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Olympia in Hamburg: Ein bisschen Sport, aber viel lieber die Stadt entwickeln

Der Hamburger Senat möchte die Spiele 2024 in seiner Stadt austragen. Dafür wurde nun ein Konzept vorgestellt: Der Kleine Grasbrook soll Olympiadorf werden, später soll daraus ein Wohnviertel entstehen. Geht es also um den Sport oder steht die Stadtentwicklung im Vordergrund?

Es ist ein hitziges Thema in der Elbmetropole. Vor der Magnus-Hall in Hammerbrook sind rund 650 Menschen zusammengekommen, mehr als es drinnen Stühle gibt. Es kommt zu Protesten. Worum geht's? Olympia 2024. Seit der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) Hamburg als deutsche Bewerberstadt für die Spiele auserkoren hat, laufen die Planungen für das Großevent in Hamburg - ob auf Hochtouren, darüber wird noch gerätselt. Denn eine Einschätzung über mögliche Kosten, die wurde und wird von den Behörden bislang stets abgelehnt. Nun stellen Stadt und die beauftragten Agenturen erstmals ihr Konzept für die Bebauung des Kleinen Grasbrooks vor. Hier soll das Olympiadorf entstehen, die sogenannte „Olympic-City" samt Stadion, Schwimmarena, Sporthalle und Athletenunterkünften. Die Gäste sind gespannt, Ideen wurden schon zuvor über die Medien präsentiert, und die lassen eine erste Einschätzung zu: Olympia ist auch eine Chance, vielleicht die einzige, das Areal des Grasbrooks als Wohnviertel in die Stadt zu integrieren.

Dorothee Stapelfeldt wollte gar nicht lange um den heißen Brei herumreden. Natürlich biete Olympia die Möglichkeit einen neuen Stadtteil zu schaffen, sagte die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen. Ein Entwurf des Olympiastadions von den Architekten Gerkan, Marg und Partner (gmp) sieht sogar vor, die Arena nach den Wettbewerben so zurückzubauen, dass aus dem Stadion ein einziger Wohnkomplex wird. Mit Wohnungen, die einen Blick auf Tartanbahn und Hafen werfen. Das Stadioninnere, die Grünfläche, soll anschließend zu einem Wald- und Erlebnispark ausgebaut werden mit Sportmöglichkeiten für Anwohner und Jedermann. „Wer braucht schon die langweilige Leichtathletik?", fragte Sportstätten-Planer Nikolaus Goetze von der gmp lapidar. Großevents, auch Konzerte oder andere Veranstaltungen könnten dort dann nicht mehr ausgetragen werden. Es ist ein Entwurf, der die Pläne des Hamburger Senats auf die Spitze treibt: Olympia als Zwischenschritt für die Erschließung zum Wohnviertel des Kleinen Grasbrooks. Ein bisschen Sport, aber eigentlich die Stadt entwickeln.

Demokratische Beteiligung fast undenkbar

Ob es dieser Entwurf in die endgültige Bewerbungsmappe der Hamburger schafft, ist noch Spekulation. Die Stadt machte klar, dass sie die Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg zur Entscheidung für ein finales Konzept mitnehmen wolle. „Wir wollen Ihre Meinung hören, bevor wir eine Entscheidung treffen. Was wir heute vorstellen, ist ein Zwischenstand", sagte Stapelfeldt und lud die Gegnerinitative von Nolympia gleich auf das Rednerpult.

Es ist ein Zuvorkommen, wenn auch nur ein kleines. Die Stadt hat gelernt, mit den Gegnern von Großbauprojekten umzugehen. Auf St. Pauli hatte eine Initiative Erfolg, die sich für den Erhalt der sogenannten Esso-Häuser einsetzte. Die Hochhaussiedlung im Herzen der Reeperbahn wurde zwar aufgrund ihrer Einsturzgefahr abgerissen, und die Bewohner mussten sich eine neue Wohnung suchen. Erreicht wurde aber, dass nun mitbestimmt wird. Wie der Wohnkomplex aussieht, dass entscheiden auch die Bürger des Stadtteils. Eine Verhandlung darüber, wer anschließend wieder einziehen darf, steht dafür noch aus.

