9.30 Uhr. Zwischen dem Laub singen Vögel, gedämpft klingt die ferne Straße durch die Bäume, über unseren Köpfen knackt Holz, geht ein Reißverschluss auf. Ritsch. Zwei Waldbesetzer liegen noch auf der Plattform, obwohl sie schon seit drei Stunden wach sind. Wenig später klimpert Metall und einer der beiden seilt sich ab. Susie bleibt noch ein paar Minuten oben, hängt sich ins Seil. Nur ein mit roten Mückenstichen übersätes Bein baumelt vor dem Stamm in der Luft, dahinter ein helles Lachen. Sie versucht, die Knoten zweier Seile zu verstellen, denn die Plattform hängt etwas schief, sodass ihre Füße nachts höher liegen als der Kopf. Andere Waldbesetzer sind am Morgen schon los zur Arbeit. Ameise sitzt auf einer Matte im Waldwohnzimmer. Die Augen noch verquollen vom Schlaf, die Füße ausgestreckt, die Kapuze des schwarzen Pullovers über dem Kopf, häkelt Ameise eine Decke aus Rot-, Rosa- und Orangetönen. Bald geht die Wolle aus. Susie und Ameise sind ihre Camp-Namen, sie wollen anonym bleiben, denn ihre Aktion ist illegal. Das Wohnzimmer besteht aus einem moosbewachsenen, unebenen Baumstumpf, darauf Insektenspray, ein halbes Ciabatta, eine Verbandstasche, ein Glas mit Studentenfutter, ein paar karierte A4-Zettel. Rund herum liegen Totholzbaumstämme, sie dienen als Sitzbänke, ein Campingstuhl, ein Haartrimmer. Bald sitzen alle drei in Kapuzenpullis um den Baumstumpf, reden über Tagesplanung und Zeckenbisse. „Ein Rotkehlchen", sagt Susie und unterbricht ihren Satz. Neben uns reckt der kleine Vogel seinen roten Hals in die Höhe.
11.10 Uhr. Drei Polizisten tapsen auf das Camp zu wie kurz zuvor das Rotkehlchen - über Wurzeln und Blätter, fast lautlos. Sie drehen den Kopf nach links, rechts und unten. Genauso wie das Rotkehlchen bringen sie das Gespräch ins Stocken. Die drei Aktivisten springen auf, greifen nach T-Shirts, um sie sich um den Kopf zu binden, verknoten die Ärmel am Hinterkopf, der Halsausschnitt des T-Shirts lässt nur die Augenpartie frei. Ameise legt rasch einen Klettergurt an, befestigt sich mit Raupenknoten am Seil und zieht sich hoch auf die hintere Plattform, ein Beobachtungsposten. Susie, die ein Camouflage-T-Shirt um den Kopf trägt, duckt sich unter dem Banner am Campeingang hindurch, vor dem die Polizisten stehen bleiben. „Ihr braucht keine Angst zu haben. Wir kommen nur schauen", schreibt Susie nachher in ihr Heft, es ist das Einzige, was die Polizisten sagen. „11.12 Uhr" steht auch auf der Heftseite, und dass sie zu dritt kamen.