Der 14. April 2014 sollte ein fröhlicher Tag werden. Manik Udage und seine Freunde hatten sogar eine Trommelgruppe für ihre kleine Parade organisiert, Girlanden gebastelt und Poster drucken lassen. "Etwa 200 bis 300 Leute nahmen teil", erinnert sich sein Bruder Shravan, ein bedächtiger 23-Jähriger, der für sein Alter sehr erwachsen wirkt.
Er sitzt auf einem Bett in der Wellblechhütte der Familie am Rand der westindischen Fünf-Millionenstadt Pune und zeigt Fotos seines Bruders auf dem Handy. Es sind Tatortfotos: Manik, den Kopf blutig bis zur Unkenntlichkeit, erschlagen in einem Steinbruch, weil er es gewagt hatte, den Geburtstag von B. R. Ambedkar zu feiern, dem Vater der indischen Verfassung.
Dass immer mehr Dalit in ihm einen Vorkämpfer für ihre Rechte sehen, passt längst nicht allen in Indien. Schließlich stehen die Dalit ganz am Rand der starren Kastengesellschaft. Früher wurden sie "Unberührbare" genannt, weil Mitglieder höherer Kasten sich für "beschmutzt" hielten, wenn auch nur der Schatten eines Dalit auf sie fiel. Heute ist es zunehmend gefährlich in Indien, Dalit zu sein. Gewalt und Diskriminierung haben in den vergangenen Jahren zugenommen: Mittlerweile werden jährlich 40.000 Verbrechen gegen Dalit registriert.
Mehr als 200 Millionen der 1,3 Milliarden Inder sind Dalit. Zwar ist Diskriminierung wegen Kastenzugehörigkeit laut Verfassung verboten, aber die jahrhundertealte Hierarchie bestimmt vielerorts noch immer den Alltag. Mancherorts dürfen Dalit nicht aus demselben Brunnen trinken wie andere. Teils ist ihnen der Besuch hinduistischer Tempel verwehrt, weil sie den heiligen Ort angeblich verunreinigen. Immer noch arbeiten viele Dalit als Straßenfeger, Gerber, Abfallsammler oder Latrinenreiniger –Tätigkeiten, die als unrein gelten.
Kurz vor dem Fest zu Ehren von Ambedkar hatte Manik Udage Besuch von seinem Nachbarn Satish Bhatia erhalten. Er terrorisiert mit seinen Leuten das Viertel und lebt angeblich von Schutzgelderpressung. "Sei nicht so arrogant", sagte er zu Udage. "Wenn du es wagst, das Fest zu feiern, zeigen wir dir, wo du hingehörst." Bhatia selbst gehört zu den Maratha, die schon vor 300 Jahren die Herrscher im heutigen westindischen Bundesstaat Maharashtra stellten und bis heute die Politik dort dominieren.
Bhatia konnte es nicht auf sich sitzen lassen, dass ihm ein Dalit widersprach, einer wie Manik Udage. Das Fest fand statt, wie geplant. Sein Bruder Shravan sah Bhatia kurz am Straßenrand, als die Parade vorbeizog: "Er sah wütend aus."
Zwei Wochen später schreckten die Udages aus dem Schlaf auf. Taschenlampen blitzten, Bhatia und drei weitere Männer rissen Manik aus seinem Bett, zerrten ihn in ein Auto und fuhren davon. "Das Ganze dauerte keine zehn Minuten", sagt Shravan. Er suchte die ganze Nacht und den nächsten Morgen nach seinem Bruder. Die Polizei behandelte die Udages unhöflich. Und sie registrierte Manik zunächst nur als vermisst. "Ich war noch nie in meinem Leben auf einer Polizeiwache, deshalb wusste ich nicht, dass ich das Protokoll noch einmal hätte durchlesen müssen", sagt Shravan.
Ein Mord mit Folgen
"Wir kennen viele ähnliche Fälle", sagt Asha Kowtal. Die 42-Jährige arbeitet für AIDMAM, eine Organisation, die sich für die Rechte vor allem von Dalit-Frauen einsetzt. "Es kommt auch vor, dass Polizisten und Ärzte bestochen werden, damit sie die Untersuchungsberichte fälschen." Die Diskriminierung diene dazu, "soziale Mobilität zu verhindern", sagt Kowtal. "Es ist für viele aus den dominanten Kasten schwer zu verdauen, dass wir zu den gleichen Dingen fähig sind wie sie selbst."
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