- Eine Reportage vom 7.12.2008 -
Ein Verteilungskampf degradiert Thailand vom Tigerstaat zur Bananenrepublik. Das Volk wartet auf ein klärendes Wort von König Bhumibol. Doch der greise Monarch lässt sich nicht blicken.
BANGKOK. Um fünf Uhr legt sich Schweigen über Bangkoks historisches Zentrum, selbst das Röhren der Tuk Tuks erstirbt. Die königliche Entourage ist auf dem Weg von der Residenz im Norden zum Großen Palast, um den 81. Geburtstag von König Bhumibol Adulyadej zu feiern. Seine Majestät fährt einen blass-gelben Rolls Royce Silver Cloud Baujahr 1956, sein Hofstaat folgt in einem Dutzend roter BMWs, Baujahr 2008. In Thailand herrscht Klassenkampf und das ganze Volk wartet gespannt auf ein Wort des greisen Monarchen, das einen Ausweg aus der blutigen Konfrontation weist - aber der Graben scheint sich auch durch das Königshaus zu ziehen.
Auf dem Ratchadamnoen Boulevard haben sich rund 3 000 Polizisten und Soldaten aufgestellt. Sie stehen auf der rechten Straßenseite, um alle Blicke auf sich zu ziehen. Doch der König mit den verrutschten Gesichtszügen ist nicht weltfremd, er hätte auch nach links geschaut. Dort steht das Gebäude des Premierministers, und es sieht aus, als sei ein Tsunami darüber hinweg gerast. Müll, Paletten und LKW-Reifen liegen wirr durcheinander. Reste einer 197tägigen Besetzung, die in der Blockade von Bangkoks Flughäfen mündete und Thailand vor den Augen der Welt zur Bananenrepublik degradierte.
Bhumibol, der auf den allgegenwärtigen Plakaten oft im hellblauen Anzug mit einer Kamera um den Hals zu sehen ist, wäre diese Ironie aufgefallen. Jene Sicherheitskräfte, die rechts den Staat so martialisch präsentieren, hatten monatelang weggesehen, als der Mob Regierungsbüros zerstörte und 300000 Flugreisende zu Geiseln machte.
Hätte, wäre - denn der König sitzt nicht im Rolls Royce, sondern liegt daheim im Krankenbett. Seine Tochter hatte ihn am Vortag des Geburtstages, an dem er sich seit 62 Jahren jedes Mal an das Volk gewandt hatte, abgemeldet. Der König sei „ein wenig" krank, er habe Halsschmerzen. Ausgerechnet.
Der wie ein Gott verehrte König lässt sein Volk in der schwersten politischen und wirtschaftlichen Krise seit Jahrzehnten allein. Auch die Experten sind verdattert. „Ich sehe keinen Ausweg", sagt Supavud Saicheua, Managing Director von Phatra Securities, Thailands bekanntester Broker. Keine der beiden Seiten kümmere sich um die wirtschaftlichen Folgen, keine sei zu einem Kompromiss bereit - „und beide scheinen gleich stark zu sein." Ein perfektes Patt, wo doch gerade jetzt eine schlagkräftige Regierung gefordert wäre. Die Flughafenbesetzung habe Thailand Vertrauen im Ausland gekostet, Investoren seien verschreckt, warnt Supavud. Noch vor wenigen Wochen habe er das Wirtschaftswachstum für 2009 auf schlappe 2,5 Prozent taxiert. Nun sei allenfalls noch ein Prozent zu erwarten.
Der Streit ist so unversöhnlich, weil es für beide Lager um Alles oder Nichts geht. Es ist ein Kampf, der Macht und Wohlstand neu verteilt. Ein Kampf zwischen Stadt und Land, Süden und Norden Alteingesessenen und Neureichen, Tradition und Moderne. Zwar erscheint er manchmal wie ein Operetten-Krieg in dem so bunten Thailand. Acht Tote und Hunderte zum Teil schwer Verletzter seit Mai sprechen eine andere Sprache. Zum ersten Mal seit 700 Jahren steht das frühere Siam am Rande eines Bürgerkriegs.
