Wahre Größe besitzt, wer nichts mehr beweisen muss – und lieber still genießt: Die Alpinistenhochburg Berchtesgaden lockt Wanderer mit sanften Grenzüberschreitungen. Dafür fallen die kulinarischen Höhenflüge umso ambitionierter aus.
Ein gemütliches Stündchen läuft man vom Kempinski Hotel Berchtesgaden auf dem Carl-von-Linde-Weg dahin, ein Waldpfad ohne große Höhenunterschiede in Richtung Scharitzkehlalm. Tiefrot leuchten Walderdbeeren aus dem Grün am Wegrand. Sie sind eine Verheißung für das, was nun kommt: Auf der Graflhöhe wartet der „Gasthof Windbeutelbaron“ mit seinem luftig gefülltem Gebäck nach Berliner Rezept. So ein Brandteigbeutel mit Vanilleeis, Sahne und frischen Erdbeeren bringt es fast auf 1000 Kalorien. Rund 240 süße oder herzhafte Teigbomben verkauft die Wirtsfamilie Ebner am Tag. Der Brandteig hat Eigenleben, philosophiert Hansi Ebner. An der Wand prangen Fotos lokaler Alpingrößen, schließlich ist Ehefrau Christine „Dini“ Ebner mit Thomas, dem älteren der Huababuam, in die Schule gegangen. Bis heute feiern die famosen Kletterbrüder hier Familienfeste zwischen fluffigen Sahnebomben. Danach hilft ein feiner Enzian-Kräuterlikör von Grassl, denn auch ein Menschenmagen hat, genau, seine Grenzen: „Ganze sieben Beutel hat mal ein Gast verdrückt, das ist Rekord“, berichtet Hansi.
Damit sich die Nachspeise nicht als Hüftgold verewigt, bringt der Hotel Activity Guide – früher sagte man Wanderführer – Manuel Huber seinen Gästetrupp am nächsten Tag im Bus zum Parkplatz Ahornkaser an der Rossfeldstraße. In einer Stunde geht es erst über Forstwege hinunter zum Eckersattel, dann auf der „Direttissima“ 530 Holzstufen steil zum Purtschellerhaus auf 1692 Metern Höhe. Die Berghütte sitzt auf dem nordseitig verlaufenden Eckerfirst unter dem Hohen Göll und bietet weite Blicke auf Untersberg und bis nach Salzburg. Benannt ist das Haus nach dem Tiroler Turnlehrer und Spitzenalpinisten Ludwig Purtscheller (1849 -1900) – einer, der den Berg nicht als Sportplatz begriff, sondern als Schule zur Charakterbildung. Die Grenzen alpinen Könnens hat er dabei ständig weiter geschoben.
Wenn die Mauern des Purtschellerhaus reden könnten, sie würden Unglaubliches erzählen. Mitten durch die Hütte verläuft die Ländergrenze zwischen Deutschland und Österreich. Das heißt: Wer nach dem Essen auf die Toilette möchte, muss ins Nachbarland wechseln. Kurios? Weit mehr als das: Als nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Grenzen geschlossen wurden, erlaubten die Alliierten nur hier in dieser alpinen Exklave, dass sich Bekannte, Verwandte, Verliebte noch treffen durften. So kam es, dass 1947 rund 17.000 Menschen auf dem Purtschellerhaus übernachteten, hinter den Namen im Hüttenbuch stehen unzählige Schicksalen, Irrfahrten und Wirrungen.
„Damals hieß die Hütte „Haus der Barmherzigkeit“, erzählt Hüttenwirt Sigi Hinterbrandner draußen auf der Terrasse bei Semmelbratwurst und Kaspressknödelsuppe. Heute dagegen zählt die historische Alpenvereinshütte mit rund 1500 Übernachtungen auf 48 Schlafplätzen zu den stillsten Hütten des gesamten DAV. Und wer ein paar Meter entfernt von der Terrasse einen Blick auf den Hohen Göll wirft, kann mit etwas Glück Gamsherden auf den Altschneefeldern herumsteigen sehen. Beim Rückweg erwischt dann ein beeindruckender Sommerschauer den Wandertrupp, Hagelkörner prasseln auf den weichen Almboden. Abends schwärmen die Wanderer im Gewölberaum des Berchtesgadener Restaurants „Esszimmer“ von den Eindrücken des Tages – und von den wirklich köstlich komponierten Gerichten von Koch Maximilian Kühbeck. Der gebürtige Passauer trifft mit seinen regional-saisonalen und handverlesenen Gerichten mitten ins Schwarze der Geschmackszielscheibe.
