Die Journalistin in mir schreit: „Verbannung! Die Schande! Verrat!"
Aber ich fahre heute nicht nach Chemnitz, ich fahre nicht zum Gratis-Konzert #Wirsindmehr.
[ Hier sieht ihr das Konzert #Wirsindmehr im Live-Stream]
Dabei hatte ich nicht sofort „Nein" gesagt, als mein Chef mich vergangene Woche darüber informierte, dass ich Montag nach Chemnitz darf, sondern „Ja".
Das machte für mich auch nur Sinn, schließlich hatte ich für NOIZZ schon bei Instagram über die Spontan-Demo von Neonazis vor meiner Balkontür im Bezirk Friedrichshain in Berlin berichtet.
Ich hatte daraufhin auch einen Kommentar gegen den Gedenktag für Rudolf Heß geschrieben. Also meine Meinung gegen Rechts gesagt, mein Gesicht gegen Rechts gezeigt, unter meinem Vollnamen. Mein Vorname ist übrigens arabisch.
Ich habe aufgehört, zu zählen, wie oft Passanten denken, ich wäre keine Deutsche, sondern Halb-Araberin, Halb-Türkin, Halb-Kurdin, Halb-Afghanin, Halb-Roma-und-Sinti. Ich fühle mich also, auch als Deutsche, in einer Stadt, wo mutmaßlich Menschen gejagt werden, die „wie Ausländer aussehen", nicht sehr wohl.
Mir war schon etwas mulmig, als ich mir so überlegte: Wo gegen Rechts gesungen wird, wird auch für Rechts und von Rechten gegrölt, getreten.
Aber ich bin doch gerne da, wo was los ist. Ich bin doch gerne live dabei. Also habe ich meine Bahn-Tickets und mein Hotel gebucht, meine Tasche gepackt, habe mich relativ konsequent davor gedrückt, das Suchwort Chemnitz bei Google einzugeben, und es dann, zwecks Recherche, Sonntagabend doch getan.
Da spukte mir die Suchmaschine sehr schnell folgende Übersicht der Tagesschau von Angriffen auf Journalisten am vergangenen Samstag aus.
Da saß ich nun, las den Artikel und dachte mir: „Fuck, was willst du dir damit eigentlich beweisen? "
Klar, eine Demo ist nochmal eine gefährlichere Lage, als ein Konzert. Aber die Rechtsradikalen und Hooligans, rund 8.000 sollen es laut Polizei am Samstag gewesen sein, sind eine Menge Menschen. Viele davon kommen aus der Region.
Der Mob wird am Montag sicher nicht zuhause bleiben, sondern eher beweisen wollen, dass er eben doch größer ist als das #Wirsindmehr-Publikum.
Davor habe ich Angst bekommen. Ich wollte mir keinen Helm aufsetzen, ein Pfefferspray in der einen, das Arbeitshandy in der anderen Hand halten.
„Ich muss nur einem Idioten in die Arme laufen, der mich und mein Smartphone sieht und sich denkt - der verpasse ich jetzt mal eine Lektion" und ähnliche Szenarien schießen mir durch den Kopf. Und: Die sind selten alleine.
Ich meide Demos, ich meide Hooligans und Fußball-Fans und Orte, an denen ich gewaltätige Typen in Horden vermute, die laut, betrunken und streitbereit sind. Kaum eine Gruppe macht mir so viel Angst wie Nationalisten und Neonazis, die auf Alk sind und euphorisiert von der Masse, in der sie mitlaufen.
Ich scheue mich davor, Politik auf der Straße auszufechten oder in ein solches Gefecht hineinzugeraten.
Ich habe zwei Seiten: Die eine ist mutiger, als sie sollte, die andere ist ängstlicher, als sie müsste.Ich bin mit 13 sogar in Berlins schlimmster U-Bahn bei einer Massenschlägerei dazwischen gegangen. Ich war Guide für Jungesellen-Abschiede, meine Aufgabe: auf mindestens zehn besoffene Engländer aufpassen. Kurz gesagt: Ich habe schon andere brenzlige Situationen gemeistert.
Als ich für NOIZZ bei der Antifa-Demo vergangene Woche in Berlin-Neukölln eine Instagram-Story gemacht habe, wurde mir vor Ort bewusst, dass ich mich als Reporterin, ohne diesen jugendlichen Leichtsinn, dem doch nicht so gewachsen fühle, wie ich mir das vielleicht wünschen würde.
Selbst dort, wo keine Rechten in der Nähe waren, war mir die Stimmung, die Masse und das Schlachruf-Gegröle à la „Nazis morden, der Staat schiebt ab, das ist das gleiche Rassistenpack" eine Lehre. Nämlich die, dass ich mich für diese Art von Berichterstattung nicht bereit fühle.
Quelle: Noizz.de