Die Touristen kennen die 63 Millionen Menschen starke Nation als Land des Lächelns und des billigen Sex. Doch die viertgrößte Wirtschaftsmacht Asiens ist ein streng hierarchisches Land, dessen fest gefügten Traditionen die Globalisierung aus dem Lot geworfen hat. Es ist ein typisches Schwellenland, wo die Wirtschaftdynamik der politischen und sozialen Entwicklung davon läuft. Das schafft Ungleichheit und Frustration, die nur einen Funken oder einen Führer brauchen, um zur Revolution zu führen. Das ist es, wovor sich auch Länder wie China, Russland und Brasilien fürchten.
Daher ist Thailand ein Modellfall, allerdings mit einem originellen Dreh. Hier ist es das alte Establishment, die in ihren Pfründen bedrohten Monarchisten, Militärs und Mittelständler, die den gewaltsamen Aufstand proben und hinter den „Gelben“, der Demokratischen Partei und der „Bewegung für Demokratie“ (PAD) stehen. Und es sind Emporkömmlinge, die Vertreter der Bauern und des armen Nordens, die als Rothemden das allgemeine Wahlrecht und die offene Wirtschaftsordnung verteidigen.
Wer dieses komplexe Kräftemessen verstehen will sollte sich auf den Weg zu Thitnian Pongsudhirak machen. Der Politologe residiert mit seinem Institut für internationale Studien im fünften Stock der Chulalongkorn Universität, im Herzen der 10-Millionen-Stadt. Als einer von wenigen Akademikern hier gilt er als unabhängig und scheut sich nicht, seine Meinung zu sagen.
Der Umbruch begann, so erklärt Thitnian, Ende der 90er Jahre, als sich Thaksin Shinawatra zum Rächer der Vernachlässigten machte. Auf den ersten Blick ist der Telekom-Tycoon, Milliardär und einstige Besitzer des Fussballclubs Manchester City ein ungewöhnlicher Robin Hood. Doch Thaksin ist ein Neureicher, stammt aus der zweiten Generation chinesischer Immigranten und entdeckt die Landbevölkerung als Instrument, die politische Ordnung auf den Kopf zu stellen. „Thaksin hat unsere Grundfesten verändert“, analysiert Thitnian. „Die Menschen entdeckten, dass sie von der Politik betrogen worden waren. Sie wollten ein besseres Leben. Sie hatten auf einmal Hoffnungen und Träume – und die geben sie nicht mehr auf.“
Zuvor hatte Bangkoks Elite, die Monarchisten, Beamten, Militärs und eingesessenen Geschäftsleute das Land im Griff. Zwar kam es nach Einführung der konstitutionellen Monarchie 1932 immer mal wieder zu einem Putsch, aber an der Hierarchie änderte sich nichts. Doch in den 90er Jahren entpuppte sich Thailand als einer der asiatischen Tigerstaaten mit den weltweit höchsten Wachstumsraten. Das trieb neue Leute nach oben, die Traditionen und Riten in Frage stellen. Und über Mittel verfügten, genug Stimmen zu kaufen.
Thaksin gründete die Partei „Thais lieben Thais“ und versprach der Landbevölkerung billige Kredite und medizinische Versorgung. 2001 wurde er zum Premier gewählt, hielt viele seiner Versprechen und platzierte Vertraute in Schlüsselpositionen von Staat und Sicherheitsapparat. 2005 wurde er wiedergewählt, doch da waren die Vorwürfe der Korruption und des Machtmissbrauchs schon sehr laut. Das Genick brach ihm der Verkauf seines Telekom-Imperiums an Singapurs Staatsholding – für den er keinen Baht Steuern bezahlte.
Ein anderer Unternehmer und Ex-Partner Thaksins, der Medienchef Sondhi Limthongul, gründete die PAD – unter dem Banner der Demokraten, aber mit antidemokratischen Programm: In Südostasien habe man es nicht mit individualistischen Gesellschaften zu tun, sondern brauche starke Führer. Als Thaksin 2006 vorgezogene Wahlen ausrief, um seine Legitimation wieder herzustellen, boykottierte die Opposition die Abstimmung.