Bei Olympia allerdings sieht die Sache etwas anders aus. Inwiefern Bürgerbeteiligung beim Projekt Olympia tatsächlich gewollt ist und dann auch zugelassen wird, das ist trotz einer für alle offenen Zetteltafel bei der Veranstaltung in der Magnus-Halle noch unklar. „Bis jetzt ist noch niemandem eingefallen, wie man ein durch die Bürger getragenes Konzept für olympische Spiele machen kann - bevor man sich bewirbt. Hamburg hat da noch zu liefern," sagt der Stadtentwicklungsforscher Joachim Thiel von der HafenCity Universität. Er hat bereits zu Olympia 2012 in London geforscht und sagt: Erhalte Hamburg den Zuschlag für die Spiele, seien demokratische Prozesse von da an fast undenkbar. Die kurze Zeit bis zu den olympischen Wettbewerben reicht nicht aus, um über strategische Pläne zu debattieren. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat einen strengen Plan aufgelegt, bis wann Stadien, Unterkünfte und Co. fertiggestellt werden müssen. Sich diesem zu widersetzen, führt nicht nur zum möglichen Entzug der Spiele, sondern wird die Stadt hohe Bußgelder kosten.

Der Hamburger Senat hat deswegen vorgesorgt und die Verfassung geändert.Der Senat kann mit einem Referendum zukünftig die Zustimmung seiner Bürger einholen - fast jederzeit. Die Volksentscheide würden dadurch „ausgebremst" kritisiert der Verein „Mehr Demokratie". So werde die Revision von politischen Entscheidungen fast unmöglich und Demokratie von oben gemacht.

Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen - aber für wen?

Dafür verspricht die Stadt für das gesamte Viertel rund 4000 bis 6000 neue Wohnungen. Damit warb Oberbaudirektor Jörn Walter ebenso, wie mit dem vom SPD-Senat eingeführten Drittelmix für Neubauten. Das bedeutet: Ein Drittel dieser Wohnungen muss der Eigentümer für sozial schwächer gestellte Menschen bereitstellen, allerdings im Regelfall nur für die ersten 15 Jahre. Danach wäre das Drittel also frei für Alle - im Allgemeinen für die Gutverdiener. Das kritisiert die Gegnerinitiative von Nolympia ebenso wie die Linkspartei, einzige Opposition in der Bürgerschaft, wenn es um die Austragung der Olympischen Spiele geht. Für sie ist Olympia ein Katalysator zur Verschärfung von Ungleichheit, der ohnehin schon stattfindende Prozess der Gentrifizierung werde weiter beschleunigt. Mehmet Yildiz, sportpolitischer Sprecher der Linken, sagt: „Über unsere Städte dürfen nicht Konzerne oder Immobilienspekulanten entscheiden, sondern nur die Menschen, die hier leben. Was wir überhaupt nicht wollen: Verdrängung von Menschen, die in Hamburg wohnen."

Das hochverschuldete Hamburg dagegen hofft, mit Olympia genügend Investoren anzulocken, um eine kostengünstige Entwicklung des Grasbrooks voranzutreiben. Aus Berlin dürften noch mehr als die allein für die Bewerbung versprochenen 30 Millionen Euro an Bundesmittel fließen. Für den Senat wäre es eine günstige Aufwertung, für die Bewohner Hamburgs wird es immer teurer.

Loslösung vom Hamburger Hafen

Bis es dazu kommt, muss aber noch einmal ein Schritt zurück gegangen werden. „Es gibt nur ein aus dem politischen Kontext Hamburgs gültiges Argument diese Fläche aus dem Hafen zu entlassen, und das sind Olympische Spiele", sagt Thiel. Anders hätte die Stadt zumindest in den nächsten 20 Jahren aufgrund der Pachtverträge keine Möglichkeit gehabt, die Hafenbetriebe umzusiedeln und die Fläche für sich zu gewinnen, auch wenn die Stadt dort Eigentümer ist. Dass der Hafen in Form der städtischen HHLA nun Zugeständnisse machte, es durch den „Letter of Intent" sogar bereits eine Vereinbarung gibt, im Fall einer erfolgreichen Olympiabewerbung umzusiedeln, dürfte Günther Bonz nicht gefallen. „Wir sind dann plötzlich in einem Domino-Verlagerungseffekt", sagte er in einer Debatte bei Hamburg1. Der Präsident der Hafenwirtschaft befürchtet, dass der Hamburger Hafen nach und nach aus seinem ursprünglichen Areal in der Stadtmitte verdrängt wird, bald gar keine Rolle mehr spielt. Gerade die mittelständischen, nicht städtischen Betriebe haben damit zu kämpfen und große Angst um ihre Zukunft. Hamburg will sich offenbar von seinem traditionellsten Gewerbe emanzipieren.

