Na, Sie können gleich bei mir bleiben, an Ihnen gäbe es eine Menge zu verbessern!", musste sich meine Freundin Ina anhören, als sie bei ihrem Massagetermin nicht bei der Masseuse, sondern deren Türnachbarin Fr. Dr. Schönheitschirurgin (Anm. Namen der Redaktion bekannt) landete. Und würde ich Ina nicht gut genug kennen, hätte ich ihr die Geschichte nicht abgekauft. Falls ihr euch jetzt fragt, wie besagte Freundin aussieht, kann ich euch versichern: wunderhübsch, groß, schlank, sportlich. Nicht der Typ Frau, den man sich unterm Skalpell vorstellt. Entsetzt darüber, dass sich ein Arzt so eine Dreistigkeit erlaubt, beschließe ich, selbst zur Test-Patientin zu werden und mache einen Termin bei besagter Ärztin aus. Ich entscheide mich für die häufigste aller Schönheits-OPs: eine Fettabsaugung.
Eine Woche später sitze ich nervös im Wartezimmer. Die Sprechstundenhilfen sehen aus, als wären sie gestern noch bei Lena Gercke über den Laufsteg gestöckelt. Aus der iPod-Dockingstation dudelt Instrumentalmusik, während mich aus einem fenstergroßen Flatscreen makellose Gesichter angrinsen. Hier wird dick aufgetragen, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn da kommt sie auch schon: Frau Doktor Schönheitschirurgin, stilecht in Size-Zero-Jeans und Plateausandalen. Auf dem Weg in ihr Büro kann ich den Blick nicht von ihrer unfassbar zierlichen Hüfte lassen, die auf den dürren Beinen sitzt. Wie sie mir helfen könne, fragt sie mich mit einem Lächeln, das Souveränität versprüht. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, in der ich fliegengewichtige 51 Kilo wog und mich trotzdem stets unwohl in meiner Haut fühlte. Wenn jemand hinter mir lachte, war ich mir sicher, dass mein Po das Objekt des Gelächters ist. Das ging so weit, dass ich bei 30 Grad meine Jeansjacke anließ, weil ich mich für meine „dicken" Oberarme schämte. Nach knapp zehn Jahren und zehn Kilo mehr ist dieses unsichere Mädchen hier wieder gefragt. Ich versuche mich also, in mein 15-jähriges Ich mit dem verqueren Selbstbild einzufühlen: „Ich hab ein Problem mit meinem Po", bricht es aus mir heraus. „Ich hab die Gene meiner Mama, die Kuchen gern am Hintern speichert. Und ich hab das Gefühl, mit Sport kriege ich das nicht in den Griff." Frau Doktor nickt verständnisvoll: „Ja, deshalb nennt man das auch ‚Problemzonen'. Weil sie ein Problem sind und weil man sie über Sport, Ernährung und den richtigen Lebensstil nicht wegkriegt. Und dann ist es echt gesünder, sie wegzusaugen. Sonst macht man sich den Stoffwechsel kaputt und hat diesen Ping-Pong-Effekt, wo man am Ende zunimmt und erst recht frustriert ist."
„Was wir im Zuge dessen auch machen könnten, ist, dass wir Eigenfett in die Brust geben. Dann haben Sie auch wieder eine Brust.“
Bumm! Ich muss mich zusammenreißen, um die Fassade zu wahren. Was diese Frau mir da gerade über meinen Körper erklärt, ist schlicht und ergreifend Blödsinn. In welchem Medizin-Almanach steht bitte geschrieben, dass Sport den Stoffwechsel kaputt macht? Ein bisschen Nip Tuck „Glauben Sie wirklich? Wenn ich jemandem erzähle, dass ich mir Fett absaugen lassen will, meinen alle ‚Du bist doch noch so jung, das kriegst du mit Sport weg'", hake ich nochmal nach. „Nein, Ihnen geht die Brust verloren", erklärt Frau Doktor und bittet mich, bis auf die Unterwäsche meine Kleidung abzulegen. Hier werde ich nicht aufgeklärt, sondern eingewickelt. Als ich nicht sofort aufstehe, nickt sie energisch in Richtung Spiegel. „Machen wir schnell ein paar Fotos, dann kann ich Ihnen zeigen, was ich für Sie tun kann", säuselt sie und greift zur Kamera. Im gleichen Atemzug beginnt schon das Verkaufsgespräch. „Ich würde Ihnen
vorschlagen, dass wir den Bauch total flach machen und dann würde ich
Ihnen die Hüften vorschlagen, mit den Außen- und Innenschenkeln und den
Knien. Dann ist es wirklich ganz perfekt proportioniert und schaut super
aus. Vom Gewebe her haben wir null Problem. Was wir im Zuge dessen auch
machen könnten, ist, dass wir Eigenfett in die Brust geben. Dann haben
Sie auch wieder eine Brust." An der Stelle würde ich das Gespräch am
liebsten abbrechen. Was denkt diese Frau sich dabei, mir Makel
einzureden, die ich selbst gar nicht angesprochen habe? Ich finde meinen
Busen eigentlich ganz in Ordnung. Was wäre, wenn an meiner Stelle jetzt
ein Mädchen stünde, das wirklich unglücklich mit seinem Körper ist und
sich die Vorschläge der Chirurgen-Barbie zu Herzen nimmt?
1 x Schönheitsideal, bitte
Die Zweifel müssen mir ins Gesicht geschrieben stehen, geschickt versucht sie mich nämlich unter dem Motto „The time is now" in die gewünschte Richtung zu lenken: „Worauf wollen Sie warten? Warum sollten Sie das noch zehn Jahre rumschleppen? Wir alle haben ein Schönheitsideal in uns, das uns die Medien eingetrichtert haben, und dem entspricht die Natur nicht. Darum muss man das anders machen." Nachdem sie die Risiken runtergespielt hat („Mir ist noch nie ein Fehler passiert"), listet sie mir ihre Preise auf. Die „Supersuper-Variante" kostet mich läppische 7.100 Euro. Nach dem Motto „Zahl 5, nimm 6" würde sie mir den Busen als „Zone" verrechnen und nicht die üblichen 3.500 Euro für die Brust-OP verlangen. Mein „Einkaufszettel" sähe folgendermaßen aus: OP-Gebühr von 1.900 Euro (Grundaufwand), Oberbauch: 800 Euro, Unterbauch: 800 Euro, Hüften: 800 Euro. Außenschenkel: 800 Euro, Innenschenkel: 800 Euro, Brust mit Eigenfett: 800 Euro (normalerweise 3.500, aber kann in einem Zug mitgemacht werden), Mieder: 200 Euro, Übernachtung: 200 Euro. 7.100 Euro würde mich also ein perfekter Körper kosten.
Ich beende das Gespräch so rasch wie möglich, diese Geschäftemacherei halte ich nicht länger aus. Und obwohl das alles nur ein Selbstversuch war und jegliche Schönheits-OP für mich nicht infrage kommt, knabbert das Gespräch doch an mir. Am Abend kann ich mir ein „Schatz, stört dich eigentlich mein Wamperl?" zu meinem Freund nicht verkneifen. „Geh, dafür hab ich zu viel reininvestiert", antwortet er kichernd. Und er hat Recht.
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