Friedland - ein kleiner Bahnhof als Fluchtpunkt für 4,5 Millionen Menschen.
4,5 Millionen Menschen, Kriegsheimkehrer, Spätaussiedler und Asylsuchende - seit seiner Eröffnung 1945 ist der kleine Bahnhof in Friedland bei Göttingen ein Dreh- und Angelpunkt für Menschen auf der Suche nach einer neuen Heimat. Pro Tag kamen in Hochzeiten Tausende auf dem Bahnhof des Grenzdurchgangslagers bei Göttingen im Drei-Länder-Eck Niedersachsen, Thüringen und Hessen an - und auch heute noch leben im angrenzenden Lager Friedland etwa 1.000 Asylsuchende.
1945-55: Deutsche aus dem OstenEine Puppe als einzige Heimat auf der Flucht für die achtjährige Annelie Keil.
Annelie Keil beispielsweise flüchtete 1947 nach Friedland aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Auf dem langen Weg, auf dem sie auch in russische Kriegsgefangenschaft geriet, war eine Stoffpuppe ihre ständige Begleiterin, ihr einziges Spielzeug.
Annelie und ihre PuppeHeute ist das ehemalige Flüchtlingskind Annelie Keil 77 Jahre alt und Professorin für Sozial- und Gesundheitswissenschaften.
Das Mädchen war in einem Flüchtlingstreck unterwegs. Die anderen Flüchtlinge schickten die kleine Annelie - sie war damals acht Jahre alt - als Späher voraus, wenn sie in neue Dörfer kamen, wo sie nicht wussten, ob dort Freund oder Feind lagerte. Die Hoffnung war, dass sie als Kind schon nicht erschossen würde. Nach zwei Jahren Flucht kommt Annelie Keil im Grenzdurchgangslager Friedland an.
Für Annelie Keil war das Ankommen in Friedland das Ende der Flucht, erstmals hatte sie wieder Normalität und einen sicheren Alltag. Sie bekam drei Mahlzeiten am Tag, konnte spielen, musste nicht mehr um ihr Leben fürchten. Krankenschwestern des Deutschen Roten Kreuzes kümmerten sich um sie und sprachen ihr Mut zu.
"Für einen kleinen Moment tauchte in Friedland das Gefühl auf: So ist das, wenn man ein - in Anführungsstrichen - normales Kind ist."
Adenauer und Heuss: Bühne für die große PolitikDie deutschen Kriegsgefangenen spielten anfangs eine große Rolle. Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte im September 1955 ausgehandelt, dass Zehntausend aus sowjetischer Gefangenschaft freigelassen wurden. Bei ihrer Ankunft läutete jedes Mal die Friedlandglocke der Sankt Norbert Kirche. Der Kirchplatz wurde zum Symboldbild der Hoffnung, des Sich-Findens von Menschen. Auch für Politiker war das Lager eine beliebte Bühne. Im Oktober 1955 beispielsweise begrüßte Bundespräsident Theodor Heuss die Heimkehrer.
Ab 1956: Aussiedler aus dem OstenFluchtgepäck: Zwei Koffer, etwas Geschirr, eine Decke und eine Schallplatte aus Tadschikistan.
Wie ein roter Faden zieht sich die Ankunft der Aussiedler, der deutschen Volkszugehörigen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, durch die Geschichte Friedlands. Ursprünglich kamen sie aus Polen und Rumänien, seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs dann vor allem aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten wie Kasachstan, Krigististan und Tadschikistan. Ab 1990 hat die Bundesrepublik als Geste der Wiedergutmachung auch 200.000 jüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion als Kontingentflüchtlinge aufgenommen. Die spätere innerdeutsche Grenze verlief außerdem nahe dem Lager, sodass auch zahlreiche Flüchtlinge aus der DDR über Friedland in den Westen kamen.
1970er und 80er Jahre: Chilenen und VietnamesenIn den frühen Siebzigern waren es vor allem Chilenen, die in Friedland ankamen. Sie flüchteten vor dem Terror-Regime des rechtsgerichteten Diktators Pinochet. Doch die Aufnahme der 4.000 chilenischen Exilanten war nicht unumstritten. Viele Deutsche hatten das Vorurteil, dass Chilenen überzeugte Kommunisten und "Berufsrevolutionäre" seien. Anders begegneten die Menschen den vietnamesischen Boat People in den Achtzigern. Sie bekamen zur Begrüßung warme Decken geschenkt.
Gegenwart: Syrien, Irak, AfghanistanIn Syrien hatte Obada Jalbout eine Existenz. In Friedland fängt er von vorne an.
Inzwischen ist die Mehrheit der Flüchtlinge in Friedland muslimisch, so wie Obada Jalbout, der aus Syrien geflüchtet ist. In seiner Boxershorts, die im Museum zu sehen ist, versteckte er Geld und Papiere. Mehr hat er nicht mitgenommen aus Damaskus, wo er ein eigenes Computerfachgeschäft hatte. Bomben haben seine Existenz zerstört und Obada Jalbout floh übers Mittelmeer. Vor zwei Jahren kam er dann in Friedland an.
"Ich habe an meinem Traum gearbeitet, als ich noch sehr jung war. Ich habe am Morgen gearbeitet, am Abend gelernt und kaum geschlafen. So habe ich meinen Traum wahr gemacht. Aber von einem Moment zum anderen ist das alles verloren. Das ist sehr hart."
All diese Geschichten kommen in Friedland zusammen und können vom Museumsbesucher erlebt werden, der durch über 70 Jahre Migrationsgeschichte reisen kann.