Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden. So hat es noch die alte Bundesregierung beschlossen. Damit das gelingen kann, braucht es einen schnellen und massiven Ausbau der Windkraft: 2 Prozent der Bundesfläche müssten künftig für Windräder zur Verfügung stehen, heute sind es gerade einmal 0,5 Prozent. Doch viele Länder halten an starren Abstandsregeln zur Wohnbebauung fest oder setzen diese sogar neu in Kraft - so wie Sachsen. Eigentlich hatte die Ampel-Koalition vor, solche starren Abstandsregeln zur Wohnbebauung ganz abzuschaffen - doch die FDP verhindert das bislang. Streit ist programmiert - und weitere wertvolle Zeit droht verloren zu gehen.
Ob die Energiewende gelingen kann, entscheidet sich auch auf diesem sächsischen Weizenfeld. In der Nähe von Ostrau planen die Windkraft-Projektierer Elisabeth Jüschke und Florian Militschke, fünf Windräder zu errichten: jedes 240 Meter hoch, fünfeinhalb Megawatt grüner Strom pro Anlage.
Elisabeth Jüschke, Leiterin Projektentwicklung Juwi AG"Das ist das Schöne an den großen Windrädern, dass sie sehr, sehr leistungsstark sind, sehr ertragreich. Und gerade an den Standorten in Sachsen ist der Windertrag sehr gut und damit kann natürlich auch eine enorme Energiemenge erzeugt werden."
Florian Militschke, Projektleiter Juwi AG"Ostrau könnte sozusagen mit einem Projekt schon alleine klimaneutral werden, was die Stromversorgung anbetrifft."
Insgesamt könnten sogar rund 25.000 Haushalte versorgt werden. Naturschutz- und Schallschutz-Gutachten gibt es bereits, seit zwei Monaten liegen die ersten Genehmigungs-Unterlagen beim Landratsamt. Aber jetzt droht das Projekt zu scheitern. Denn Anfang Juni beschloss der sächsische Landtag: Im Freistaat gilt für Windräder künftig ein Mindestabstand von 1.000 Metern zur Wohnbebauung.
Elisabeth Jüschke, Leiterin Projektentwicklung Juwi AG"Die Energiewende in Sachsen wird scheitern, wenn wir die 1.000 Meter hier tatsächlich so einberechnen müssen, da ja nicht genug Fläche vorhanden ist."
Im Falle von Ostrau sollte es eigentlich genügend Platz für fünf Windräder geben - möchte man meinen. Tatsächlich liegen die umgebenden Orte alle weiter als 1.000 Meter entfernt, laut Bebauungsplan für den Windpark. Problem sind aber einige außerhalb des Ortsteils Jahna gelegene Höfe hinter einem Bahndamm, die etwas näher stehen. Und weil das neue Abstands-Gesetz schon bei Splittersiedlungen ab fünf Wohngebäuden greift, droht der Plan jetzt zu platzen.
Elisabeth Jüschke, Leiterin Projektentwicklung Juwi AG"In diesem Fall besteht die Gefahr für das Projekt, hier drei von fünf Anlagen tatsächlich auch aufgrund der neuen Abstandsregeln zu verlieren."
Dabei bräuchte es jetzt jedes Windrad, sonst ist die Energiewende in Gefahr. Schon 2045 soll Deutschland klimaneutral sein - so hat es noch die alte Bundesregierung beschlossen.
Der Windrad-Ausbau aber kommt bislang nicht vom Fleck. Um die Klimaziele zu erreichen, müssten schnell jedes Jahr zehn Gigawatt Windenergie hinzugebaut werden - mehr als fünfmal so viel wie im Moment.
Eine große Bremse: die pauschalen Abstandsregeln. Im Erzgebirge treffen wir den CDU-Abgeordneten Ronny Wähner vor den einzigen drei Windrädern in seinem Wahlkreis. Er hat das sächsische 1.000-Meter-Verbot maßgeblich vorangetrieben.
Ronny Wähner (CDU), Landtagsabgeordneter Sachsen"Ein ganz wichtiger Punkt ist Akzeptanz, Akzeptanz von den Menschen in den ländlichen Regionen, wo die Windkraftanlagen gebaut werden sollen. Und 1.000 Meter ist ein Gebot der Vernunft vor dem Hintergrund der aktuellen Höhe von neuen Windkraftanlagen."
Expert*innen widersprechen. Für Akzeptanz sorgten ganz andere Dinge: die frühe Einbindung der Anwohner und finanzielle Anreize.
Prof. Claudia Kemfert, Energie-Ökonomin, Deutsches Institit für Wirtschaftsforschung"In dem Moment, wo zum Beispiel Bürger durch Bürgerenergie insbesondere dann an den Windanlagen beteiligt sind, dann erhöht sich die Akzeptanz, nicht durch pauschale Abstandsregeln."
Zumal Lärmschutz- und Baugesetze ohnehin für großen Abstand zu Wohnhäusern sorgen. In der Regel sind das mindestens 600 bis 800 Meter.
Bundesbauministerin Klara Geywitz wollte den Ländern deshalb die Möglichkeit nehmen, willkürlich größere Abstände festzulegen. In einem Gesetzesentwurf von April heißt es, "landesgesetzliche Mindestabstände" sollten "verhindert werden".
