Heute ist Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Ein Datum, festgeschrieben, damit wir nicht vergessen. Ein Tag an dem wir Gedenken sollen, alle gemeinsam. Und so viele Tage an denen wir es nicht tun. Ein Tag an dem wir Gedenken sollen, an das, was schon fast komplett in Vergessenheit geraten ist. Lebende Zeitzeugen gibt es kaum noch und wenn man einen Bericht von ihnen hört oder liest, schnürt es uns kurz die Kehle zu. Danach wird weitergemacht wie bisher. Im Schnellschritt auf die Klimakrise. Im Galopp durch die Pandemie, im Wettlauf um die Menschenleben und immer wieder stolpern wir über die Demokratie. Achja, die Demokratie. Weil meine Generation nichts anderes kennt, habe ich oft das Gefühl, sie wird leicht genommen.
"Was soll denn sonst noch kommen?", "Das wird schon nicht nochmal passieren."
Heute ist Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust und ich denke an diese Zeit und deren Opfer so gut es mir eben möglich ist. Denn ja, auch für mich ist es manchmal abstrakt. Ich lese die Berichte, studiere die Geschichte, versuche Wurzeln zu erforschen und fühle mich abgestumpft. Denn es geht nicht nur darum, zu lesen, zu lernen, zu verstehen, wenn der Dialog fehlt. Und ich meine nicht den Dialog von elitären Einrichtungen, bei Podiumsdiskussionen und Kulturveranstaltungen. Ich meine den Dialog auf der Straße. Da wo er am dringendsten benötigt wird. Weltweit.
Dieser Satz "Das wird schon nicht nochmal passieren", den ich leider viel zu oft höre, lese, fühle und die tägliche Ignoranz, die mir zu diesem Thema begegnet macht mich traurig und wütend. Denn gerade jetzt, vor drei Tagen, haben 4 9 6 5 8 3 Menschen in meiner Wahlheimat Portugal für einen rechtspopulistischen Präsidenten abgestimmt. Mit 11,9% steht André Ventura mit seiner Partei Chega! an dritter Stelle der Präsidentschaftswahlen. Schon klar. Dritter Platz. Weit hinter dem wiedergewählten Marcelo Rebelo de Sousa, der über 60% erreichte. Aber TROTZDEM! 4 9 6 5 8 3 Menschen sind 4 9 6 5 8 3 zu viele. Währen dies die Parlamentswahlen, könnte seine Partei mit 20 Abgeordneten ins Parlament ziehen. 20 sind 20 zu viele! Die Partei Chega! wurde erst im April 2019 vom portugiesischen Verfassungsgericht akzeptiert und eingetragen. Bei den Parlamentswahlen konnte sich André Ventura als einziger Abgeordneter einen Platz im Parlament sichern. Und seither gilt: Je lauter, desto besser! Seine Ideologien sind portugiesischer Nationalismus, Identitarismus, nationaler Konservatismus, Wirtschaftsliberalismus, Rechtspopulismus und Einwanderungsbekämpfung.
Und das krasse ist, das dieser Kerl die reiche Oberschicht genauso wie die bedürftige Unterschicht abholt. Menschen wie André Ventura profitieren von Krisen, um ihre Ideologien zu verbreiten. Sie profitieren vom Leid der Armen und vom Groll der Reichen. André Ventura hat die besten Voraussetzungen für einen Aufstieg.
Man muss nur eine Brücke in die Vergangenheit schlagen, um zu verstehen, was passiert: Der Nationalsozialismus entwickelte sich in vielen Ländern Europas aus den Folgen des Ersten Weltkriegs. Faschistische Bewegungen gewannen an Volumen und Stärke. Die NSDAP nutzte die Umstände des verlorene Kriegs und die daraus resultierenden Wirtschaftsprobleme. Durch geschickt Propagandastrategien konnte die Partei ihre Wählerschaft nachhaltig vergrößern.
Zeit zum Gedenken. Zeit zum Denken. Zeit zum Handeln.