen von den bunten Blättern am Straßenrand und den neugetünchten Fassaden einiger Häuser. Rund 30 Minuten dauert der Fußweg vom U-Bahnhof Langenhorn Markt entlang der Tangstedter Landstraße zum Haus von Loki und Helmut Schmidt. Seit Beginn der 60er-Jahre wohnt das Paar bereits in dem Stadteil in einem verklinkerten Haus.

Die verkehrsreiche Strecke ist die Verbindung in die Vororte der Stadt, Norderstedt ist nicht weit. Statt Schwarz-rot-gold hängt Blau-weiß-schwarz an den Fahnenmasten in den Vorgärten, die Farben des HSV. Langenhorn ist kein moderner Stadtteil. Neubauten sind nur ein paar Etagen hoch. Das Milliardengrab Elbphilharmonie ist weit. Das einzig moderne am Ort ist die Mülltrennung, wie die farbigen Tonnen in den Vorgärten belegen.

Loki und Helmut Schmidt haben hier viele Jahrzehnte verbracht, hier passten sie hin. "Mir ist bei unseren Gesprächen auch deutlich geworden, wie sehr sich seit meiner Kinderzeit die Welt verändert hat. Neunzig Jahre sind fast ein Jahrhundert", sagte Loki Schmidt einmal. Doch in Langenhorn verändert sich nichts so schnell. Hier schrieb der ehemalige Bundeskanzler seine Bücher mit Blick auf die große und seine Gattin ihre Bücher mit Blick auf die kleine Welt. Es ist schwer vorstellbar, dass die spanische Königsfamilie hier einst im Wohnzimmer saß und Schnittchen aß. Die Ruhe und Abgeschiedenheit, fernab vom Trubel in Bonn und Berlin, sogar weit abseits der Hamburger Innenstadt, muss für die Schmidts eine Oase gewesen sein. Das Tempo in Langenhorn ist zwei Herzschläge langsamer als in der City.

Beschauliches Leben ohne Prunk und Protz

Nie haben die Schmidts großes Aufheben um ihre Personen gemacht. Sie lebten ein beschauliches Leben und verzichteten auf Prunk und Protz. Nicht nur der Name Schmidt ist durchschnittlich, auch ihr Lebensstil glich dem von Tausenden deutschen Hausbesitzern. Das Haus unterscheidet sich äußerlich nicht von denen der Nachbarn: vorm Fenster eine Garage, die die Sicht auf die Straße verhindert, aber auch vor den Blicken der Passanten schützt. Die an der Garage montierten Kameras zielen auf den Hauseingang und nicht in Richtung Gehweg. Selbst wenn Helmut Schmidt es wollte, er könnte nicht sehen, wer vor seiner Pforte Blumen und Kränze für Loki Schmidt ablegt und Kerzen anzündet.

Schon immer verhielten sich die Nachbarn des Paares rücksichtsvoll und gönnten den Schmidts stets das nötige Privatleben. Seit der Nachricht vom Tod Lokis legen Menschen Blumen nieder, ein rotes Grablicht brennt vor dem braunen Holzzaun des Hauses. Für eine 68 Jahre alte Anwohnerin waren Helmut und Loki "immer schon Vorbilder". Sie habe das Gefühl gehabt, dass Loki vor ihrem eigenen Garten besonders lange stehen geblieben sei, "weil Unkraut bei ihr noch eine Chance hatte." In einem Brief an die Familie habe sie geschrieben: "Wir Langenhorner trauern um Loki." Ihr Tod sei ein großer Verlust für Helmut Schmidt und Hamburg, sagt ein 74 Jahre alter Nachbar. Er ist in Tränen aufgelöst. "Loki war eine große Frau, die aus ihrer Prominenz nie etwas Großes gemacht hat." Seine Sorge gelte nun Helmut Schmidt.

Das dem Ex-Senator und Ex-Kanzler die Meinung der Bevölkerung etwas bedeutet, ist unbestritten. Bis vor kurzem antwortete Schmidt, einst einer der mächtigsten Männer der Welt, auf jeden Brief mit ein paar persönlichen Zeilen. Doch das Alter fordert auch bei Helmut Schmidt seinen Tribut. Geistig zwar noch voll auf der Höhe, lassen Augen und Ohren nach. Statt auf seine Beine muss sich "Schmidt-Schnauze" - wie ihn die Hamburger einst liebevoll nannten - auf einen Rollstuhl verlassen. Auch Loki Schmidt musste in den vergangenen Jahren häufiger ins Krankenhaus. Obwohl ihr das hohe Alter zu schaffen machte, klagte sie nicht oft über Wehwehchen. "Es gibt Augenblicke, da macht das Leben überhaupt keinen Spaß, dann jammer' ich ein bisschen vor mich hin", sagte sie zu melancholischen Momenten des Alltags im Alter. Als Loki Schmidt im Februar 2009 zum Thema Tod befragt wurde, sagte sie: "Ich wünsche mir, dass mein Mann und ich möglichst einmal gleichzeitig davongehen." Im September 2010 brach sie sich einen Fuß und musste operiert werden. Danach verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand, die Ärzte entließen sie nach Hause, wo sie in der Nacht zum Donnerstag 91-jährig starb.

Einen Steinwurf vom Haus der Schmidts entfernt, direkt an der nächsten Straßenecke, steht ein kleines Café. Die Auswahl an Backwaren ist groß, die Einrichtung modern. Hier werden Kunden noch mit Handschlag begrüßt, man kennt sich mit Namen. Der Tod von Loki Schmidt ist dort zwar kein Gesprächsthema, aber dennoch präsent: Die Gespräche sind gedämpft, es klebt eine Schwere in der Luft. Doch die Langenhorner trauern leise um ihre Nachbarin, denn das Leben geht weiter. Man nimmt sich nicht so wichtig im Norden der Stadt, selbst wenn man die Staatsoberhäupter der ganzen Welt kennt.

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