Das letzte Mal, als ich die Black Eyed Peas live gesehen hatte, war ich 15. Die Vorfreude dementsprechend groß - und die Nostalgie auch.
Die Idole meiner Kindheit und Jugend himmelte ich also das letzte Mal vor acht Jahren an. Luftlinie 50 Meter von mir und meinem Gekreische entfernt.
Damals hieß die Mercedes-Benz-Arena noch O2-Arena, die Black Eyed Peas hatten noch eine Frontsängerin namens Fergie. Beat-Master Will.i.Am glaubte noch daran, dass die Welt auf seine Song-Frage „Where Is The Love" mit einem „all over the place" antworten würde.
Und nicht mit einer US-Wahl von Präsident Donald Trump - seinem persönlichen politischen Albtraum, wie mir Will.I.Am 2016 mal in flammender Rede in einem Interview am Roten Teppich verraten hat.
Freitag, der 16. November 2018. Das Black-Eyed-Peas-Konzert in Berlin, Max-Schmeling-HalleEs ist der Abend, an dem ich die Band, die sich seit ihrem Durchbruch 2003 so ziemlich jedem Genre erfolgreich bedient hat - R&B, Soul, Funk, Rock, Pop, Electro-Pop, Latin, you name it - mit ihrem neuen Album „Masters Of The Sun Vol. 1" live erleben darf. Back to the roots - so das Versprechen.
Das heißt quasi: nur die Boys, die ursprünglich seit 1995 als The Black Eyed Peas am Start waren - besagter Beat-Master und Produzent Will.I.Am., Rapper Taboo und Musiker apl.de.ap.
Die Stimmung ist gut, die Smartphones sind gezückt, die Tickets (ab 69,99 Euro) waren super schnell verkauft. Das Publikum ist gemischt: jung, Midlife-Crisis, Alt, Teenie, kleine Schwester, großer Bruder, Pärchen, die anscheinend zu „Just Can't Get Enough" ihren ersten Sex hatten.
Und mittendrin ein Fan fast erster Stunde, der bitter enttäuscht werden würde - wäre da nicht ein Held. Aber dazu später.
Erst einmal startet das Konzert vielversprechend. Die drei Homies beginnen mit dem Song „Let's Get It Started", was nur Sinn ergibt und symbolisch auch für den Neuanfang steht.
Die Bühnenshow ist futuristisch - abstrakte Formen, die passend zum Beat hinter die Silhouetten projiziert werden.
Fergies Stimme kommt tatsächlich vom Band. Warum, weiß keiner so genau, denn eigentlich ist ihre Stelle schon neu besetzt. Weiteres Manko: Die Akustik in der Max-Schmeling-Halle ist semi. Bass und Beats sind zwar ultra, aber die Stimmen viel zu leise gepegelt.
Schnell fällt auf: Will.I.Am ist irgendwie voll neben der Spur. Die Sonnenbrille setzt er nicht ab, und in unserer Reihe im Block E ist man sich schnell sicher, warum: Er muss komplett stoned sein.
Die eigentliche Sensation an diesem Konzert ist, das Will.I.Am nicht von der Bühne kippt oder über seine Bandkollegen stolpert. Sein ganzes Auftreten ist reine Stand-up-Comedy - er singt versetzt, er hält das Mikrofon waagerecht an seinen Mundwinkel, macht komische Bewegungen mit seinem Arm, veräppelt apl.de.ap, als dieser rappt.
Plötzlich Pause. Die scheint jedenfalls nicht geplant gewesen zu sein. Könnte sein, dass Taboo dem Rest der Band backstage eine gepfefferte Ansprache hält. Danach toppt sich der Rapper mit der knallroten Schiebermütze gefühlt nochmal selbst, der Rest verblasst aber weiter.
Die echte Stimme der Frau, die an die Stelle von Fergie tritt, ertönt erst beim Song „Boom Boom Pow". Es ist Jessica Reynoso, Gewinnerin von „The Voice Of Philippines", und Filipino-Musiker apl.de.ap ist anscheinend ihr größter Fan.
Erster Eindruck: Man hört zwar, dass sie singen kann, aber Fergie-Fans wie ich sind sicher enttäuscht, wie wenig Power die Performance hat. Fergie ist ja bekannt dafür, jeden ihrer Bühnenauftritte melodramatisch-lasziv auszukosten.
