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Kontrollversagen? Schlachtabfälle auf bayerischen Feldern

Krankheitserreger und antibiotikaresistente Bakterien

Bei jeder Schlachtung fallen Abfälle an. Bei einem Schwein sind rund 20 Prozent des Schlachtgewichts nicht verzehrbar. Fachleute nennen dieses Material "tierische Nebenprodukte". Das Bundesinstitut für Risikobewertung schreibt auf BR-Anfrage, tierische Nebenprodukte aus Schlachthöfen können Krankheitserreger und antibiotikaresistente Bakterien enthalten. Diese können auf Pflanzen und Lebensmittel übertragen werden, wenn Gärreste aus Schlachtabfällen als Dünger ausgebracht werden. Experten gehen davon aus, dass das potenziell auch für Menschen gefährlich sein kann.

Nach Tierseuchen wie BSE regelt eine EU-Verordnung die korrekte Verwertung und Entsorgung von tierischen Nebenprodukten. Demnach können Biogasanlagen bestimmte Schlachtabfälle annehmen, um durch die Vergärung Gas zu gewinnen. Viele dieser Abfälle müssen hygienisiert - also erhitzt - werden, damit die Gärreste aus der Biogasanlage so sicher wie möglich sind.

Verdacht auf Bodenverunreinigung

Die Biogasanlage in Paulushofen durfte unter anderem Speisereste, etwa aus der Gastronomie, und Gülle aus dem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb in die Anlage einfüttern. Für Magen-Darminhalte oder Flotate, die u.a. von Tönnies geliefert wurden, lag keine Genehmigung vor. Das bestätigt das Landratsamt Eichstätt. Die Abfälle wurden also illegal verarbeitet. Allein innerhalb eines Jahres wurden Gärreste auf einer Fläche von mehr als 300 Hektar als Dünger ausgefahren.

Auf diesen Feldern wurden, das geht aus einem Gutachten des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hervor, später Weizen, Hafer, Raps und weitere Futter- und Lebensmittelpflanzen angebaut. Das Landratsamt Eichstätt teilt dazu mit, dass laut Gutachten "keine Einschränkung hinsichtlich der Verkehrsfähigkeit" dieser Lebensmittel vorlag. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft Ingolstadt wegen des Verdachts auf Bodenverunreinigung. Der ehemalige Betreiber der Anlage in Paulushofen lässt Anfragen des BR unbeantwortet. Mittlerweile ist die Anlage stillgelegt.

Tönnies: "Wir wurden getäuscht"

Material, das aus Schlachthöfen kommt, muss anhand von Lieferscheinen nachverfolgbar sein und korrekt entsorgt werden. Im Fall der Biogasanlage Paulushofen stammte der größte Anteil der Lieferungen von Tönnies. Dort räumt man ein, dass Schlachtabfälle nach Paulushofen geliefert wurden. Tönnies habe lange nicht gewusst, dass die Anlage keine Genehmigung dafür hatte. Erst im Januar 2020 habe man festgestellt, dass die vorgelegten Papiere gefälscht seien. Zu dem Zeitpunkt seien aber schon mehr als zwei Jahre lang Schlachtabfälle geliefert worden.

Das sei nicht erkennbar gewesen, erklärt Martin Bocklage, Justiziar bei Tönnies im BR-Interview: "An der Stelle ist mir wichtig zu betonen, dass wir hier Opfer geworden sind einer kriminellen Handlung, eines Betruges, einer Urkundenfälschung oder kumulativ mehrerer Delikte. Und wir sind nicht Täter." Man habe sich auf einen externen Berater verlassen. Damit meint Tönnies, das zeigen BR-Recherchen, eine Beratungsfirma für Biogasanlagen aus der Oberpfalz. Der Geschäftsführer betreut und betreibt auch selbst Biogasanlagen.

Verantwortung wird hin- und hergeschoben

Der Anwalt des Beraters widerspricht der Darstellung von Tönnies: Sein Mandant sei in die Vorgänge in Paulushofen nicht eingebunden gewesen. Er habe zwar den Kontakt zwischen Tönnies und verschiedenen Betrieben vermittelt, gleichzeitig Tönnies aber darauf hingewiesen, selbst mit den Betrieben zu klären, was und in welchen Mengen tatsächlich angenommen werden kann. Auf gefälschten Lieferscheinen habe die Adresse seiner Firma gestanden - deswegen habe er Strafanzeige wegen Urkundenfälschung gegen Unbekannt erstattet.

Versagen der Kontrollbehörden

Zuständig für die Kontrolle der Entsorgung von tierischen Nebenprodukten sind die Veterinärämter der Landkreise - dort, wo der Schlachthof steht, und dort, wo die Schlachtabfälle angeliefert werden. Im vorliegenden Fall: die Landratsämter im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt und im Landkreis Eichstätt.

Auf Nachfrage bei beiden Landratsämtern stellt sich heraus: Das Kontrollsystem hat Lücken. Der Schlachthof muss dem Veterinäramt vor Ort alle Entsorgerfirmen melden. Im Burgenlandkreis hat aber offenbar niemand bemerkt, dass die Biogasanlage in Paulushofen keine entsprechende Genehmigung hatte. Im Landkreis Eichstätt, in dem die Biogasanlage steht, hatte man lange keine Kenntnis davon, dass Schlachtabfälle verwertet wurden. Eine Kommunikation zwischen den Behörden fand offenbar nicht statt.

"Das System funktioniert nicht"

Die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bayerischen Landtag, Rosi Steinberger von den Grünen, beschäftigt sich schon länger mit dem Thema: "Das System zur Nachverfolgung von Schlachtabfällen funktioniert offensichtlich bei uns nicht." Unregelmäßigkeiten würden häufig von Bürgern gemeldet und nicht von Kontrollbehörden entdeckt: "Nach meiner Vermutung waren die Schlachtabfälle komplett unter dem Radar und man hatte sie überhaupt nicht auf dem Schirm."

Umfrage: Bundesländer erheben keine Zahlen

Eine Überwachung ist auch schwierig, weil Daten fehlen. Wie viele Schlachtabfälle anfallen, wird statistisch nicht erfasst, das zeigt eine Umfrage des BR bei den zuständigen Ministerien. Acht der 16 Bundesländer antworten wortgleich: "Zu Mengen von 'Schlachtabfällen', die im Rahmen von Schlachtungen anfallen, gibt es keine behördlichen Erhebungen."

Ermittlungsgruppe "Biogas", Razzia im Landratsamt

In Paulushofen kam durch eine Anzeige bei der Polizei im Januar 2020 Bewegung in die Sache: Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft Ingolstadt gegen mehrere Beschuldigte, unter anderem gegen den ehemaligen Betreiber der Anlage. Es geht dabei auch um den Verdacht der Bodenverunreinigung in besonders schwerem Fall und das unerlaubte Betreiben einer Anlage.

Die Kriminalpolizei Ingolstadt hatte zeitweise eine Ermittlungsgruppe "Biogas" eingerichtet. Es gab ein Dutzend Hausdurchsuchungen - auch im Landratsamt Eichstätt. Der Biogasanlagen-Berater wird seit Kurzem nach Angaben seines Anwalts nicht mehr als Beschuldigter geführt, Mitarbeiter von Tönnies wurden als Zeugen vernommen. Ob es zu einer Anklage kommt, soll in den nächsten Wochen entschieden werden.

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