In China kehrt nach dem Höhepunkt der Coronavirus-Epidemie langsam die Normalität zurück. Auch die Kultur-und Musikszene erlebt nach dem wochenlangen Lock-down derzeit ein Frühlingserwachen. Was kann man beobachten?
Landesweit wird alles noch uneinheitlich gehandhabt. In großen Städten wie Hangzhou oder Shenzhen wurden Ende vergangener Woche wieder Parties und Konzerte erlaubt. In Peking durften Venues zwar wieder öffnen, aber keine Konzerte stattfinden. Ein Club-Betreiber hat mir am Telefon erzählt, dass die Angst umgeht, dass die Behörden die Veranstaltungsorte jederzeit wieder dichtmachen könnten. Das war ja gerade erst mit den 70.000 Kinos des Landes so. Die bekamen erst die Erlaubnis wieder aufzumachen, nur um eine Woche später wieder geschlossen zu werden. Im ostchinesischen Hangzhou ist so ein Fall dann auch Anfang der Woche eingetreten. Da sind Konzerte nach drei Tagen Freiheit jetzt plötzlich wieder tabu.
Trotzdem hatten dort zuvor einige Konzerte und Parties stattfinden können. Wie war die Stimmung dort?
Eines der ersten und bislang einzigen Konzerte nach dem Virus fand am vergangenen Freitag im Club 9 in Hangzhou statt. Ein Mini-Festival mit insgesamt vier Bands. Innerhalb von wenigen Minuten waren alle Tickets ausverkauft. Sogar einen Online-Schwarzmarkt gab es. Die Kontrollen vor Ort waren strikt. Am Eingang wurde die Temperatur gemessen, außerdem musste man an der Tür seinen Gesundheitscode vorzeigen, das ist ein QR-Code auf dem Smartphone, der basierend auf persönlichen Daten und dem eigenen Bewegungsprofil nachweist, dass man nicht infiziert war oder mit infizierten Personen Kontakt hatte. Als Kommentar auf die ganze surreale Situation der letzten Wochen aber auch auf die Erleichterung nach der Krise, ging eine Band an dem Abend sogar mit Schutzanzügen auf die Bühne und versprühte Bier aus Desinfektionsmittel-Flaschen über dem Publikum.
Hat die Musikszene in China den Shut-Down denn insgesamt gut überstanden?
Wen hat es am härtesten getroffen?
Durch den Ausbruch des Virus wurden in China über 20.000 Live-Shows abgesagt oder verschoben. Clubs und Konzerthäuser mussten jedoch weiter Miete zahlen, fast zwei Monate, ohne Einnahmen. Bis zum September wurden die meisten Bookings gecancelt. Auch westliche Bands hätten in der Zeit in China touren sollen, zB die Pixies oder Stereolab. Die größeren Clubs können solche Verluste wieder reinholen. Von den kleineren mussten einige schließen. Auch viele Musiker, die vorher relativ gut von den Auftritten leben konnten, sind wieder zu ihren früheren Brotjobs zurückgekehrt, Sachen wie Grafikdesign. Andere sind einfach arbeitslos.
Gibt es Unterstützung durch den Staat?
Es gab und gibt eine Kulturförderung in der Krise auch in China. Aber gerade Clubs und kleinere Musikvenues sind davon in der Regel ausgenommen. Für die Behörden sind das keine Kultureinrichtungen wie etwa Pekingopernhäuser, sondern einfach Bars, wo Leute rumhängen und sich betrinken.
Gab es auch positive Entwicklungen?
Eine ziemlich faszinierende Entwicklung war der Boom des Livestreamings. Man sieht das ja jetzt auch bei uns, in China war das aber noch umfassender. Konzerthäuser veranstalteten „Cloud-Festivals“ vor leeren Rängen, Musiker machten Wohnzimmer-Konzerte oder DJ-Sets. Die chinesischen Live-Streaming-Seiten sind dabei noch interaktiver aufgebaut als bei uns. Die Kommentare der Zuschauer laufen direkt über den Bildschirm, man applaudiert sozusagen mit Emojis oder wünscht sich Songs, das alles ist für alle gleichzeitig sichtbar, was in der Summe ein echtes Gemeinschaftserlebnis in der Isolation erzeugte.
Konnten die Musiker dadurch finanzielle Verluste auffangen?
Gerade in der ersten Welle der Solidarität konnten viele Künstler durch das Streaming eine höhere Reichweite als sonst erzielen. Und durch diese gut ausgebaute digitale Infrastruktur in China ist es auch leichter als bei uns, die Künstler dabei direkt zu bezahlen. Streaming-Plattformen wie Bilibili haben eine einfache Bezahl- beziehungsweise Geschenkfunktion in intergriert. Und da jeder Chinese durch die stark fortgeschrittene Digitalisierung des Yuan heute ohnehin alles online bezahlt, ist die Schwelle viel niedriger, einfach mal spontan zu spenden, besonders wenn man sieht, dass die anderen Zuschauer gerade dasselbe tun. Trotzdem: Online-Konzerte sind in der Summe natürlich auch in China wesentlich schlechter bezahlt als echte Tourneen, und den ganzen Menschen hinter den Kulissen, den Technikern, den Roadies bringt das Streaming wenig. Viele stehen nach der Krise vor dem Nichts, da muss man nichts schönreden.
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