Eigentlich hätte dieser Entwurf längst im Ampel-Kabinett beschlossen sein sollen, doch dem Vernehmen nach sperrte sich ein Partner - die FDP.
Der energiepolitische Sprecher der Fraktion erklärt sich:
Michael Kruse (FDP), energiepolitischer Sprecher Bundestag"Menschen mitnehmen heißt auch, dass die Regelungen dafür, wo ein Windkraftwerk steht, nicht in Berlin diktiert werden können, sondern es müssen die Menschen vor Ort festlegen."
Bayern und NRW bremsen die Windkraft schon seit Jahren mit strengen Abstandsregeln aus. Um einem Verbot zuvorzukommen, zogen jetzt noch einige Länder nach:
Brandenburgs Landtag beschloss noch im Mai einen 1.000-Meter-Mindestabstand.
In Thüringen versucht die CDU, die im Wahlkampf vor "Windrad-Wahnsinn" warnte, gerade das Gleiche durchzusetzen.
Und natürlich Sachsen. Aus Koalitions-Räson stimmten sogar Rot und Grün mit der CDU für die 1.000 Meter. Der sächsische Wirtschaftsminister von der SPD setzt jetzt darauf, dass Berlin über das hinweggeht, was er eben selbst noch beschlossen hat.
Martin Dulig (SPD), stellv. Ministerpräsident Sachsen"Das Bundesgesetz, was kommen wird, nimmt auf Länderöffnungsklauseln keine Rücksicht. Von daher wird der Freistaat Sachsen seine Flächen bringen müssen, egal ob wir jetzt Abstandsflächen beschlossen haben oder nicht."
Doch vor 2026 ändert sich wohl nichts: Statt die Abstands-Regeln gleich zu kassieren, will der Bundes-Klimaschutzminister bis dahin abwarten. Sein gestern vorgestelltes "Wind an Land"-Gesetz sieht zunächst vor, den Ländern verbindliche Flächenziele für die Windkraft vorzuschreiben.
Robert Habeck (Bündnis90/ Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz"Die Länder müssen die vorgegebenen Ziele erreichen und abhängig von dem Erreichen ist dann die Freiheit gegeben, längere, größere Abstände zu geben."
Nur wenn die Ziele verfehlt werden, sollen die Abstandsregeln außer Kraft treten.
Von Sachsen, das bislang erst 0,2 Prozent seiner Fläche ausgewiesen hat, erwartet Habeck 2026 - dem ersten Stichjahr - 1,3 Prozent. 2032 sollen dann 2 Prozent der Landesfläche erreicht sein.
Schon jetzt ist klar: Das wird nichts werden. So schreibt uns das sächsische Energie-Ministerium auf Anfrage,
"...dass mit Anwendung der 1.000-Meter-Regelung ungefähr 0,7 Prozent der Landesfläche für Windenergieanlagen nutzbar wären".
Der Leipziger Energie-Ökonom Paul Lehmann kritisiert deshalb die Gnadenfrist in Habecks Entwurf:
Jun.-Prof. Paul Lehmann, Umwelt- und Energieökonom, Universität Leipzig"Erst 2026 wird überprüft, ob die Bundesländer genügend Fläche ausgewiesen haben. Und auch erst 2026 wird dann frühestens diese Mindestabstands-Regelung außer Kraft gesetzt. Das heißt, bis zu diesem Jahr entfalten die Mindestabstände durchaus Wirkung und können in diesem Zeitraum eben Windenergieanlagen verhindern. Das heißt, im Zweifel hat man dann vielleicht sogar doch vier Jahre verloren, die für den Windenergie-Ausbau wichtig gewesen wären."
Die Sachsen-CDU macht bislang jedenfalls nicht den Eindruck, als würde sie Habecks Vorgaben besonders ernst nehmen.
Ronny Wähner (CDU), Landtagsabgeordneter Sachsen"Das ist halt besonders ein Thema im Freistaat Sachsen, was halt mit unserer Siedlungsstruktur zusammenhängt, dass wir halt relativ dicht besiedelt sind, wo die Räume nicht so in dem Umfang vorhanden sind wie in anderen Regionen."
Kontraste"Nordrhein-Westfalen ist sehr dicht besiedelt, muss aber auch an die 2 Prozent ran."
Ronny Wähner (CDU), Landtagsabgeordneter Sachsen"Ja, ich weiß jetzt nicht, wie die das machen wollen. Ich kann jetzt nur für Sachsen sprechen."
Ohnehin ist ungewiss, was aus Habecks Entwurf wird. Noch muss er durch den Bundestag. Und dort sitzen die Wackelkandidaten von der FDP.
Michael Kruse (FDP), energiepolitischer Sprecher Bundestag"Ja, es ist ja noch im parlamentarischen Verfahren, ob wir denn nun eine solche Regelung vornehmen. Es gilt das Strucksche Gesetz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist."
Vielleicht bräuchte die Energiewende ein Machtwort - von einem, der sich selbst zum "Kanzler für Klimaschutz" erklärt hat.