Entspannt geht es am kommenden Tag mit dem Alm-Erlebnisbus durchs naturschöne Klausbachtal nach Hirschbichl und bei Salzburger Schnürlregen zu Fuß hinauf zur abgelegenen Kammerlingalm. Dort im österrechischen Grenzgebiet warten schon Kati und Robert Keilhofer, bayrische Bauern aus der Ramsau. Zwölf Rinder besitzen die beiden hier auf den weiten Almflächen, geländegängige Pinzgauer und Fleckvieh. Der Bergbauernalltag ist arbeitsreich: „Schon seit rund 300 Jahren ist unser Kaser in Familienbesitz, aber erst seit den 80er Jahren führt ein Fahrweg herauf“. Wer den beiden zuhört, kapiert schnell: Hier am Berg zählt die Gemeinschaft, quer über alle Grenzen, man hält zusammen. Kathi erzählt: „Ich hab früher mal im Hotel Platzl in München gearbeitet und wollte eigentlich weiter nach Kanada. Aber dann hab ich gemerkt, wie schön ich's doch daheim hab in der Ramsau und in den Bergen“. Als letzten Beweis dafür begleiten Kathi und Robert die Gruppe zum nahen Almausschank „Feichtnkaser“, den die Familie Feinsebner aus St. Martin 2017 aufmachte. Hier biegen sich die Holztische unter reich dekorierten Brotzeitplatten mit Speck und Würsteln, auch eingelegten Frischkäse gibt es, den Sennerin Veronika aus Erding nun schon im dritten Jahr hier oben persönlich selbst macht. Wer möchte, kann übrigens direkt vom Feichtnkaser aus das formschöne Kammerlinghorn mit 2484 Metern besteigen. Für uns bleibt es heute die größte alpine Spitzenleistung, den Riesenberg an Almschmankerln auf den Brozeitbrettln zu bezwingen.
Die Reise wurde unterstützt von Berchtesgadener Land Tourismus GmbH, www.berchtesgaden.de
Infoteil:
Anreise:
Flug: Berchtesgaden liegt 10 km vom Flughafen Salzburg, 110 km vom Flughafen München entfernt.
Bahn: Nationale Fernverbindungen bis Freilassing, weiter mit Regionalbahn bis Berchtesgaden.
Auto: Autobahn A 8 München – Salzburg (Ausfahrt Bad Reichenhall/Berchtesgaden).
Übernachten/Unterkunft:
Alpenvereinshütte Purtschellerhaus auf 1692m, DAV-Sektion Sonneberg, von Mai bis Mitte Oktober geöffnet. 13 Schlafplätze im Zimmer, 35 Schlafplätze im Lager, Reservieren und Preise: www.purtschellerhaus.de
Kempinski Hotel Berchtesgaden, Fünf-Sterne-Hotel auf dem Hochplateau des Obersalzberg in ca. 1000m Höhe gelegen, 138 Zimmer und Suiten, mit The Spa, Bar, zwei Restaurants. www.kempinski.com/berchtesgaden
Aktivitäten:
Jenseits von Watzmann & Co warten Wanderungen zum Funtensee, Ausflüge ins Reich des Steinadlers oder Touren mit dem Ranger: Auf einem Wegenetz von 250 Kilometer gibt es viel unberührte Natur – und zwischendurch eine zünftige Brotzeit in einer der 25 Hütten, von denen 18 Übernachtungsmöglichkeiten bieten. www.nationalpark-berchtesgaden.de
Almerlebnisbus-Transport und Tarife: Almerlebnisbus.com
Essen:
Feichtnkaser, Almausschank auf der Kammerlingalm, Inhaber Irene und Peter Fernsebner.
Selbstgemachte Produkte, Almjause, Speck, Käse, Brot, Frischkäse, Kaffee und Kuchen, Ende Mai bis Ende September von 10:00-16:30 Uhr, Montag Ruhetag, www.berchtesgaden.de/kammerlingalm
Esszimmer, ambitioniert-innovatives Restaurant, ohne überkandidelt zu sein: regionale saisonale Küche von Chef Maximilian Kühbeck, www.esszimmer-berchtesgaden.de
Graflhöhe-Windbeutelbaron mit Riesenwindbeutel nach Berliner Rezept, mit Panoramastüberl und Sonnenterrasse, Familie Ebner, Mittwoch Ruhetag, www.windbeutelbaron.de
Le Ciel, mit einem Michelin-Stern gekröntes Restaurant im Kempinski Hotel Berchtesgaden, www.kempinski.com/de/berchtesgaden/kempinski-hotel-berchtesgaden/dining/le-ciel/
Allgemeines:
Allgemeine Infos bei Berchtesgadener Land Tourismus GmbH, Maximilianstraße 9, 83471 Berchtesgaden, Tel: +49 (0)8652 / 656 50 50, info@berchtesgaden.de, www.berchtesgaden.de
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