In den folgenden Wirren sah König Bhumibol, der sich selbst als Anwalt der Landbevölkerung versteht und früher zweimal für Demokratiebewegungen gegen das Militär eingeschritten war, die Zeit reif für einen seiner zarten Hinweise. Öffentlich forderte er das Verfassungsgericht auf, eine aktivere Rolle einzunehmen. Die Richter verstanden, verboten Thaksins Partei und erteilten ihm Politikverbot. Es begannen unheilvolle Jahre der Unsicherheit, mit einem Putsch und der Blamage des Militärs, mit Neuwahlen und einem Triumph der Thaksin-Anhänger, die mit der neuen Partei PPP und dem alten populistischen Programm angetreten waren. Ein Spiel, das sich noch häufiger wiederholen wird.
Die alte Garde sah ihre Chancen völlig schwinden. Nicht zuletzt die Gefahr des Todes von Bhumibol setzte sie unter Handlungsdruck. In diesem August schritten die gelben Kräfte zur Tat. Bewaffnet mit Golfschlägern besetzten sie das Government Building, vertrieben den Premier und schickten jeden Abend Propagandatrupps in die Stadt. Auf dem zentralen Platz vor dem Grand Palast trainierten dagegen die roten Regierungsanhänger, wieder kam es zu Auseinandersetzungen mit Todesopfern.
Politisch nimmt PAD-Anführer Shondi kein Blatt vor den Mund: Thailand müsse zur Ständedemokratie zurückkehren. Weil die Reisbauern für den Stimmenkauf so anfällig seien dürften nur 30 Prozent der Abgeordneten gewählt, der Rest von „Institutionen und Korporationen“ bestimmt werden. Wirtschaftspolitisch gibt er sich liberal, doch ist seine Bewegung nationalistisch. „Exportwirtschaft und Tourismus ist für die PAD akzeptabel, aber Aktienmärkten und ausländischen Mehrheitsbeteiligungen stehen sie skeptisch gegenüber“, urteilt Broker Sapavud.
Ende November überschritt die PAD die nächste Grenze. Sie besetzt den nagelneuen internationalen Flughafen Bangkoks, wenig später den Inlandsflughafen. In den Terminals hocken tausende lächelnde Gelbhemden mit ihren Erkennungszeichen, den klatschenden Plastikhänden. Hinter den Kulissen ziehen Politaktivisten mit militärischem Hintergrund die Fäden: binnen weniger Stunden ist der gesamte Flughafen in ihrer Hand, die Versorgung der Demonstranten fluppt. In den Gängen stößt ein BBC-Reporter auf Schlägertrupps, die Kritiker davon schleppen. „Opfert euer Blut, wenn es nötig sein sollte“, stachelt Shondi die PAD-Leute an. Seine Strategie: für soviel Chaos und Aufruhr zu sorgen, dass sich das Militär zum Putsch gezwungen sieht.
Auf den Flughäfen geht nichts mehr, 300 000 Passagiere sitzen fest. Doch das Militär rührt sich nicht, weder gegen noch zugunsten der Besetzer. Erst nach einer Woche Chaos schreitet das Verfassungsgericht ein. Erneut wird die Thaksin-Partei verboten, viele seiner Marionetten mit Politikverbot belegt – weil sie sich des Stimmenkaufs schuldig gemacht hätten.
Die PAD feiert einen Sieg und löst die Blockaden auf – doch das Gericht hatte ihre Forderungen nicht erfüllt. Von einer Übergangsregierung oder einer Verfassungsänderung ist nicht die Rede. Daher wiederholt Thaksins Lager das alte Spiel: Die Klon-Partei Puea Thai ist rasch gegründet, die meisten Abgeordneten laufen über und wollen einen neuen Premier wählen. Gleichzeitig beginnt ein Geschacher um einzelne Abgeordnete und die kleineren Parteien. Die Demokratische Partei, der politische Arm der PAD, erklärt am Wochenende, die Mehrheit der Mandate hinter sich zu haben und schickt Demokraten-Chef Abhisit Vejjavija ins Rennen.
