Von Genna Thiele, Jg. 12, Hannah-Arendt-Gymnasium, Rudow
Flughafen Schönefeld. Das Flugzeug der Linie El Al hebt ab Richtung Tel Aviv, das Personal ist wundervoll, das israelische Pita-Brot ebenso. Wir halten Händchen, gespannt auf die Reise in ein Land im Nahen Osten, in dem keiner von uns Schülern aus dem Hannah-Arendt-Gymnasium je zuvor gewesen ist. Ich ohne Handy, vermutlich ohne Internet und in keiner Weise religiös.
Während sich der Himmel im Wasser widerspiegelt und Gebirge, Schluchten und viele Gewässer unter uns vorbeiziehen, beginnt das Rätselraten, wo wir gerade sind. Ich habe Geografie abgewählt und keine Ahnung! Die letzte Viertelstunde fühlt sich wie 45 Minuten an, ich verliere schon jetzt mein Zeitgefühl. Die Skyline von Tel Aviv taucht auf, wir landen, applaudieren und kommen glatt durch die Kontrolle. Tausend Synapsen verknüpfen sich, ich will alles aufnehmen und stelle fest: Der Flughafen Ben Gurion ist um Längen schöner als der Berliner. Tropische Luftfeuchtigkeit umgibt uns.
Die Israelis sind total spontan und interessiert, fangen Unterhaltungen mit uns an. Es wird ein Merkmal der ganzen Reise sein, dass wir stets ehrlich, herzlich und offen empfangen werden: von den Israelis und von den Palästinensern. Denn unsere Lehrerinnen haben uns versprochen, dass wir beide Seiten kennenlernen werden.
Mal abgesehen davon, dass mir das Essen der Palästinenser gefällt und der Stil der israelischen Frauen, bin ich von der Mentalität der Menschen, die wir in 18 Tagen in Israel kennenlernen, sehr angetan. Und trotzdem: Je religiöser oder besetzter die Orte, umso stärker spüren wir den Konflikt. Wir lernen beide Kulturen in diesem vielfältigen und beeindruckenden Land kennen, und auf beiden Seiten liegt vielfach diese Einstellung in der Luft: "Never forgive, never forget". Sie zeigt sich, in Arabisch geschrieben, an den Mauern der Altstadt von Nablus. Sie zeigt sich, weil Juden immer noch eine kaputte Ecke in jedem ihrer neu gebauten Häuser lassen, um zu zeigen: Wir vergessen die Zerstörung unseres Tempels nicht.
Sie zeigt sich, wenn einem der Besuch der Moschee erschwert oder verwehrt wird, wenn wir bei den israelischen Kontrollen lieber nicht angeben, im palästinensischen Flüchtlingslager gewesen zu sein. Ein israelischer Guide sagt gleich am ersten Tag zu uns: "You came to the city of peace to learn about the conflict..." Das spricht, denke ich, für sich selbst. Wir spüren die Einstellung, wenn wir zu Fuß über die Grenze gehen, wenn kleine Kinder Glasflaschen auf schwerbewaffnete israelische Soldaten werfen oder wenn ein Busfahrer den Holocaust leugnet, als "Erfindung der Juden, das Land zu erobern".
Und doch gibt es natürlich auch Hoffnung. Wir lernen Menschen kennen, Araber und Juden, die befreundet sind, wir lernen die Bedeutung des Christentums kennen, wir erleben vor allem in Tel Aviv tolerante Sichtweisen, hören Sätze wie "we should never forget: we're seven million brothers and sisters living here". Etwas, was mich persönlich erstaunt und erfreut hat und was ich sehr bewundere: Hier wird keiner mehr schief angesehen, weil er Deutscher ist. Wir werden sogar auf ein Kibbuz-Fest eingeladen, die Thora wird geehrt, und es ist ein prägender Moment, als Schüler von uns die Thora tanzend tragen und wir Mädchen durch die Luft wirbeln mit den jungen und alten jüdischen Frauen.
Und dann sind da die arabischen Märkte mit lautem Stimmengewirr, mit kräftigen Gewürzen, mit exotischen Süßigkeiten. Da ist der Sabbat, sind die jüdischen Feiertage, das Beten an der Klagemauer von Hunderten gläubigen Juden, die Wünsche, die Touristen auf Papier schreiben und in die Mauer-Fugen stecken.
Wir waren 18 Tage involviert in das Geschehen, haben den Konflikt in der Luft gespürt, nach Lösungen gefragt, gesucht und auf Dachterrassen von Jugendherbergen diskutiert. Menschen aller Konfessionen - Juden, Muslime, Drusen -, junge und alte, fanatische und tolerante, haben wir nach ihrer Meinung zu dem Konflikt gefragt. Und das Schwierige ist: Jede Antwort enthielt ihre Wahrheit, beinhaltete eine ernst zu nehmende Rechtfertigung. Wenn wir dort so saßen, in Israel, fragte man sich: Wenn selbst die Menschen hier nicht wissen, was zu tun ist, woher sollen wir in Deutschland das denn wissen?
Zurück in Berlin, stelle ich kurzzeitig erst mal mein Leben komplett in Frage. Nachdem ich Schüler einer israelischen Schule kennengelernt habe, weiß ich, was Herzlichkeit, Respekt und Offenheit sind. Ich weiß, was wirklich sinnvolle Projekte sind. So, wie diese jungen Menschen uns empfangen haben, dafür hätte ich nie den Anstand oder das Interesse gehabt, und wir Reisenden haben vor, uns ein Beispiel daran zu nehmen. Nachdem wir in einem palästinensischen Flüchtlingslager waren, weiß ich, was Leid ist und was Armut und Hoffnungslosigkeit bedeuten. Ich verstehe jetzt wenigsten etwas besser, was es bedeutet, keine Zukunft zu haben und in eine Misere hineingeboren zu werden.
Ich bekomme ein neues Bild von Religion, wie sie verbindet und entzweit, aber auch, wie Traditionen gelebt und gefeiert werden können. Diese Reise hat sich eingebrannt in mein Gedächtnis - wie die Sonne auf so manchem Rücken unserer Jungs am letzten Tag, den wir am Mittelmeer verbracht haben. Es wird die lehrreichste Reise bleiben, die ich je gemacht habe. Und die sinnvollste dazu.