Was zugleich Chance und Risiko ist, befürwortet der Forscher Christoph Haferburger: „Die Stadt wird nicht ewig den Wettbewerb mit anderen Häfen mitgehen können, um noch schwerere Schiffe zu verfrachten", sagt der Geologe: „Die Stadt entscheidet sich mit dem Projekt auch hin zu einer Autonomie, weg vom Hafen." Tatsächlich genügt Bonz die gerade erst beschlossene Elbvertiefung nicht aus, er forderte zusätzlich eine Elbverbreiterung: „Wir sind schon wieder zu kurz gesprungen." Mit den Grünen ist das aber kaum zu realisieren, Olympia bietet nun die Chance, sich von der mächtigen Hafenwirtschaft zu lösen.

Filetstück „Kleiner Grasbrook"

So oder so, die Stadtplaner schwärmen für die Hafenfläche. Sie liegt nah am Stadtzentrum, sie lässt den Sprung über die Elbe zu. Mit der „Olympic-City" sehen sie die Möglichkeit, den Süden Hamburgs attraktiver zu machen, die Veddel und Wilhelmsburg. Doch es gibt noch einige Bedenken, was die Nutzung des Grasbrooks angeht: Über die Höhe der Kosten, mögliche Fliegerbomben auf dem Gelände, der verseuchte Boden, tschechisches Hoheitsgebiet und die Nähe zum Hafen als Feinstaubbelastung für Sportler und spätere Anwohner, inklusive Lärmbelästigung durch die angrenzenden Betriebe.

In London hat man letztendlich knapp neun Milliarden Pfund für Olympia bezahlt, das sind rund zwölfeinhalb Milliarden Euro. Die Stadt wirbt gerne damit, dass man von London lernen wolle. Mit dem Rotterdamer Planungsbüro KCAP ist eine Agentur beauftragt worden, die bereits das Olympiagelände in Großbritanniens Hauptstadt entwarf. Von London lernen, bedeutet aber auch: Mit einer eingebauten Skepsis an die Entwicklung heranzugehen. Bislang versucht es der Hamburger Senat allerdings nur mit der Werbetrommel, dränge die Bürger sogar dazu positiv abzustimmen, indem er sich bereits vor dem Referendum offiziell beim IOC bewirbt, kritisiert Yildiz: „Es werden vornherein Tatsachen geschaffen." Schwierigkeiten? Gibt es nicht. Im Gegenteil: Laut Hamburgs neuem Staatsrat für Sport, Christoph Holstein, hat die Bewerbung bereits einen positiven Nebeneffekt: „Der Bekanntheitsgrad Hamburgs ist auf jeden Fall schon gestiegen. Wir sind auf einer Ebene mit Paris, Rom und Boston."

In den kommenden Monaten will sich die Stadt auf eine Variante der Planer festlegen. Inwiefern sich Bürger an der Entscheidung beteiligen können, das wurde bei der Präsentation offen gelassen. Bis zum Referendum im November sind es dann nur noch wenige Wochen, einen genauen Bericht über die möglichen Kosten für Olympia wird die Stadt ohnehin nicht präsentieren, wie Grünen-Politiker Anjes Tjarks bei Hamburg1 ankündigt: „Was es nicht geben wird, ist eine Zahl, das kostet Olympia." Stattdessen soll ein sogenannter Finanzkorridor über die Höhe der Kosten aufklären. Haben sich die Hamburger aber erst einmal für die Spiele entschieden, gibt es wohl kein Zurück mehr. Ganz bestimmt nicht, wenn das IOC die Elbmetropole zum Austragungsort küren sollte. Zu teuer waren dann die bereits investierten Gelder. Bei Großprojekten gilt: Augen zu und durch.

Mitarbeit: Max Ginter Visualisierung: KCAP, Kunst + Herbert, Vogt, Arup|GMP, WES, Drees & Sommer
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