Aufzugstillstand im Libanon, tanzen bei Notstrom in Ghana: Drei junge Menschen erzählen von ihrem Alltag mit Stromausfall.
Ich krieche nicht oft auf allen Vieren durch meine 2-Zimmer-Wohnung. Deshalb bin ich dabei auch sehr ungeschickt. Ich blinzle panisch, als könnten meine Augen sich dadurch schneller an die Dunkelheit gewöhnen. Tastend erkenne ich die Wohnung kaum wieder. Ich wühle da, wo ich die Taschenlampe vermute. Ich finde sie nicht. Ich gebe auf, setze mich aufs Sofa und warte. Dann geht das Licht wieder an. Im Radio läuft immer noch das gleiche Lied. Der Stromausfall hat also keine drei Minuten gedauert. Deshalb darf man eigentlich auch nicht „Stromausfall" dazu sagen. Laut Bundesnetzagentur gilt eine Unterbrechung nämlich erst ab drei Minuten als Stromausfall. „Dieses System hübscht die Statistik ziemlich auf", sagt Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher. „Im Schnitt haben wir zwischen 14 und 16 Minuten pro Jahr keinen Strom." Im internationalen Vergleich ist das allerdings ein Witz. Als im Juli 2012 drei indische Hochspannungsnetze auf einmal zusammenbrachen, war davon fast ein Zehntel der Weltbevölkerung betroffen. Und das für mehrere Tage. Bei Ausfällen wie diesem entstünden jährlich Millionenschäden, sagt Peters. Das Ausmaß meiner dreiminütigen Suchaktion im Dunkeln beschränkt sich auf ein von der Stuhlkante demoliertes Knie. Warum hat sich dieses banale Ereignis trotzdem kurz so aufregend angefühlt? Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit, das ist es also nicht. Vielleicht ist es dieses kurze Gefühl des Ausgeliefertseins. Nicht zu wissen, wann das Licht wieder angeht und man den Film weiterschauen kann. Der Kontrollverlust, weil etwas weg ist, was sonst so selbstverständlich scheint - und man nichts dagegen tun kann. Laut Peters ist die „Angst vor der ewigen Dunkelheit" in Mitteleuropa unbegründet. „Weder Energieanbieter noch staatliche Behörden drehen den Strom einfach so ab. Bei uns gibt es immer eine Erklärung wie Schneestürme, Unwetter oder Hochwasser." Das ist nicht überall auf der Welt so. In Ländern, in denen der Strom knapp ist, gibt es staatlich verordnete Ausfälle von mehreren Stunden pro Tag. Dazu kommen unangekündigte Unterbrechungen der Netzbetreiber. Wie beeinflusst das den Alltag der Menschen dort? Erschrecken sie überhaupt noch, wenn plötzlich das Licht ausgeht? Oder haben sie die Taschenlampe immer schon griffbereit? Wir haben mit drei jungen Menschen gesprochen, die mit täglichen Stromausfällen leben.
"Wenn der Strom ausgeht, wird geschwitzt" - drei Protokolle aus Libanon, Ghana und Indien
Normalerweise werden wir Lehrer gewarnt, wenn der Strom für längere Zeit ausfällt. Beim letzten Mal hatte ich vergessen, meine Mails zu checken, und plötzlich saß ich mit den Kindern im Dunkeln. Ich musste dann erklären, warum es für den Libanon wichtig ist, Strom zu sparen. Auf der Schule sind eher Kinder von reichen Eltern, die haben alle Notstromgeneratoren zu Hause. Denen ist gar nicht bewusst, dass der Großteil der Bevölkerung abends im Dunkeln sitzt.
Wir haben jeden Tag Stromausfälle von mehr als zehn Stunden. Vorgestern steckte ich 15 Minuten im Aufzug fest, bis der Notstrom anging. Und wenn der Strom ausgeht, wird geschwitzt, weil auch die Klimaanlage ausfällt. Deshalb gehört einfache Mathematik zum Alltag: Wann dusche ich und wann föhne ich mir die Haare? Wann kann ich Wäsche waschen? Wann muss ich mein Handy laden? Der ganze Alltag dreht sich um diese nervigen Fragen. Das ging auch schon der Generation meiner Eltern so. Nur, dass die noch nicht so technikabhängig waren wie wir.
Man hört es immer schon von Weitem: Wenn sie in den Nachbarvierteln ‚Oooh' rufen, weißt du, dass auch bei dir gleich das Licht ausgeht. Und wenn der Strom zurückkommt, jubelt das ganze Viertel. Früher konnte man sich nach festen Ausfallzeiten richten - beim Friseur hat man dann gesehen, wie die Kunden hektischer wurden, weil sie wussten, dass gleich der Rasierer ausgeht. Und der Friseur wusste, dass um Punkt sechs der Haarschnitt fertig sein muss.
Heute hat die Regierung die Situation nicht mehr im Griff, der Strom fällt zu den unterschiedlichsten Zeiten aus. Am meisten trifft es kleine Unternehmen: Internetcafés, Nähereien, Supermärkte. Die Fleischerin bei mir um die Ecke muss oft alles wegschmeißen.
In meinem Job muss ich viel skypen und häufig wird nach zehn Minuten die Verbindung unterbrochen. Die Stromausfälle beeinflussen aber auch meine Freizeit: Bevor ich feiern gehe, schaue ich, ob der Club einen Notstromgenerator hat. Eine Stunde ohne Musik wäre okay - aber spätestens wenn die Klimaanlage ausfällt, ist jede Party vorbei.
Ich arbeite für Video Volunteers, wir bilden Journalisten aus und verbreiten ihre Geschichten online - ohne Internet können wir also praktisch nichts machen. Wenn der Strom ausfällt, gehen wir mittagessen oder legen eine Kaffeepause ein. Die verlorene Arbeitszeit hole ich am Wochenende nach, das macht die Freizeitplanung schwierig.
Durch meinen Job komme ich in die abgelegensten Dörfer. Selbst da, wo es kein sauberes Trinkwasser oder Sanitäranlagen gibt, wollen die Leute zuerst Elektrizität. Ohne Strom bist du vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten. Du kannst kein Bankkonto eröffnen und dich nicht für Jobs außerhalb deines Dorfes bewerben. Du kannst dich noch nicht mal bei den Behörden darüber beschweren, weil du dafür ein Online-Formular ausfüllen müsstest. Auch absurd: In einem kleinen Dorf wurden drei riesige Kraftwerke gebaut - aber statt erst mal die Umgebung zu versorgen, fließt der Strom quer durchs Land in die größeren Städte. Die Leute sitzen im Dunkeln, während vor ihrer Haustür Strom produziert wird.