Im Südtiroler Schnalstal hat Künstler Olafur Eliasson ein neues Werk geschaffen. Die Skulptur „Our Glacial Perspectives" mit ihrem 410 Meter langen Besinnungsweg steht für eine Zeitreise - und ist ein Warnruf zum Zustand der Gletscher.
Von Franziska HornHerr Eliasson, der Besinnungsweg ist
ein Rückblick auf die Geschichte der
Erde, der Alpen und der Gletscher. Am
Ende steht die Skulptur bestehend aus
einem Ring mit 700 blauen Glasfenstern. Woher stammt die Inspiration?
Olafur Eliasson: Die Idee geht auf das
Cyanometer von Horace-Bénédict de
Saussure zurück, ein Alpinist, Naturforscher und Philosoph, der dieses Instrument Ende des 18. Jahrhundert zum Messen der Farbintensität der Himmels entwickelte. Später griff Alexander von
Humboldt bei seinen amerikanischen
Expeditionen auf dieses Instrument zurück. Es diente dazu, die Zukunft besser
zu verstehen. Wir wollen ja alle wissen,
was morgen passiert. Auch das Astrolabium ist Messgerät, das man in der Astrologie und zur Navigation verwendete.
Ich habe eines zuhause. Und dann gibt es
eben die Armillarsphäre, das ist eine
dreidimensionale Darstellung eines Astrolabiums, früher Weltmaschine genannt. Sie dient der Darstellung von Bewegung. Diese Geräte helfen uns, das
Abstrakte darzustellen, wie den Wandel
des Klimas zum Beispiel.
Wie funktioniert diese begehbare Armillarsphäre, eine Art Sonnenuhr mitten im Gletscherskigebiet?
Die Leute kommen natürlich hierher, um
Sport zu machen, Ski zu fahren, um mit
Familie das Leben zu genießen. Um den
Genuss der Landschaft zu verstärken,
hilft es vielleicht, sich einmal vom Lärm
des Skibetriebs und der Schneemaschinen zu lösen und etwas Ruhe auf diesem
Gang über den Grat zu finden. Der Weg
erlaubt eine manuelle Pilgerreise durch
diese neun Bögen, die für die Längen der
Eiszeiten stehen. Dann erreicht man die-
se schöne blaue Kugel und kann gucken:
Ach, der höchste Ring hier, der steht für
den Sommer und markiert auch die
Sommersonnenwende. Und dann schauen Sie auf den mittleren Ring, der für die Tagundnachtgleiche steht, der unterste
Ring dagegen für die Wintersonnenwen-
de. Die Skulptur soll die etwas abstrakte
Größe des Klimawandels und das
Schmelzen der Gletscher verdeutlichen.
Verstehen wir wirklich, was da gerade passiert? Wir fragen uns: Was hat das mit
mir zu tun, ich bin ja sowieso unwissend
und klein. Und dazu braucht man die
Auseinandersetzung mit Kultur ganz all-
gemein: Um sich einen Moment der Ru-
he nehmen, sich zu verlangsamen, und
dann zu gucken: So sieht also das Jahr
aus. So blau ist der Himmel also! Da
komme ich her, da gehen wir hin. Da ist Süden, hier ist Norden. Und was ist
eigentlich los in der Welt? Diese großen
Fragen, für die man sonst zu wenig Zeit
dafür hat, die sind gerade so interessant.
Welche Antworten liefern Sie?
Die Antwort müsst ihr selber finden, das
tragt ihr alle in euch drinnen, das wisst
ihr ohnehin. Von mir stammt nur die
eine Hälfte des Kunstwerks. Die andere
Hälfte entsteht in euch selbst, innen
drinnen, bei manchen passiert es eher
im Herzen und bei manchen eher im
Kopf, manchmal auf beiden Ebenen. Jeder schafft sich seine Welt selbst. Wir
sind nicht hier, um die Welt zu konsumieren oder für den Wettbewerb, wir
sind hier, um die Welt mit zu produzieren und um zusammenzuarbeiten. Und
denken Sie dabei bitte an die Welt, die Sie
ihren Kindern und Kindeskindern übergeben werden. Denken Sie darüber nach,
während Sie hier über dem Gletscher abfahren, so lange er noch da ist.
