Die EU-Fischereiminister haben Mitte Oktober die Fangquoten in der westlichen Ostsee weiter herabgesetzt, teils um 65 Prozent. Das hat Auswirkungen auf die Arbeit von Berufsfischern wie Peter Dietze. Seinen Fang bietet er seit 2013 in seiner Bude im Örtchen Niendorf/ Ostsee am Timmendorfer Strand an, wo es neben Dietze nur noch einen weiteren Berufsfischer gibt - als er anfing, waren es noch zehn.
Drei Teilzeitangestellte, ein Lehrling und seine Frau Hannah unterstützen ihn bei der Arbeit. Neben Dietzes Bude liegen seine vier Kutter. Mit den zwei größten, seiner "Anne Maria" und der knapp zwölf Meter langen "Freedom", sticht Dietze in See.
SPIEGEL: Herr Dietze, Sie sind Berufsfischer. Macht Ihnen der Beruf Spaß?
Dietze: Ja, aber deutlich weniger als früher. Seit ich vor zehn Jahren meine Ausbildung abgeschlossen habe, hat sich durch Gesetze und Regelungen viel verändert. Das hat mir viel von dem Elan genommen, den ich mal für diesen Beruf hatte.
SPIEGEL: Welche Probleme haben Sie damit?
Dietze: In Deutschland ist die Fangquote untrennbar an einen Kutter gebunden. Sie ist unverkäuflich, während man in anderen Ländern Quoten mieten kann. Nach dem deutschen System behalten wenige viel, andere bekommen wenig. Gerade für Kleinbetriebe wie meinen ist die ungleiche Verteilung ein großes Problem.
SPIEGEL: Warum?
Dietze: Ich habe vier Kutter. Mit zweien fahre ich raus, zwei liegen im Hafen. Sie sichern mir die Fangquote, die ich fürs Überleben brauche. Wenn die Fangmengen pro Boot sinken, braucht man mehr Boote - die sich aber ein Kleinbetrieb kaum leisten kann.
SPIEGEL: Die Fangmengen in der westlichen Ostsee werden 2020 bei Dorsch um 60 und bei Hering um 65 Prozent reduziert. Bei Hering zum dritten Mal in Folge.
Dietze: Solche Nachrichten sind schwer zu ertragen. Am Jahresanfang hieß es, dass mehr gefischt werden darf. Im Mai wird, wegen eines Rechenfehlers, dann wieder zurückgerudert. So etwas darf einfach nicht passieren und ist fatal, gerade für Kleinbetriebe.
SPIEGEL: Was heißt eine Reduzierung der Fangquote denn konkret für Sie?
Dietze: Die Prozentzahlen können sie eins zu eins in Einkommenseinbußen übersetzen. Im vergangenen Jahr durfte ich insgesamt etwa 70 Tonnen Fisch fangen. Wenn mein Verdienst damit an der Grenze war, dann können Sie sich ausrechnen, dass er in diesem Jahr etwa auf Hartz-IV-Niveau liegt. Das reicht einfach nicht, um die Kosten zu decken.
SPIEGEL: Wie verdienen Sie als Fischer Ihr Geld?
Dietze: Wir haben eine sehr geringe Grundquote, mit der wir bis zum Herbst fischen. Gerade profitiere ich noch von den großen Schiffen, die es nicht schaffen, ihre vorgegebene Quote bis zum Jahresende zu erfüllen. Auf deren Kontingent fische ich dann noch ein paar Tonnen bis zum Jahresende, etwa Dorsch. Im vergangenen Jahr waren das allein 27 Tonnen. Meine Heringsquote tausche ich für Dorsch ein, weil es für uns attraktiver ist. Wenn 2020 noch weniger Fisch gefangen werden darf, erfüllen auch die großen Schiffe ihre Quoten und geben nichts mehr ab. Ich habe gleichzeitig nichts mehr zum Tauschen.
SPIEGEL: Was heißt das für Sie?
Dietze: Dann muss ich aufhören. Von der Fischerei allein kann ich dann nicht mehr leben.
SPIEGEL: Und dann?
Dietze: Entweder man schippert zum Beispiel Touristen durch die Gegend - oder man macht Backfisch. Aber das muss durch den Gemeinderat und ist nicht immer so einfach. Eine richtig gute Lösung für das, was danach kommen könnte, habe ich mit meiner Familie noch nicht gefunden.
SPIEGEL: Was war anders, als Sie begonnen haben?
Dietze: Ich habe mittlerweile eine Frau und zwei Kinder, muss ein Haus und den größten der Kutter abbezahlen. Um jetzt etwas mit Touristen zu machen, muss ich den Betrieb umstrukturieren und Geld in die Hand nehmen. Aber woher soll das kommen? Diese Situation geht mir und meinen Kollegen an die Substanz.
SPIEGEL: Umweltschützern gehen die Reduzierungen der Quoten nicht weit genug. Nach Einschätzung der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) etwa werden die westlichen Fischbestände der Ostsee, die für die deutsche Fischerei interessant sind, stärker befischt als wissenschaftlich empfohlen. Beim Dorsch fordert der WWF eine Kürzung der Quote um 68 Prozent.
Dietze: Wir bestreiten nicht, dass der Fisch weniger geworden ist, das sehen wir auch, aber nicht in dem Maße wie es die Umweltverbände behaupten - und dazu gibt es belegbare Zahlen. Diese Empfehlungen des WWF halte ich für überzogen. Man kann solche Menschen nicht bekehren.
SPIEGEL: Sehen Sie gar keinen Änderungsbedarf?
