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Eine Stadt packt an

Dresdens Bürger stemmen sich gegen die Flut. Tausende Freiwillige helfen, um das Hochwasser in der Elbmetropole einzudämmen. Der Zusammenhalt ist groß - werden die Schutzmaßnahmen reichen?


Daniel Neumanns Namen kennt unter den Fluthelfern kaum jemand. Dennoch ist er der Dreh- und Angelpunkt: Seit Sonntagabend betreut der 26-jährige Vertriebler die Facebook-Seite "Fluthilfe Dresden", über die sich die freiwilligen Helfer organisieren. Neumann und zwei seiner Freunde beantworten nun fast rund um die Uhr Anfragen, leiten Hilfsangebote und Hilfegesuche weiter und informieren über den aktuellen Stand an den Einsatzorten.

Es sei ihm wichtig, zu helfen, sagt Daniel Neumann - schließlich sei Dresden seine Heimat. In der vergangenen Nacht hat er sich nur drei Stunden Schlaf gegönnt. Gerade ist er auf dem Sprung zur Leipziger Straße im Stadtteil Altpieschen. Bis zum Morgen wurden hier 7000 Säcke gestapelt, auch jetzt stehen wieder mehrere hundert Menschen bereit, um die neuen Lieferungen schnell zu verbauen. 80 Tonnen Sand aus Zwickau werden erwartet, den Daniel und sein Team organisiert haben.

Deichbau für Anfänger

Die Solidarität in Dresden ist hoch. Vor allem Studenten gehören zu den Helfern. Doch auch Schüler und Berufstätige sind vor Ort und packen mit an. Viele pendeln seit Stunden zwischen den Einsatzorten im Stadtkern oder gönnen sich auf den Sandsackdämmen in der Mittagssonne das erste Bier. Gebraucht würden sie momentan vor allem in den Gebieten außerhalb der Stadt - doch die sind ohne Auto schlecht erreichbar.

Ordentlich müssen die Säcke geschichtet werden, nur ja keine Lücken und Folie dazwischen: "Eben wie beim Dach", sagt Johannes Krautmar. Der 23-jährige Veranstaltungstechniker und seine Kollegen haben schnell gelernt, wie ein vernünftiger Damm funktioniert - seit Sonntagabend sind sie im Einsatz und sichern den Studentenclub Bärenzwinger am Dresdner Terrassenufer. Über die sozialen Netzwerke riefen sie um Hilfe, ihr Post wurde 20.000-mal geteilt, ab halb sechs am Montagmorgen stapelten die Helfer Sandsäcke. Weil die Elbe weiter steigt, campieren Krautmar und seine Kollegen mittlerweile vor dem Bärenzwinger, um im Notfall vor Ort zu sein.

Weit mehr als 6000 Helfer der Feuerwehr, der Bundeswehr, der Polizei, des THW und des DRK sind neben den mehreren tausend Freiwilligen in Dresden heute im Einsatz. Der Rektor der Technischen Universität Dresden verschickte eine Mail, in der er Studenten zum Helfen anhielt, Dozenten sollten auf eine eingeschränkte Anwesenheit in den nächsten Tagen Rücksicht nehmen. Auch der Uni-Sport wird in dieser Woche entfallen: In den Sporthallen sind Fluthelfer untergebracht.

Die "verzogene Jugend" hat geholfen

"Es ist unglaublich, was die Dresdner Bürger leisten", sagt ein Feuerwehrmann anerkennend. Er ist aus Dresdens Partnerstadt Hamburg mit 170 Mann angerückt, weitere 76 Kollegen werden erwartet. "Anpacken, Brötchen schmieren, Getränke verteilen - jeder Dresdner hilft, wo er kann." Dicht drängt sich die Masse um das Hotel Terrassenufer nahe der Altstadt. In das Hotel selbst wird die Flut eindringen, doch die Helfer türmen fleißig Sand vor einem Wohnhaus. Die Feuerwehr hofft, dass man hier die Stromversorgung gewährleisten kann.

Noch sieht es gut für das Wohnhaus aus, die Stimmung ist fröhlich. Dennoch: So manch ein Helfer ist traurig, dass die Arbeit voriger Tage an anderen Stellen nutzlos war. Unterhalb der Augustusbrücke reichte ein knapp zwei Meter hoher Sandsack-Damm nicht aus. Auch andere Plätze sind überschwemmt. Gerüchte, dass der Pegel auf über zehn Meter - und damit höher als 2002 - steigen könnte, sind unter den Helfenden weit verbreitet. Das treibt den Adrenalinpegel nach oben.

Die Situation werde jedoch keinesfalls dramatischer als zur Jahrhundertflut, so das Landeshochwasserzentrum. Der Pegel wird in Dresden mit maximal 8,45 bis 8,70 Meter erwartet, der Scheitel soll am Donnerstagnachmittag erreicht sein. Doch wie der Krisenstab rechnet auch Social-Media-Fan Daniel Neumann nicht mit einer Entspannung der Lage in den nächsten Tagen. Sekündlich bekommt er neue Nachrichten, über 31.000 Fans hat seine Seite mittlerweile und animiert vor allem die Jungen, sich mit Gummistiefeln und Schaufeln auf den Weg zu machen.

Das schönste Feedback bekamen Neumann und sein Team bisher von einem Altenheim aus Zschachwitz: "Über hundert Helfer, 15.000 Säcke und insgesamt über 100 Tonnen Sand - und es war zu 95 Prozent die 'verzogene Jugend', die geholfen hat."



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