Unabhängige Beobachter vor Ort wie Till Morstadt von der Anwaltskanzlei Lorenz & Partner sehen kein Ende des Konfliktes, die Spirale der Destabilisierung setze sich fort. Morstadt betreut Investoren – und von denen hätten in den letzten Tagen manche ihre Entscheidung für Thailand bereut und blickten nun nach Malaysia, Indonesien oder Singapur. „Hier geht es um die Machtverhältnisse der nächsten 15 Jahre. Wie sehr der Konflikt den Standort trifft scheint denen völlig egal“, sagt Morstadt. Dagegen sieht Rolf-Dieter Daniel, Vertreter des Schreibgeräteherstellers Staedtler, jetzt eine Chance, dass die Macht Thaksins zurückgedrängt und Institutionen wie Zentralbank und Wahlkommission ihre Unabhängigkeit zurück gewinnen. Verglichen mit China bleibe Thailand der bessere und inzwischen kaum noch teurere Produktionsstandort, sagt Daniel.
Doch egal wer den nächsten Premier stellt, die nächste Eskalationsrunde ist programmiert. Es sei denn, der König sorgte für eine Entscheidung – für gelb oder rot, für Stabilität oder für Demokratie. Wenn Bhumibol auch nur leise Kritik an der Demontage des Staates durch die PAD äußerte hätte das Establishment verloren. Wenn er sich hinter die traditionelle Hierarchie stellte kann es zu einer neuen Verfassung und der Einschränkung des Wahlrechts kommen. Zwar ist das Selbstvertrauen der Generäle seit dem letzten Putsch angeknackst, aber mit dem König im Rücken könnten sie sich noch einmal zum Retter der Nation aufschwingen.
Könnte, würde – doch aus dem Palast dringt nichts heraus. Auch dort ist ein Erbfolgekrieg im Gange. Königin Sirikrit hatte sich beim Begräbnis eines Krawallopfers unverblümt an die Seite der Gelben gestellt. Kronprinz Maha Vajiralongkorn hingegen soll zu den Roten tendieren. Doch er gilt als Lebemann und ist wenig beliebt. Beim Auftritt an seines Vaters Stelle an diesem Wochenende mühte er sich unsicher und linkisch durch das steife Hofzeremoniell.
Selbst wenn sich der Monarch auf die Seite der Tradition stellt, ob das Volk ihm dabei folgen würde wird inzwischen bezweifelt. Die rücksichtslosen Aktionen der PAD auf dem Flughafen haben auch das Ansehen des Königshauses beschädigt. Die Oppositionellen maßen sich das Etikett Monarchisten an und kaperten unwidersprochen die Farbe des Königshauses. Dieses Gelb trug bislang das ganze Land am Geburtstag des Königs. Doch an diesem Freitag zog nur eine Minderheit gelbe T-Shirts über.
Zwar gilt Kritik am König als Majestätsbeleidigung. Aber selbst diese Grundfeste wankt. Bei der Zeremonie im Grand Palast lassen sich einige Thais sogar dem ausländischen Reporter gegenüber zu fast frechen Bemerkungen hinreißen. „Ich weiß nicht, ob seine Majestät nicht reden will oder nicht kann“, sagt ein in weißer Uniformjacke ohne Rangabzeichen gekleideter Zeremonienmeister: „Aber diese Halsschmerzen sind eine politische Krankheit. Der Wirtschaft geht es schlecht und wir streiten ohne Ende über Demokratie. 2009 wird ein ganz schweres Jahr.“
Dabei müssen sich die Thais auch darauf gefasst machen, dass die Erkrankung Bhumibols mehr als ein Vorwand ist. Bereits Anfang der Woche, als er an der Trauerfeier für seine verstorbene Schwester Galjani teilnahm, wirkte er sehr schwach und gebrechlich. Der Winter des Monarchen neigt sich dem Ende zu.