Apropos „ewiges“ Eis: Wissen Sie, wie
lange es den Hochjochferner hier im
Skigebiet tatsächlich noch gibt?
Der Glaziologe und Meteorologe Georg
Kaser, der heute auch hier ist, sagte hierzu: Nur noch rund 15 bis 20 Jahre. Plus oder minus. Wir können uns also als Gemeinde darauf vorbereiten und fragen:
Wie würde man hier eine Beerdigung organisieren? Ich biete mich gerne als
Grabsteinhersteller für die Gletscherbeerdigung an. Das wird ein zukünftiges
gutes Geschäft werden: Gletschermahnmale. Dabei wissen wir ja alle genau, was
wir tun müssen, um das Schmelzen der
Gletscher zu stoppen. Erst die Zukunft
wird zeigen, wie wir gehandelt haben. In
200 Jahren gucken dann alle zurück und
denken: Was haben die damals gemacht?
Bei allem künstlerischen Wert: Es
bleibt ein Eingriff in die Natur, hier
oben auf über 3000 Meter Höhe ein
Kunstwerk mit einem Sockel aus Beton hinzusetzen. Wie stehen Sie dazu?
Grundsätzlich bin ich dafür, dass man
die Alpen und überhaupt die Außenräume besser regulieren sollte und nicht so
stark den kommerziellen Interessen
unterwerfen, erst recht nicht, wenn es
um Langzeitschaden gehen könnte. In Island haben wir ja einen Zugangsstopp
für die Touristenschwemme diskutiert.
Vielleicht hilft ein Quadratmeterschlüs-
sel und eine Art Belastungssteuer oder
eine andere Art von Ausgleich, um die
Natur zu schützen. Hier in den Alpen muss man dazu sagen, dass sie sowieso
eher Kulturgebiet denn Naturgebiet sind.
In allen Tälern, auf vielen Bergen und
Gletschern wurde schon gebaut. Die traditionelle Trennung zwischen Natur und
Kultur ist, glaube ich, auch nicht mehr so
das Modell, wonach man sich orientiert.
Im Prinzip wird der Umgang mit Natur
nur über Kommerzialisierung organisiert und das wird zunehmend mehr hinterfragt. Gleichzeitig ist über die letzten
Generationen die Tendenz gewachsen,
dass die Natur einen tollen Wert hat. Hier
vor Ort heißt das also, einen eher kontemplativen Tourismus zu unterstützen,
einen verlangsamten, der eine andere
Art von Genuss bietet.
Viele werden nicht den Weg als Ziel,
sondern die blaue Kugel als neuen Instagram-Hotspot verstehen.
Die Postkartenfizierung und die Instagramifizierung, wo ja die Zeit für das
Glück des Momentes in den Hintergrund
rückt, ist ja nur ein winziges Element
eine Pilgerreise. Zudem denke ich, man
sollte das weniger binär sehen, nicht in Ja
und Nein trennen, in Für und Wider oder
in Schwarz und Weiß. Man sollte nicht so
sehr polarisieren. Das Ziel ist glaube ich
eher, dass wir das Kollaborative, die Zusammenhänge oder Vernetzungen sehen
und das alles eher wie Balancen und
Gleichgewichtssachen betrachten. Da bin
ich eher ein holistischer Mensch. Lieber
übe ich mich in meiner Verhandlungsfähigkeit, und suche eine Konfliküberbrückung, obwohl ich das natürlich auch
nicht immer schaffe.
Info: Olafur Eliasson wurde 1967 in Dänemark geboren, wuchs in Island auf und studierte in Kopenhagen Kunst. Naturphänomene gehören zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen, in seinen Objekten und Installationen geht es häufig um Natur und ihre Wahrnehmung. Der Künstler lebt in Berlin und führt ein Studio mit rund 100 Mitarbeitern.