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forum_story: Schwarzarbeit

Jeden Tag gehen Menschen in Luxemburg ohne Vertrag und Anmeldung arbeiten, Geld fließt an der Steuerkasse vorbei. In der Politik findet Schwarzarbeit jedoch wenig Beachtung. Der Ausbeutung sind kaum Grenzen gesetzt.

Wer Schwarzarbeit hört, denkt erst einmal an Süditalien, Griechenland, den Balkan - danach vielleicht an den letzten Besuch der Autowerkstatt, wo die Empfangsdame zum Kostenvoranschlag sagt: „Wenn Sie keine Rechnung brauchen, geht es auch für 100 Euro weniger." Schwarz­arbeit existiert in Luxemburg. Der Nachbar, handwerklich begabt, verdient am Wochenende durch Bricolages etwas dazu. Die Frisörin macht - exklusiv für Freunde - am Wochenende Hausbesuche. Die alleinerziehende Mutter, die wegen der Kinderbetreuung nur in Teilzeit als Reinigungskraft arbeitet, betreibt im Keller ein Nagelstudio während der Hausaufgabenzeit, um über die Runden zu kommen.

Schwarzarbeit bedeutet aber auch: Unternehmen, die laut Steuerbehörde gar nicht existieren und Umsatz machen, ohne den Staat daran zu beteiligen. Unternehmen, die Arbeiter*innen 13 Stunden am Tag zu Tarifen weit unter dem Mindestlohn ohne Schutzkleidung auf Baustellen und in Küchen arbeiten lassen. Menschen, die keine Papiere haben und keine Wahl. Sie zahlen nie in die Rentenkasse ein, haben keinen Verdienstausfall, wenn sie krank werden, und keine Gewerkschaft, bei der sie Ausbeutung anzeigen könnten. Was für den Staat verlorene Einnahmen sind - Einkommenssteuer, Mehrwertsteuer, Sozialabgaben - bedeutet für viele Menschen Ausbeutung und Missbrauch.

Von all diesen Situationen habe ich in den vergangenen Monaten erfahren. Was mir diese Recherche ins Gedächtnis ruft: Der Graben, der zwischen den Realitäten verschiedener Gesellschaftsschichten liegt, klafft tief. In gewissen Gruppen kennt jede Person mindestens ebenso viele Leute, die schwarz arbeiten, wie Leute, die gemeldet sind. Von mehreren hörte ich Varianten des Satzes: „In Luxemburg arbeiten mehr Leute schwarz als weiß". Die Behörden hingegen behaupten, Schwarzarbeit sei kein großes Problem.

„In Luxemburg arbeiten mehr Leute schwarz als weiß."

In meinem ersten Gespräch mit der Gewerbeaufsicht sagt mir der Direktor: „Woher wollen Sie wissen, dass es viel Schwarzarbeit gibt? Unsere Zahlen zeigen das nicht." Wenig später sitze ich im Videocall mit Jessica Lopes von der Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés (Asti), die mir sagt, alle Leute, die die Asti betreut, versuchen, unangemeldet Arbeit zu finden. Die Wirklichkeit hat sich verzweigt. Konkrete Zahlen, die die eine oder die andere Einschätzung belegen, gibt es nicht. Nicht nur, weil Schattenwirtschaft schwer zu beziffern ist, sondern auch, weil kaum Aufwand betrieben wurde und wird, um Zahlen zu erheben, um in der Folge unangemeldete Arbeit zu bekämpfen. Schon in der ersten forum_story über Drogen trat die - nennen wir es - Luxemburg-Methode ans Licht. Die Formel ist einfach: Wenn wir nur lang genug wegsehen, regelt sich das Problem von allein. Problem? Welches Problem?

Ich spreche mit Menschen, die seit vier Jahren sechs Tage die Woche im gleichen Restaurant arbeiten und noch nie eine Kontrolle erlebt haben. Andere sagen den Inspektor*innen der Inspection du Travail et des Mines (ITM): „Ich arbeite hier gar nicht" und gehen einfach weg, ohne dass jemand sie aufhält. Nach dem gleichen Prinzip scheinen auch einige Behörden zu handeln. Das "Ich-arbeite-hier-gar-nicht" heißt auf Behördensprache übersetzt: „Wir sind dafür nicht verantwortlich." Auch einer der Sätze, die ich häufig höre.

Doch nach Überwindung einiger Recherchehürden finde ich doch Leute, denen das Thema nicht egal ist. Selbst in Behörden haben sich einige in den vergangenen Jahren für den Kampf gegen Schwarzarbeit eingesetzt. In der vorliegenden Story versuche ich, folgende Fragen zu beantworten: Was ist in den vergangenen Jahren geschehen, um Schwarzarbeit zu bekämpfen? Was ist nicht geschehen? Wie kann man sie überhaupt aufdecken und bekämpfen? Warum ist das so schwer? Und wie kann eine Lösung aussehen, bei der die Menschen, die von dieser Arbeit abhängen, nicht alles verlieren, sobald Bekämpfung effizient wird? Wie kann ein humaner Ansatz aussehen und wie Prävention? All diese Fragen thematisiere ich in der forum_story „Schwarzarbeit". Doch zunächst geht es um die für mich persönlich wichtigste Frage: Wer sind die Menschen, die in Luxemburg schwarz arbeiten? Diese Frage führt uns in einen Nebenraum des Empfangssaals von Médecins du Monde op der Grenz in Esch, wo ich Milo, seine Frau und seine Tochter Anna kennenlerne.



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