Jessica Reynoso hat eine Attitüde, die missfällt: Ein Mix aus Anfänger-Aufregung, die sie mit Kaugummi-kauender und genervt klimpernden, künstlichen Wimpern ganz cool zu überspielen versucht, was leider eher desinteressiert als professionell wirkt. Die anfänglichen Erschütterungen ihrer Stimme, die ich irgendwie noch auf verständliche Nervosität schieben konnte, legen sich leider nicht.
So schief, wie die Töne manchmal sind, verdreht sogar Taboo genervt die Augen. Ich will ihr zurufen: „Hör auf, so verdammt verkrampft zu sein", aber als sie es wagt, in ihren Solo-Minuten einen Song von Beyoncé zu covern, tun mir Herz und Ohren weh, und ich flüchte auf die Toilette. Doch da schallt die Stimme weiter.
Am Ende darf Jessica nicht mal mehr Fergies Parts singen, tänzelt und schlendert stattdessen etwas deplatziert auf der Bühne aus der Reihe. Vor allem wirkt es so, als ob sich der aufstrebende Star überhaupt nicht mit The Black Eyed Peas identifiziert. Man könnte meinen, eine Newcomerin wie sie würde es so richtig abfeiern, mit ihren Idolen auf Tour zu gehen - aber Fehlanzeige.
Einer, der dafür den ganzen Abend über liefert und sich als Gründungsmitglied mit Leib und Seele The Black Eyed Peas verschrieben hat, ist Taboo.
Taboo ist der Held des Berliner The-Black-Eyed-Peas-KonzertsDer Rapper hat den Krebs überstanden. Der Kampf gegen diese höllische Krankheit, wie er in seiner sehr nüchternen, sehr ergreifenden kurzen Ansprache auf der Bühne erklärt, war der Grund, warum sich die „Schwarzaugenbohnen" so lange nicht hatten blicken lassen. Diagnose, Chemotherapie, Immunschwäche.
Taboo, gezeichnet von seinem Kampf gegen die tückische, oft tödliche Krankheit, eskaliert auf der Bühne - und hat seine Parts perfektioniert.
Jeder Tanzschritt sitzt, er spittet mit seiner klaren Stimme und koordiniert nebenbei mal seine Band-Kollegen. Das ist sehr traurig, denn rein gesundheitlich müssten sie ja wesentlich mehr Standfestigkeit haben. Aber mit Blicken, Handzeichen und ab und an sogar Ellenbogen-Anstupsern kümmert sich Taboo vor allem um Sorgenkind Will.I.Am, sodass dieser nicht seinen Einsatz verpasst.
Der hat zwar inzwischen die Sonnenbrille abgenommen, kriegt die Augen aber kaum auf. Zwischendurch überrascht er mit wachen Passagen.
Alles in allem eskaliert die Bude trotzdem - schließlich kennt jeder die unzähligen Hits aus den drei Alben „Monkey Business", „The E.N.D." und „The Beginnging" in- und auswendig, der DJ überbückt die mauen Phasen mit massig Bass und allein für Taboo applaudieren alle nochmal extra.
Das Konzert neigt sich dem Ende zu und alle warten natürlich auf diesen einen Song, um ein bisschen Liebe in die Welt zu posaunen. Statt „Where Is The Love?" heißt es erstmal „Where Are The Smartphones?", statt Feuerzeug-Lichtschein gibt's also I-Phone Taschenlampen für die nötige, für Insta inszenierte Romantik.
Will.I.Am meldet sich plötzlich auch zu Wort. Er hält eine etwas wirre, sarkastische Rede darüber, wie The Black Eyed Peas ja nur für uns das Gesetz brechen würden, indem sie diesen letzten Song spielen, eigentlich wäre ja schon längst Schluss, aber ey, „All Cops Are Bastards", und schon kommt der mahnende Schulterklopfer von Taboo, der seinen Buddie vom Mikrofon wegschiebt.
Die Botschaft der Hymne für mehr Frieden geht leider ein bisschen unter, weil Will.I.Am während der Performance plötzlich sein Smartphone rausholt, das Teil stört wiederum die Mikrophone der Band, was wiederum für komische Störgeräusche sorgt, was ihm natürlich nicht auffällt.
Die Masse der Zuschauer schwelgt in Erinnerungen und singt in die Instagram-Stories. Ohne Zugabe hauen die drei Musketiere ab.
So richtige Meister der Sonne waren The Black Eyed Peas in Berlin leider nicht. Vielleicht haben sie selber gemerkt, dass dieser Stopp ihrer Tour nicht so repräsentativ war - auf Twitter finden sich nämlich überzeugende Snippets der Shows aus Düsseldorf und Brüssel - aus Berlin nur hübsche Fotos ohne Ton.
Quelle: Noizz.de