In der Polizeiaffäre geht es nicht um Sex, sondern um strukturellen Machtmissbrauch. Die Frage, ob die Polizistin den sexuellen Kontakt mit dem Polizeiinspekteur „auch gewollt“ habe, ist dabei nicht relevant, kommentiert Eva-Maria Manz.
An eine Verurteilung des Polizeiinspekteurs in der Polizeiaffäre glauben nicht viele. Zu gering seien die Beweise, dass die Nebenklägerin, eine Polizistin, die sexuelle Begegnung mit dem ranghöchsten Polizisten von Baden-Württemberg „nicht auch gewollt" habe, heißt es. Wie häufig beim Straftatbestand der sexuellen Nötigung sei in diesem Fall schwer aufzuklären, wie einvernehmlich die Begegnung gewesen sei. Dabei wird außer Acht gelassen, dass eine sexuelle Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern generell schwer als einvernehmlich einzuordnen ist. Genau das hat die Metoo-Debatte gezeigt.
In vielen Metoo-Fällen ging es nicht um Vergewaltigungen. Es ging um den Missbrauch von Macht. Mitarbeiter sind abhängig von Vorgesetzten, denn diese haben die Möglichkeit, das berufliche Vorankommen anderer zu beeinflussen oder gar das Arbeitsverhältnis zu beenden. Dass der Polizeiinspekteur der Polizistin nach dem Abend in einer Stuttgarter Eckkneipe im Skype-Telefonat erklärte, er könne ihr beruflich nur helfen, wenn beide privat in Kontakt blieben, offenbart ein Bewusstsein für die fatale Zwangslage.
Oft wird in solchen Fällen argumentiert, dass auch Frauen von Verbindungen zu Vorgesetzten profitierten, sie für ihr berufliches Vorankommen gezielt ausnutzten. Das ist nicht auszuschließen. Allerdings gibt es ein eklatantes Ungleichgewicht im Kräfteverhältnis, das deutlich wird, wenn man die beschränkten Handlungsmöglichkeiten einer hierarchisch Untergebenen in dieser Lage betrachtet. Eine Zurückweisung des Chefs ist für sie nur denkbar, wenn sie in Kauf nimmt, für diese Kränkung beruflich abgestraft zu werden. Daher kann der Vorgesetzte gar nicht immer zweifelsfrei wissen, ob die Mitarbeiterin „es auch gewollt“ hat oder nur aus Angst vor Konsequenzen handelte.
Man könnte argumentieren, Frauen müssten als mündige Erwachsene die Chefs trotzdem zurückweisen und den beruflichen Nachteil in Kauf nehmen. Doch sie sind hier nicht in der Bringschuld. Der Vorgesetzte trägt die Verantwortung, seine Macht nicht zu missbrauchen. Das ist mehr als ein Gebot moralischer Korrektheit. Metoo hat gezeigt, wie destruktiv Machtsysteme in Institutionen sein können, gegen die der einzelne nichts ausrichten kann und die strukturell Menschen – nicht nur Frauen – unterdrücken. Das offenbart sich am Missbrauchsskandal bei der katholischen Kirche und derzeit beim Medienunternehmen Springer.
Auch in der Polizeiaffäre geht es um viel mehr als um den Inspekteur und die Polizistin. Ungereimtheiten bei der Beweisaufnahme und ein weiteres, mittlerweile eingestelltes Verfahren gegen den Inspekteur werfen die Frage auf, wie viel in der Polizeiführung und im Innenministerium dazu schon lange bekannt gewesen ist.
Juristisch betrachtet sind Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Angestellten in Deutschland nicht verboten, doch ist es längst in vielen Unternehmen üblich, solche Beziehungen selbst dem Arbeitgeber zu melden – durch Versetzungen soll dann das Abhängigkeitsverhältnis am Arbeitsplatz beendet werden, falls die private Beziehung fortgesetzt wird. Fest steht, es darf keine Vorverurteilung eines Vorgesetzten geben. Beim Polizeiinspekteur liefern allerdings unter anderem die Videoaufnahmen aus der Eckkneipe Beweise für eine in Anbetracht des Machtverhältnisses unpassende Beziehung.
Es mag sein, dass es juristisch eine Grauzone menschlicher Annäherung gibt, aber es gibt keine Unklarheit darüber, dass niemand seine berufliche Machtposition für private Zwecke oder Interessen ausnutzen darf, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen.
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