1 abonnement et 4 abonnés
Article

Abschiebung nach Georgien: Sie will nicht zurück in ein Land, das ihr fremd ist

Ein Knall. Tinas großer, schwarz-karierter Koffer liegt auf den Fliesen des Wiener Flughafens. Tina umarmt ihre beste Freundin ganz fest und lässt sie nicht mehr los - so beschreibt es die Journalistin Edith Meinhart, die Tina bei ihr Rückreise begleitet hat. Ein Jahr ist vergangenen, seit die damals 12-jährige Tina mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester nach abgeschoben wurde. Nun ist sie nach Wien zurückgekehrt, wohnt bei ihrer besten Freundin und kämpft um ein Schüler:innen-Visum.


Tinas Abschiebung im Januar 2021 führte zu heftigen Verwerfungen zwischen den damaligen österreichischen Regierungsparteien. Die Abschiebung einer 12-Jährigen, die in Österreich geboren und in den Kindergarten gegangen war, die das Gymnasium Stubenbastei in besuchte und Freund:innen hatte und plötzlich in ein Land musste, das ihr fremd war. Die konservative ÖVP, damals noch unter Sebastian Kurz, stand hinter der Entscheidung, die Grünen kritisierten sie. Selbst Bundespräsident Alexander Van der Bellen mischte sich in die Debatte ein. Der damalige Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) blieb hart. Er sah die Schuld bei den Eltern, welche die Situation bewusst auf die Spitze getrieben und ihre Kinder in diese Lage gebracht hätten. Mittlerweile ist er der amtierende Bundeskanzler von Österreich.


"Kommst du zurück?" - "Nein"

Wenige Tage vor ihrer Abschiebung schrieb Tina in den Gruppenchat ihrer Klasse "LEUTE ICH FLIEGE NACH GEORGIEN AM 28.". Auf die Nachfragen ihrer Mitschüler:innen, ob sie zurückkomme, antwortete sie: "Nein". Noch in der Nacht der Abschiebung protestierten 160 Menschen vor dem Schubhaftzentrum - unter ihnen viele Freund:innen von Tina.

Wenn Tina über diese Nacht spricht, stockt sie oft. "Ich fühlte mich so traurig, war wütend und hatte Angst. Gleichzeitig war ich unbeschreiblich dankbar dafür, was meine Freunde für mich gemacht haben." Ihre größte Angst sei es gewesen, dass sie ihre Freund:innen nie wieder sehen würde. Dass diese sich nicht mehr für sie interessieren würden, wenn sie in Georgien war. Bis zum Schluss hoffte sie, dass sie aufgrund des Protests doch in Österreich bleiben dürfe. Als sich das Polizeiauto nach Stunden Richtung Flughafen in Bewegung setzte, wusste sie: "Jetzt geht es los. Jetzt werde ich in ein Land abgeschoben, das ich nicht kenne." Dann ging alles sehr schnell. Auto, Flug, Landung in Tbilissi. Tina kann sich heute nur noch an ihre Erschöpfung erinnern. Nicht mehr an die ersten Gedanken in Tbilissi, nur an einen schweren Kopf und dass sie immer wieder einnickte.


In Georgien kamen Tina, ihre kleine Schwester und Mutter bei der Großmutter unter, die eine Stunde von der Hauptstadt Tbilissi entfernt wohnt. Auf dem Weg dorthin fiel Tina das Verkehrschaos auf, die Menschen, die bei Rot über die Straße gingen. In den folgenden Monaten dachte sie viel über die Unterschiede zwischen den beiden Länder nach. Sie suchte sie bewusst, um sich zu erklären, warum sich das Leben in diesem Land so anders anfühlte. "Ich war nur als kleines Kind eine Zeit lang in Georgien. Es war für mich sehr schwer, mich hier zugehörig zu fühlen. Ich sage nicht, dass es ein schlechtes Land ist, aber es ist mir fremd."


Es gab Tage, da war sie aggressiv und schlecht gelaunt. Es gab Tage, da lag sie den ganzen Tag im Bett und aß nichts. Tinas Mutter Nino

Im Dorf ihrer Großmutter gab es für Tina nichts zu tun. Sie telefonierte jeden Tag mit ihren Freund:innen aus dem Gymnasium. Über Stunden besprachen sie per Videocall alles, ganz so, als wäre sie noch in Wien. Sie nahm auch weiter am Onlineunterricht ihrer Klasse teil. "Für mich war das überlebenswichtig. Ich hab dabei vergessen, dass ich nicht in Wien bin." Mit den Mädchen im Dorf verstand sie sich nicht. Sie blieb ohnehin am liebsten zu Hause im WLAN, um erreichbar zu sein.


Rétablir l'original