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Kreativität vs. Struktur

Kreativität fängt da an, wo der Verstand aufhört, das Denken zu behindern.“ Klingt doch eigentlich wunderbar einfach. Und doch ist dieses Zitat weit weg von der Realität kreativ tätiger Menschen. Denn: Um großartige Bilder, Gedichte und Theorien zu schaffen braucht man zwar Freiräume – aber auch feste Strukturen.

Kreativität und Zeitmanagement scheinen auf den ersten Blick nicht so recht zusammen zu passen. Bei Kreativen herrscht das Chaos und Menschen, die nach festen Zeitstrukturen arbeiten, sind komplett durchorganisiert. Irgendwo zwischen diesen Klischees steckt ein Funke Wahrheit: Kreative, impulsive und in Bildern denkende Menschen tun sich mit den klassischen Zeitmanagement-Methoden oft schwer. Kreativität hat etwas Mysteriöses und Unvorhersehbares. Ideen kommen manchmal aus dem Nichts und verschwinden plötzlich, wenn man sie am meisten braucht. Wie sieht also der Alltag kreativer Menschen aus? Wie bewerkstelligen sie den Spagat zwischen ihrer Arbeit, die sich meist nicht an feste Zeiten hält, und den Anforderungen des täglichen Lebens? „Es ist ganz wichtig, als freischaffende Künstlerin Strukturen im Alltag zu haben. Vor allem wenn man auch junge Mutter ist“, erklärt die Linzer Malerin Helena Moestl, 34. Durch ihren vierjährigen Sohn Loris habe ihr Alltag automatisch Struktur bekommen. „Der Druck, selbstständig und Mutter zu sein ohne sein Kind zu vernachlässigen ist oft hart. Einerseits muss man den Alltag mit Kind meistern - das Kind betreuen, kochen, den Haushalt schmeißen - und andererseits darf die Kreativität nicht zu kurz kommen. Es ist eine tägliche Herausforderung. Aber es ist machbar.“ Das Autorenpaar Barbara und Christian Schiller würde ohne strikte Arbeitseinteilung niemals zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Thriller-Autoren gehören. „Disziplin und Ernsthaftigkeit sind wichtig, sonst verwässert ein Buch“, sagt Christian. „Das schöne Wetter genießen oder ausgehen ist nicht drin. Schreiben ist ein Job, täglich müssen zehn Seiten entstehen.“ Und immer ganz wichtig: Eine Deadline. Die brauchen die beiden, um sich selbst den nötigen Druck zu machen, den man sonst vom Arbeitgeber bekommt.


Zeit messen und Zeit vergessen

Der deutsche Psychiater Rainer Holm-Hadulla erklärte in einem Interview mit der „Zeit“, warum Kreativität klare Strukturen braucht, in denen sie sich entfalten kann: Der Mensch könne kreativen Einfällen nur nachgehen, wenn er von äußeren Störungen abgeschirmt ist. Selbst ein Genie wie Einstein habe seine strengen Arbeitszeiten gehabt. In der Zeit, wo Einstein der unterhaltsame, politisch aktive, charmante Plauderer war, sei er gar nicht mehr wissenschaftlich aktiv gewesen. Seine großen Durchbrüche hatte er, als er acht Stunden am Tag Patente prüfte und sich abends seinen wissenschaftlichen Träumen hingab. Viele andere große Denker und Künstler haben ebenso das Geheimnis um ihre Arbeitsweise gelüftet. Das Ergebnis: Am effektivsten arbeiten sie entweder in den frühen Morgenstunden oder spätabends. "Lolita"-Autor Vladimir Nabokov etwa begann sofort nach dem Aufstehen um 6 Uhr mit dem Schreiben. Frank Lloyd Wright stand gegen 3 Uhr morgens auf, arbeitete mehrere Stunden und ging dann wieder ins Bett. Helena Moestl malt seit 16 Jahren, mindestens fünf Stunden täglich. „Wenn man Vollblut-Künstlerin ist, kann man gar nicht anders. Man muss Kunst machen. Am besten kann ich vormittags arbeiten, aber auch am Wochenende male und zeichne ich viel.“ Ob es manchmal Tage gibt, an denen einen die Muse im Stich lässt? „Natürlich gibt es das. Dann lasse ich es bleiben und kümmere mich um die administrativen Dinge, die auch sehr wichtig sind für ein künstlerisches Weiterkommen.“ Wenn kreative Menschen schreiben, malen oder tanzen, kommen sie oft in einen „Flow State“, den Zustand des Flusses. Diese mentale Haltung ist geprägt von Konzentration und Ruhe. Wenn jemand in diesem Stadium ist, ist er immun gegen internen oder externen Druck. Genauso wie gegen jegliche Ablenkungen, selbst Hunger spielt dann keine Rolle. Die Malerin Elfriede Österle gibt zu, oft so vertieft in die Kunst zu sein, dass sie den ganzen Tag über gar nichts isst. „Ich vergesse einfach darauf. Ich spüre den Hunger nicht einmal“, sagt sie.