Dietze: Doch, wir wollen Dinge ändern. Wir arbeiten gemeinsam mit der Forschung daran, dass wir zum Beispiel keine Enten und keine Schweinswale in den Netzen haben. Aber man braucht Ideen und Gesetze, die neuartige Fanggeräte überhaupt erlauben - die haben wir nicht. Die Quoten haben nicht viel mit Naturschutz zu tun, das ist Politik und wirksames Lobbying.
SPIEGEL: Was für Fanggeräte meinen Sie?
Dietze: Ich war gerade heute in Rostock und habe mir zum Testen ein Schleppnetz geholt, in dem Dorsch entweichen kann, Plattfische wie Flunder und Kliesche aber im Netz bleiben. Die können wir quotenfrei fischen.
SPIEGEL: Was fordern die Umweltverbände denn ganz konkret von Berufsfischern wie Ihnen?
Dietze: Die fordern, dass ich aufhöre - ganz einfach. Stellnetz weg. Schleppnetz weg. Vielleicht noch etwas mit der Handangel fischen. 80 Prozent der Arten scheiden dann für mich aus. Da kann ich aufhören. Neue Ansätze, die in anderen Ländern erlaubt sind, fehlen bei uns.
SPIEGEL: Was machen andere Länder besser?
Dietze: Wir sind völlig hinten dran. Schauen sie nach Norwegen. Ob in der Fangtechnik oder im Quotenmanagement: Im Gegensatz zu uns haben sie einen stabilen Fischbestand.
SPIEGEL: Sie finden die drastischen Senkungen der Fangquote also überflüssig?
Dietze: Nein, man muss den Fangdruck tatsächlich reduzieren. Das schafft man am ehesten bei denen, die den größten Fangdruck ausüben - und das sind nicht wir. Das ist die Industrie mit großen Schiffen.
SPIEGEL: Was meinen Sie?
Dietze: Man müsste die Quoten umverteilen, Schiffe über 20 Meter müssen raus aus der westlichen Ostsee. Wir haben viele dänische Unternehmen hier, die haben Schiffe mit 24 und 30 Metern und fischen 24 Stunden. Der Fisch kommt dann nie zur Ruhe. Der politische Einfluss, den diese Großunternehmen haben, der fehlt den Kleinen. Würde die Quote von den Großen auf uns Kleine verteilt werden, hätten wir keine Probleme.
SPIEGEL: Der Verband der Deutschen Kutter- und Küstenfischer sieht die Ursache für die Lage der Fischbestände in natürlichen Bedingungen. Etwa in der Erwärmung der Ostsee durch den Klimawandel. Wie beeinflusst der Klimawandel Ihre Arbeit?
Dietze: Die Überdüngung in der Ostsee merken wir deutlich, wir haben bei Wärme enormes Algenwachstum, dadurch Sauerstoffmangel und Fischsterben. Im Sommer zum Beispiel fischen wir mittlerweile nachts mit Stellnetzen und holen den Fisch im Drei-Stunden-Takt aus dem Wasser. Anders geht es bei dem Sauerstoffmangel kaum noch. Sie haben zwar weniger Fang und viel Arbeit - wahren aber zumindest die Qualität.
SPIEGEL: Was will denn Ihre Kundschaft?
Dietze: Vor allem Dorschfilet, aber weniger als früher. Es wird weniger bei den Fischern gekauft, auch, weil es die kaum noch gibt. In meiner Zeit haben an unserem Hafen 80 Prozent der Fischer aufgehört. Ein größeres Angebot können wir so nicht mehr jeden Tag gewährleisten. Da fahren die Menschen lieber zum Fischhändler oder zum Discounter.
SPIEGEL: Die EU bringt nun den Vorschlag einer "Abwrackprämie". Jedem Fischer, der seinen Kutter abgibt, sollen aus den Mitteln des Europäischen Fischereifonds 5000 Euro je Bruttoregistertonne seines Bootes zur Verfügung gestellt werden.
Dietze: Ja, das muss sein. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas gemacht wird.
SPIEGEL: Öffentliches Geld zum Abschied geschenkt bekommen - in anderen Branchen gibt es das nicht.
Dietze: Das stimmt. Darüber beschweren sich auch Menschen im Internet, gerade Selbstständige. Aber wir bekommen unser Einkommen von der EU vorgeschrieben. Dürfen wir nichts fangen, verdienen wir auch kein Geld. Alternativen sind oft nicht realisierbar. Bei großen Schiffen sollte man allerdings die Prämie deckeln. Sie ist zur Stilllegung und Entsorgung der Schiffe gedacht, für einen sozialverträglichen Ausstieg, nicht zur Bereicherung. Die großen Schiffe müssen raus aus der Ostsee.
SPIEGEL: Wie viel Geld würde bei Ihnen denn rumkommen?
Dietze: Das bleibt im fünfstelligen Bereich - zum Abbezahlen des Hauses und des Schiffes reicht das nicht. Würde ich jetzt aufhören, würde ich alles verlieren und müsste in Privatinsolvenz gehen.
SPIEGEL: Was heißt das für eine Gemeinde wie Niendorf, wenn ein traditionelles Handwerk wie die Fischerei wegbricht?
Dietze: Fürs Hafenbild wäre es traurig. Wenn sie hier nur noch Segelyachten haben, dann lebt der Hafen nicht mehr.
SPIEGEL: Und Sie - was würde Ihnen fehlen?
Dietze: Ich würde den Hafen nicht mehr betreten. Dann würde ich ständig an alles erinnert werden, wohl jedes Mal anfangen zu heulen. Ich hänge hier zu sehr drin, mit all meiner Leidenschaft.