Die meisten Paare erleben es: Zum Sex kommt es immer seltener. Wenigstens wird der dann meist als befriedigender als in der Kennenlernphase empfunden, weil die Partner vertrauter sind und wissen, was sich gut - und was sich weniger gut anfühlt. Sie gehen furchtloser miteinander um, weil sie sich weniger beweisen müssen. Ein eingespieltes Team, das gut - aber eben auch routiniert funktioniert. Die bange Frage, die sich die Partner (häufig für sich allein) stellen: Ist das ein Zeichen schwindender Liebe oder ein natürlicher Verlauf in einer Partnerschaft?
Der britische Paartherapeut Andrew G. Marshall formulierte diese Frage in seinem gleichnamigen Buch so: "Ich liebe Dich - aber bin ich noch verliebt?" Das Mut machende daran: Die Liebe als Grundlage der Beziehung wird nicht bezweifelt. Es klingt nach harmonischen Abenden am Kamin, langen Spaziergängen und anregenden Gesprächen über die Erlebnisse des Tages. Und Kuscheln. Ab und an eine Städtereise mit Sex im Hotel. Alles toll. Durchaus romantisch. Beneidenswert werden das viele Paare sogar finden. Ein Luxusproblem vielleicht? Dennoch: Übereinander Herfallen wäre auch wieder ganz schön. Geil sein, statt innerer Heiterkeit.
Statistisch gesehen ist das Nachlassen der Leidenschaft normal. Dennoch wird dies von über einem Drittel aller deutschen Paare als Signal des nahenden Endes gedeutet. Das bedeutet, die Beziehung wird in Frage gestellt, der Partner auf seine Vorzüge und Nachteile geprüft. Jeder Partner wägt in einer Beziehung immer wieder ab, ob er zurückbekommt, was er investiert. Das geschieht unbewusst ständig. Beim Thema Sex kann das zum bewussten ständigen Problem werden. Doch das muss nicht sein: Die zunehmende Lustlosigkeit bei langjährigen Beziehungen ist nach meiner Erfahrung vor allem einer Verschiebung der Prioritäten geschuldet. Harmonie wird wichtiger, das geht aber zwangsläufig auf Kosten der Leidenschaft. Paare, die lange glücklich sind, legen sich meist eine rosarote Sicht auf den Partner zu, welche die positiven Seiten in den Vordergrund stellt. Dadurch bleibt der Respekt voreinander erhalten - wilde Fantasien entstehen so allerdings nicht.
Wichtig ist zu verstehen, dass eine Beziehung nicht auf Dauer alle Erwartungen erfüllen kann: brennende Leidenschaft, umfassendes Verständnis, aufopfernde Fürsorge ... Die Energie, die wir benötigen würden, um alle Gefühlswelten wie in der Kennenlernphase zu befeuern, könnte unser Körper gar nicht dauerhaft aufbringen. Aber das ist auch nicht nötig, denn eine Beziehung ist nicht gescheitert, nur weil die Leidenschaft nachlässt.
Ein Grund dafür ist eigentlich etwas Gutes: Konfliktlösung ist einer - bei vielen Paaren sogar DER - Erfolgsfaktor ihrer Beziehung. Streit gehört dazu, wenn zwei Menschen sich zusammentun. Das sollte auch so sein: Streit kann Dinge klären, die sonst unausgesprochen die Beziehung noch mehr belasten könnten. Strategien zur Konfliktvermeidung belasten oft die Beziehung mehr, als wenn es ab und an mal kracht. Insofern ist eine Verschlechterung der Konfliktfähigkeit ein viel deutlicheres Zeichen als nachlassende Leidenschaft, dass die Partnerschaft nicht mehr rund läuft. Ob man sich ständig streitet oder gar nicht mehr, weil man sich nichts mehr zu sagen hat: Das Interesse, die Probleme zu lösen, muss da sein, damit die Beziehung eine Zukunft hat. Und mit jedem gelösten Problem stellt ein Paar die Beziehung auf eine stabilere Stufe, denn es verbindet, ein Problem erfolgreich gemeistert zu haben.
Die meisten Paare, die sich trennen, bereuen irgendwann später diesen Schritt. Eine Beziehung ist es also wert, etwas für sie zu tun. Dass die sexuelle Anziehungskraft nachlässt, ist normal, doch daran können die Partner arbeiten. Wichtig ist, dass beide anerkennen, dass nun die Harmonie ihres Zusammenseins ebenso wertvoll ist wie die anfängliche Leidenschaft. Damit verschieben sich zwar Schwerpunkte, doch die Freude am gemeinsamen Leben bleibt. Wenn das schwerfällt: Hier kann ein Blick von außen beispielsweise durch einen Paartherapeuten helfen. Doch häufig genügen auch neue gemeinsame Aktivitäten und Erfahrungen, um sich zu erinnern, weshalb man sich damals verliebt hat.
Eine Langzeitstudie im Großraum San Francisco an 50 Paaren, die mindestens neun Jahre zusammen waren, fand heraus, dass Paare zusammenbleiben, wenn sie immer wieder die Balance finden zwischen Idealisierung und Realität ihrer Liebe, sich unterstützen, einander Geborgenheit geben und dabei ihren Humor nicht verlieren. Guter Sex sei wichtig, so die Forscher, stehe aber nicht obenan. Wichtiger sei: Gemeinsamkeit. Die zeigt sich in gemeinsamen Aktivitäten: Hausarbeit. Oder kochen. Das verbindet ein Paar ungemein. Und Paare, die dies aktiv und mit Freude schaffen, haben - Überraschung - auch noch häufiger und befriedigenderen Sex.