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Freiraumberaubung

Gestern mussten die Mieter ihre Schlüssel für das Kulturzentrum Steinergasse 8 zurückgeben. Das historische Betriebsgelände soll abgerissen werden, stattdessen kommen Wohnungen. Die Geschichte eines verlorenen Kampfs um einen der letzten innerstädtischen Freiräume.

Andrea Mutschlechner ist die Traurigkeit ins Gesicht geschrieben. „Diese Halle ist ein Juwel. Der Abriss ist irreversibel, es zerreißt mir das Herz", erzählt die sichtlich berührte freischaffende Künstlerin und Musikerin. Der Gebäudekomplex Steinergasse 8/Bergsteiggasse 5 war zehn Jahre lang ein Ort der Begegnung für freischaffende Künstlerinnen, Musiker, Architektinnen, Grafiker und Kleinunternehmerinnen.

Jetzt muss der dahinterstehende Verein Fortschritt 242 das alte Fabriksgelände und alles, was dazugehört räumen, weil der Besitzer den Mietvertrag nicht verlängert. Stattdessen soll ein Wohnkomplex entstehen. Durch den Abriss gehe nicht nur einer der letzten recht zentral gelegenen experimentellen Off-Spaces verloren, sondern auch ein historisch schützenswertes Betriebsgelände, befürchtet die Gemeinschaft Steinergasse 8.

Im vergangenen Jahrhundert wurden in der Fabrikshalle noch Rohre und Wasserleitungen für die Wiener Hochquellleitungen hergestellt, später war sie Betriebsstätte für unterschiedliche Unternehmungen von Heinz T., dem Besitzer des Gebäudekomplexes. Nach mehreren Jahren Zwischennutzung und Leerstand übernahm 2011 der Fischzüchter Marc Mößmer die Miete. Er verwendete selbst nur einen Bruchteil des Areals für die Züchtung und den Verkauf seiner Biofische, der Rest wurde an unterschiedlichste freischaffende Künstlerinnen und Gewerbetreibende untervermietet.

„Wir haben hier mit viel Elan und Energie Aufbauarbeit geleistet. Daraus ist wirklich was Großes entstanden", berichtet Mößmer. Er und die Gemeinschaft Steinergasse 8 schufen freien Raum für Ateliers, Proberäume, Kleinunternehmen und Veranstaltungen. In der Halle (die tageweise vom Verein angemietet wurde, weil sie nicht Teil des permanenten Mietvertrags war) fanden Märkte, Konzerte und Kulturevents statt.

Mit 1. August ist der Mietvertrag ausgelaufen, die Option der Verlängerung mit diesen (Unter-)Mietern kam für den über 80-jährigen Vermieter T. nicht in Frage. Er könne sich aufgrund seines hohen Alters nicht mehr ausreichend um das Objekt kümmern, sagt er gegenüber FALTER. morgen. Ein derartiges Bauwerk müsse pfleglich behandelt werden, das sei in diesem Fall nicht immer geschehen. Und: die aktuellen Mieter seien Individualisten, da sei für ihn nicht mehr zu „handeln". „Für ihn war das sozusagen Anarchie. Aber wir haben unglaublich viel investiert und hergerichtet", erzählt Elvira Faltermeier, Fotografin und eine der ersten Untermieterinnen in der Steinergasse 8.

Für Mößmer ist die Frage nach dem freien Raum in einer Stadt eine ganz grundsätzliche. „Hier muss jetzt alles raus, weil Wohnungen reinkommen. Aber eine Stadt braucht nicht nur Wohnraum, sondern auch Lebensmittel, Kultur und ganz generell freie Räume", sagt der aus dem Waldviertel stammende Kleinunternehmer. Er und seine Fische sind jetzt nach Hetzendorf übersiedelt.

Andrea Mutschlechner und der Kulturverein wissen nicht, wie es für sie weitergeht: „Wir suchen schon so lange und haben immer noch nichts gefunden, wo wir langfristig bleiben können." Dem jetzt erfolgten Auszug war ein langer erbitterter Kampf um den Erhalt der Steinergasse 8 vorangegangen. „Wir waren mit der Stadt Wien und dem Bezirk in Kontakt. Wir haben sogar eine gestartet - alles vergeblich", klagt Mutschlechner.

Auch beim Denkmalschutz wurde die Gruppe vorstellig. „Wir haben beim Denkmalamt auf kulturelle und historische Schutzwürdigkeit plädiert", erzählt Philipp Scheibmeir, Mitglied bei Fortschritt 242. Das Ansuchen wurde mit der Begründung abgelehnt, die Gebäude würden die Kriterien, um als schutzwürdig zu gelten, nicht erfüllen. Eine detaillierte Erklärung, warum das so ist, sei aber nie erfolgt, so Scheibmeir.

Noch diesen Monat sollen die Bagger anrücken und das historische Betriebsgelände dem Erdboden gleich machen. Davor muss alles raus. Dass sich die Übergabe der Schlüssel gestern aufgrund umfangreicher Ausräumarbeiten verzögert, sorgte bei T. für Missmut. Er möchte die leeren Hallen möglichst bald in die Hände einer übergeben und damit das Ende des zehnjährigen Kultur- und Gemeinschaftsprojektes Steinergasse 8 und der alten Fabrik besiegeln.

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